Vom Verschwinden der Bilder oder die Entdeckung der Hinterhöfe

Bild: R. Stumberger

Auf der Suche nach Amerika I

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Damals, in den seltsamen Tagen der Pubertät, lockte mich ein Film mit der Werbung: "Sie suchten Amerika, aber sie fanden es nicht" ins Kino. Ich dachte an einen Science-Fiction-Film, aber es handelte sich um "Easy Rider", das legendäre Kult-Roadmovie, in dem Dennis Hopper und Peter Fonda auf ihren Harley-Davidson-Motorrädern durch die USA fahren. Als ich aus dem Kino kam, war es dunkel, es regnete und ich kroch per Trambahn zurück in das Neubauviertel. Ein paar Jahrzehnte später bin ich selbst auf der Suche nach Amerika, unter anderem per Eisenbahn von der Ost- bis zur Westküste. Fünf Anmerkungen zu einem großen und seltsamen Land, das wie jetzt in Sachen NSA oft im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht.

Vom Verschwinden der Bilder

Ich habe es nicht mehr gefunden, das Amerika aus all den Kinofilmen und den TV-Serien. Sie sind weitgehend verschwunden, die Straßenkreuzer aus den "Shaft"-Filmen der 1970er Jahre, ebenso wie die revolutionären Attitüden in den Schwarzen-Viertel der Städte. Bei den Motorradfahrern in den USA handelt es sich heute vorwiegend um Senioren mit grauen Bart und weißen Haaren, die immer öfter auf Trikes umsteigen, um nicht umzufallen.

Die amerikanische Provinz ist längst von der komitativen Sphäre eingehüllt und das Mädchen an der Kasse der Tankstellen von Sherrodsville/Ohio trägt selbstverständlich Piercings. Am ehesten noch decken sich die Bilder aus den Nationalparks im Westen mit den überlieferten Wahrnehmungsschemata in Europa, doch der große Teil des Landes führt ein eigenes Leben jenseits dieser Bilder.

Dem wird man gewahr, benutzt man ein für Amerika eher seltsames Transportmittel: Die Bahn. Nicht, dass es nicht genug Güter auf Schienen gäbe. Scheinbar endlos rollen zum Beispiel die Züge mit ihren Güterwagen durch die Weiten von Montana hin zur Westküste, voll beladen mit Weizen, der nach Japan verschifft wird. Personenzüge aber sind vom Staat subventioniert, der in den 1970er Jahren "Amtrak" schuf, die einzige Eisenbahngesellschaft, die heute Fahrten quer durch das Land anbietet. Damals, mit der Expansion des Flugverkehrs und dem Ausbau des Straßennetzes, rechnete sich ein kommerzieller Betrieb nicht mehr.

Die über die Zeit veränderte Bedeutung der Eisenbahn lässt sich in Chicago an der "Union Station" ablesen. Eine weitläufige und mehrere Stockwerke hohe Wartehalle, ausgestattet mit Marmor und langen, hölzernen Sitzbänken, erhellt durch Kandelaber und Oberlichten. Doch das ist der Glanz vergangener Tage, der heute nur noch als "Historisches Monument" erhalten wird. Die Realität von Amtrak findet sich gleich gegenüber im Untergeschoß eines Wolkenkratzers, in dem heute der Hauptbahnhof untergebracht ist: Er verströmt mit seinem Neonlicht den Charme einer Fußgängerunterführung. Die Züge selbst halten unterirdisch, die Bahnsteige ähneln den Bunkern von U-Booten, dort ist es laut, dunkel, stickig.

Doch zurück zu den Bildern. Für sie gedacht sind die Panorama-Waggons der doppelstöckigen Amtrakzüge, oben befinden sich die Fahrgäste, unten die Toiletten und Gepäckräume. Die Panorama-Waggons zeichnen sich durch blaue Drehstühle und große Fensterscheiben aus. Und hat der Zug erst mal seinen Bahnhofs-Bunker verlassen, zieht an ihnen die Realität der amerikanischen Hinterhöfe vorbei. Denn Zugfahren in den USA ist nicht nur etwas speziell, sondern auch mit einer speziellen Wahrnehmung verbunden.