Fall Mollath: Anwältin wirft Chefarzt Falschaussage vor

Verteidigerin erhebt massive Vorwürfe gegen den Leiter der Forensischen Psychiatrie in Bayreuth, Details zur Veränderung der Mollath-Akten

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Der Druck im Fall Mollath nimmt weiter zu: In einem Schriftsatz an das Landgericht in Regensburg greift Mollaths Verteidigerin Erika Lorenz-Löblein weitere Gründe für einen Wiederaufnahmeantrag auf. Im Schriftsatz werden gleich drei Personen Falschaussagen vorgeworfen. Lorenz-Löbleins Ansicht nach sollen sowohl der Chefarzt der Forensischen Psychiatrie in Bayreuth, Klaus Leipziger, Mollaths Ex-Frau, Petra M., und ein Polizeiobermeister, in der Hauptverhandlung gegen Mollath uneidliche Falschaussagen geleistet haben. Die Anwältin will Leipziger nachgewiesen haben, gleich fünfmal unrichtige Tatsachen in Ausübung seines Berufs behauptet zu haben.

Gegenüber Telepolis sagte Lorenz-Löblein, die unrichtigen Tatsachenbehauptungen Leipzigers fingen bei seiner angeblichen Auswertung der Akten an und zögen sich über diverse Stellungnahmen zum angeblichen Krankheitsbild ihres Mandanten. Aus juristischer Sicht, so Lorenz-Löblein, können unrichtige Tatsachenbehauptungen eine Falschaussage sein.

So habe der Sachverständige Leipziger etwa gesagt, er habe für sein Gutachten die Akten und die diversen Schreiben von Mollath ausgewertet. "Das kann so nicht stimmen", sagt Lorenz-Löblein und meint, dass eine pflichtgemäße Auswertung der Akten nicht stattgefunden habe, da Leipziger ansonsten den in Mollaths Verteidigungsschrift befindlichen Briefwechsel mit der HypoVereinsbank und die Anweisungen für die Schweizer Nummernkonten bemerkt und im Sinne ihres Mandanten dem Gericht darüber hätte berichten, bzw. "weitere Sachverhaltsaufklärung beantragen" müssen.

Lorenz-Löblein sagte, mittlerweile habe selbst der Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags dargelegt, dass die von ihrem Mandanten angesprochenen Finanztransaktionen stattgefunden haben. Man müsse beachten, dass etwa 20 Verfahren derzeit gegen entsprechende Personen am Laufen seien.

Die Aussage Leipzigers, wonach Mollath "mit Sicherheit bereits seit Jahren unter einer paranoiden Wahnsymptomatik" leide, kritisiert Lorenz-Löblein scharf. "Wie kommt Herr Leipziger zu dieser Aussage? Es gab keine saubere Durchsicht der Akten, es gab keine selbst erhobenen Befunde, keine Fremdanamnese." Des Weiteren dürfe man nicht vergessen, dass zu keiner Zeit die Aussagen ihres Mandanten auf deren Wahrheitsgehalt überprüft wurden. Leipziger habe, nach Sicht der Anwältin, einfach nur grundlose Behauptungen aufgestellt.

Und was Lorenz-Löblein dann anspricht, klingt noch schlimmer. Die Anwältin sagte, Leipziger halte bei ihrem Mandanten eine wahnhaft psychische Störung oder eine paranoide Schizophrenie für möglich - das seien so genannte differentialdiagnostische Aussagen. Doch Leipziger hätte eigentlich eine Diagnose unter Berücksichtigung der Differentialdiagnosen erstellen müssen. Aber genau das habe er nicht gemacht. Um überhaupt eine Prognose abgeben zu können, hätte zwingend eine Diagnose gestellt werden müssen.

Bereits die Menschenrechtsbeauftragte der Bayerischen Landesärztekammer Maria Fick betonte in einem Telepolis-Interview die fehlende Diagnose bei Gustl Mollath (Menschenrechtsbeauftragte fordert Entschädigung für Gustl Mollath). Hinzu komme: Leipziger habe im Zusammenhang mit ihrem Mandanten von einer schweren psychischen Störung gesprochen ohne auch nur ein Explorationsgespräch oder eine Fremdanamnese durchgeführt zu haben.

Dies legte der Sachverständige Dr. Leipziger für die Kammer überzeugend dar. Er berichtete, dass der Angeklagte sowohl eine körperliche Untersuchung als auch ein ausführliches Explorationsgespräch mit ihm verweigert habe. Seine mehrmaligen diesbezüglichen Versuche z.B. am, 18.2.2005 und am 18.03.2005 seien gescheitert … Da der Angeklagte sämtliche vorgeschlagenen Gesprächs- und Untersuchungstermine abgelehnt, u.a. den vorgeschlagenen Termin vom 18.03.05 schreiend und mit einer Serie von Vorwürfen und Vorhaltungen abgebrochen habe, sei die Beobachtung des Angeklagten auf Station besonders wichtig gewesen. Zudem seien die Akten und die verschiedenen beiliegenden Schreiben des Angeklagten ausgewertet worden.

Urteil vom 8.8.2006, S. 20

Gegenüber Telepolis sagte die Strafverteidigerin, Leipziger habe über die ihrem Mandanten angelasteten Sachbeschädigungen weder mit Mollath noch mit Dritten gesprochen. All das sei völlig inakzeptabel, dennoch will der Mediziner festgestellt haben, dass Mollath zu den Tatzeitpunkten schuldunfähig gewesen sei.

Die Anwältin verweist auf mehrfachen Kontakt zwischen Leipziger, dem Gericht und der Staatsanwaltschaft, bei dem der Chefarzt explizit nach weiteren belastenden Sachverhalten gegen ihren Mandanten gefragt habe, um seine Expertise abliefern zu können. Die Anwältin geht gar davon aus, dass Leipziger das Gutachten mit dem Ziel, eine Rechtfertigung für die Unterbringung zu liefern, erstellt habe.

Falschaussage von Mollaths Ex-Frau?

Nach Ansicht der Verteidigerin, habe auch Mollaths Ex-Frau eine Falschaussage geleistet. Einerseits habe diese vor Gericht ausgesagt, die angebliche Bisswunde habe nicht geblutet, andererseits habe das Gericht aber eine Narbe gesehen. "Ohne Blut, keine Narbe", so Lorenz-Löblein. Zudem habe Petra M. die wahre Identität des Ausstellers der Urkunde verschwiegen. Sie sei nach Meinung der Anwältin verpflichtet gewesen, im Zuge der Vollständigkeit ihrer Aussage, "die wahre Identität des untersuchenden und attestierenden Arztes preiszugeben". Der Arzt war noch in der Ausbildung zum Facharzt, wie Telepolis berichtete (Fall Mollath: Oberlandesgericht Nürnberg verwirft Beschwerde).

Des Weiteren, so erklärt die Anwältin, sei der Trubel bezüglich des neu aufgetauchten Original-Attests für sie unverständlich. In ihrem Schriftsatz stelle sie klar, dass es nur eine inhaltliche Übereinstimmung zu dem Attest, welches in der Hauptverhandlung vorgelegt wurde, beweise. Der Wiederaufnahmegrund sei noch immer gegeben, da das als echt vorgebrachte Attest, wie es in der Verhandlung gegen Mollath vorgelegt wurde, noch immer eine unechte oder verfälschte Urkunde darstelle. Sie gehe vom Urkundenbegriff nach der Strafprozessordnung aus, um die Frage der Vorlage einer unechten oder verfälschten Urkunde zu klären. Lorenz-Löblein führt weiter aus, dass es nämlich einen Unterschied zwischen dem Urkundenbegriff der Strafprozessordnung und des Strafgesetzbuchs gebe.

Die Anwältin verweist noch auf einen weiteren merkwürdigen Umstand in der Causa Mollath, weshalb nach ihrer Ansicht auch einem Polizeiobermeister uneidliche Falschaussage vorgeworfen werden könne. Den Polizisten habe man als Zeuge zur Hauptverhandlung geladen. Dann sei am Tag vor der Verhandlung eine Bescheinigung über Dienstunfähigkeit in der Zeit vom 3. August bis zum 9. August 2006 vom Bayerischen Landeskriminalamt (LKA) gefaxt worden. Trotzdem sei am nächsten Tag in der Hauptverhandlung ein Polizeibeamter erschienen, der statt der Festnahmesituation zur Unterbringung am 27. Februar 2006 die Festnahmesituation im Juli 2005 schilderte. Pikantes Detail an dem Geschehen: der Name des Polizeibeamten ist im Protokoll unrichtig wiedergegeben.