"Lobbyismus ist der Kern der Demokratie"

Volker Kitz berichtet über sein Metier und die Politik

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In seinem Buch Du machst, was ich will: Wie Sie bekommen, was Sie wollen - ein Ex-Lobbyist verrät die besten Tricks schildert Volker Kitz seine "sanfte Kunst der Überzeugung" von Politikern und verrät, warum das Sachargument bei seiner Arbeit nicht zählt.

Herr Kitz, Sie haben jahrelang als Lobbyist in Brüssel und Berlin Politikern ihre Anliegen eingeflüstert. Wann haben Sie gedacht, jetzt reicht es, ich steige aus und schreibe ein Buch darüber?

Volker Kitz: Das habe ich gar nie gedacht. Ich habe gern als Lobbyist gearbeitet; es war eine interessante und lehrreiche Zeit, an die ich mich gern erinnere. Aber ich finde, das Leben ist dazu da, um mehr als eine Sache kennen zu lernen. Ich hatte mir nebenbei ein zweites Standbein als Buchautor aufgebaut und zudem festgestellt, dass man viele Methoden der Lobbyisten auch wunderbar im ganz normalen Alltag anwenden kann. So kam die Idee, meine Erkenntnisse aus der Zeit als Lobbyist für die Masse der Menschen fruchtbar zu machen, durch Bücher und Vorträge. Es ist also eher eine Weiterentwicklung als ein "Ausstieg".

Volker Kitz. Foto: © Kay Blaschke.

Mit welchen Tricks waren denn die Politiker auf Ihre Seite zu bekommen oder hält man denen mittlerweile nur noch einen Geldschein unter die Nase?

Volker Kitz: Es gibt legale Möglichkeiten, sich Politik zu kaufen. Zum Beispiel ist es in Deutschland möglich, Abgeordnete zu bestechen – solange es sich nicht um einen handfesten Stimmenkauf handelt. Aber bei der Lobbyarbeit ist es wie sonst auch: Überall muss gespart werden. Niemand hat das Geld übrig, um es in die berüchtigten Geldkoffer zu stecken. Lobbyisten werden gerade dafür bezahlt, dass sie es ohne Geld schaffen. Sonst sind sie selbst ihr Geld nicht wert und überschreiten auch ganz schnell die Grenze zum Kriminellen: Einem Ministerialbeamten zum Beispiel dürfen Sie gar nichts schenken, sonst kann das eine strafbare Bestechung sein.

Der Lobbyismus ist eher die Kunst der menschlichen Beziehungspflege – es geht darum, Menschen menschlich zu behandeln: Ein Ministerialbeamter ist oft schon zu haben, wenn Sie im Steakhaus reservieren. Eine Ministerin liebt Sie, wenn Sie ihr einen Tipp für einen guten Zahnarzt geben. Und ein Referent öffnet Ihnen sein Herz, wenn Sie sich danach erkundigen, ob seine kleine Tochter sich von der schweren Erkältung erholt hat.

Wie hat man sich die Arbeit eines Lobbyisten dann konkret vorzustellen?

Volker Kitz: Plant ein Ministerium ein Gesetz, verschickt es einen ersten Entwurf an die "beteiligten Kreise". Das ist in der Geschäftsordnung so vorgesehen, es sind also in der Regel keine nebulösen Wege, auf denen man solche Entwürfe bekommt. Die erste Aufgabe des Lobbyisten besteht dann darin, zu analysieren, was der Entwurf für seinen Auftraggeber bedeuten könnte – was diese also durchsetzen wollen und was um jeden Preis verhindern. Natürlich muss man seine Augen und Ohren immer offen halten, denn oft will man bereits verhindern, dass etwas überhaupt in einen ersten Entwurf kommt. Was einmal drin ist, lässt sich schwer wieder rauskriegen.

Das ist dann "präventive Lobbyarbeit". Oft gibt es ganz offizielle Anhörungen, sowohl in Ministerien als auch im Bundestag. Da muss man zusehen, dass man eingeladen wird, denn es darf nicht jeder kommen. Natürlich trifft man sich auch zu Einzelgesprächen.

Können Sie uns von Gesetzen berichten, bei denen Sie Ihren Einfluss geltend machen konnten?

Volker Kitz:: Ich war in der Medienpolitik tätig, habe zum Beispiel gegen die "Vorratsdatenspeicherung", gegen Internetsperren und gegen die alte GEZ-Gebühr gekämpft, mich für ausgewogene Anti-Spam-Regeln eingesetzt und zusammen mit der Politik nach effektiven Lösungen zur Bekämpfung von Kinderpornografie gesucht.

: Welche Parteien haben sich gegenüber Ihren Einflüsterungen als besonders aufgeschlossen erwiesen und wer hat Ihnen widerstanden?

Volker Kitz: Alle Parteien treffen sich mit Lobbyisten. Es war eher so, dass sich Politiker bei mir beschwert haben, weil sie sich ignoriert fühlten. Wenn sich kein Lobbyist mit ihnen treffen will, kommen sich Politiker irrelevant vor – vielleicht nicht ganz zu unrecht. Übrigens haben wir dabei nie geflüstert. Politiker und Lobbyisten unterhalten sich ganz ungezwungen.

"So funktionieren wir Menschen"

Wie dämlich und naiv waren die Politiker, die sie getroffen haben?

Volker Kitz: Ich kenne keinen Politiker, der dämlich und naiv ist. Politik ist ein anspruchsvoller Job, für den man Intelligenz und Fleiß braucht. Die Sache ist einfach so: Ein Politiker muss in kurzer Zeit über so viele unterschiedliche Themen beraten und entscheiden, dass er sich weder mit allem auskennen noch auch nur näher beschäftigen kann. Deswegen geht es am Ende fast nie um tiefere Argumente, sondern um ganz pragmatische Lösungen: Wer braucht gerade was von wem und welche Deals kann man da machen? Letztlich denkt jeder an seine ganz persönlichen Interessen, die Wähler ebenso wie die Politiker. Und niemandem kann man das zum Vorwurf machen, denn so funktionieren wir Menschen.

Wenn man aber weiß, dass es so ist, kann man andere Menschen viel leichter von etwas überzeugen, als wenn man an die Kraft der Sachargumente und an das Märchen vom "Allgemeinwohl" glaubt.

"Politiker sollten nicht zugleich auch Lobbyisten sein"

Auf welche Weise konterkariert der Lobbyismus die Entscheidungsfindung der parlamentarischen Demokratie? Sind Sie der Meinung, dass die Praxis der Lobbyisten in Deutschland gesetzlich eingeschränkt werden muss?

Volker Kitz: Lobbyismus ist der Kern der Demokratie, nämlich dass unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen ihre Interessen artikulieren und in den politischen Prozess einbringen. Wir dürfen ja nicht den Fehler machen und Lobbyismus nur in Verbindung mit Wirtschaftsinteressen sehen. Alle gesellschaftlichen Gruppen machen Lobbyarbeit: auch Greenpeace, Amnesty International, der Mieterbund, die Gewerkschaften und die Kirchen, um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Zwei Aspekte werden meiner Meinung nach allerdings zu Recht kritisiert: Erstens sollte die Person, die Interessen vertritt, niemals identisch sein mit der Person, die über die Interessen entscheidet. Politiker sollten also nicht zugleich auch Lobbyisten sein. In der Realität stehen aber manche Abgeordnete ganz offiziell auf der Gehaltsliste von Verbänden oder Unternehmen. Zweitens sollte das eben beschriebene Problem der Abgeordnetenbestechung gesetzlich strenger geregelt werden.

"Geld und Karriere bekommen am Ende die Sympathieträger"

Kann man ihre Tricks für den Alltag nutzen? Welche Ratschläge können Sie zum Beispiel für ein erstes Date geben?

Volker Kitz: Da Politiker ganz normale Menschen sind, geht es bei der Lobbyarbeit um das Gleiche wie in unserem Alltag auch: um menschliche Beziehungen. Erfolgreiche Lobbyisten nutzen psychologische Effekte, die jeder andere genauso einsetzen kann, privat und beruflich. Die habe ich in meinem Buch zusammengetragen, systematisiert und für den Alltagsgebrauch aufbereitet. Ich erkläre zum Beispiel, wie wir schon am Aussehen eines Menschen erkennen können, ob er uns helfen wird, wie wir mit einer "paradoxen Intervention" jeden dazu bringen, seine Meinung zu ändern, und wie wir uns mit der "Einstellungsimpfung" selbst vor Beeinflussungsversuchen schützen.

Hochwirksam ist auch der "Effekt der bloßen Darstellung". Experimentell bewiesen ist: Je öfter jemand Sie nur sieht, desto sympathischer findet er Sie, ganz automatisch! Die meisten Menschen verlieben sich daher nicht beim ersten Date – sondern vielleicht beim zehnten. Die Kunst besteht darin, jemandem einfach nur möglichst oft zu begegnen, dann stellt sich die Sympathie ganz von allein ein. Auch das Berufsleben ist ja voll von Sitzungen und Treffen, die wir als überflüssig empfinden.

Wer allerdings den Effekt der bloßen Darstellung kennt, der weiß, dass jedes Treffen nützlich ist, wenn auch nicht unbedingt inhaltlich. Es führt zu größerer Vertrautheit, und im entscheidenden Moment, wenn Sie wirklich einmal etwas von der Person brauchen, dann zahlen sich all die Stunden aus, die Sie mit inhaltlich überflüssigen Treffen verbracht haben. Denn Geld und Karriere bekommen am Ende die Sympathieträger, nicht die Leistungsträger.

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