Schäuble in Athen und eine Stadt steht Kopf

Wolfgang Schäuble und Andonis Samaras. Bild: Wassilis Aswestopoulos

Gollum, wie er in Griechenland genannt wird, will den Mittelstand stützen, die Regierung hatte gerade weitere, teils unsinnige Sparmaßnahmen beschlossen

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Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble weilte am Mittwoch zur Stippvisite in Athen. Sein Besuch fand direkt im Anschluss an ein am Vortag oder besser in der Nacht zuvor im Eilverfahren durchgepeitschtes Gesetzespaket mit so genannten Reformmaßnahmen statt. Über mehr als einhundert einzelne Artikel mussten die Abgeordneten innerhalb von zwei Tagen entscheiden. Wobei vor allem den Regierungsabgeordneten kaum Entscheidungsspielraum blieb. Die hauchdünne Mehrheit der verbliebenen zwei Koalitionspartner Nea Dimokratia und PASOK ließ keine Abweichler zu. Wäre das Paket abgelehnt worden, dann hätte das neben Neuwahlen seitens der Troika den sofortigen Stopp der Hilfszahlungen zur Folge gehabt. "Prior actions", taufte das Finanzministerium die teilweise drakonischen Maßnahmen.

Außer der als Mobility euphemisierten Entlassung tausender Angestellter des öffentlichen Dienstes gab es zahlreiche seltsame Regelungen unter den prior actions. So wurde eine Luxussteuer für Autos eingeführt. Anhand dieser werden die als begütert angesehenen Besitzer von Autos zur Kasse gebeten. Bei der Erstellung des Gesetzes ergaben sich zahlreiche Ungereimtheiten. So gilt ein Besitzer eines fünfzehn Jahre alten PKWs koreanischer oder chinesischer Herkunft als Reicher, wenn sein fahrbarer Untersatz mehr als 2000 ccm hat. Fährt jemand das neueste Modell Stuttgarter Bauart oder bayerischer Motorkunst, dann geht er auch bei einem Neupreis von 60.000 Euro steuerfrei aus.

Nach ähnlichem Muster wurde die Immobilienbesteuerung angepasst. Für die reiche Athener Vorortgegend Ekali gab es einen fünfzigprozentigen Nachlass, für Arbeitersiedlungen einen gleich hohen Aufschlag. Im Gesetzespaket enthalten waren einige Ausnahmen. So sollten die Angestellten von Politikern von der Entlassungswelle ausgespart werden. Ein weiterer Artikel besagte, dass die Mitarbeiter der griechischen Treuhandanstalt eine Generalamnestie genießen müssten.

Zahlreiche dieser mitnichten als Sparmaßnahmen zu bezeichnenden Regelungen wurden in letzter Minute zurückgezogen oder abgeändert. So sind ab sofort Hausmeister von Schulen von der Entlassung verschont, wenn sie einen Doktortitel vorweisen können. Noch ist nicht klar, ob dies eventuell erneut ein Trick für die Rettung von Politikerfreunden ist.

Vollkommen unklar ist jedoch die Art und Weise, nach der künftig Einkommen besteuert werden. Ein Immobilienbesitzer mit fünf Millionen Euro Mieteinahmen zahlt den für diese Gewerbeform geltenden Höchstsatz von 33 Prozent. Ein Freiberufler mit 46.000 Euro Jahreseinnahmen ist mit 46 Prozent dabei. Ein pleite gegangener Freiberufler muss für die aufgrund des Eigentums oder der Lebenslage resultierenden Schätzfaktoren den Höchstsatz von 46 Prozent zahlen. Ein arbeitsloser, ehemaliger Angestellter bei gleicher Vermögenslage nur die Hälfte. Auf diese Weise kommt ein Familienvater mit zwei Kindern, ererbter achtzig Quadratmeter großen Wohnung und besagtem koreanischen PKW ohne Einkommen auf etwas mehr als 5500 Euro Einkommenssteuerschulden, wenn er vorher zum Beispiel als Bauarbeiter mit Gewerbeschein den Unternehmer einer Ich-AG spielte.

Wolfgang Schäuble und Giannis Stournaras. Bild: Wassilis Aswestopoulos

Zur Entschuldigung dient der griechischen Regierung immer wieder das Schreckgespenst der "ausländischen Kreditgeber". Diese würden auf derartige Reformen bestehen, heißt es immer wieder. Tatsächlich verlangten die Troikaner die Entlassungen von Lehrern, kommunalen Polizisten und die Schließung der öffentlichen Rundfunkanstalt. Warum sie das taten, sei dahingestellt.

Athen im Gips

Aber in mitten diese idyllische Klima platze der Besuch des deutschen Finanzministers. Wolfgang Schäuble wird in griechischen Medien als Gollum bezeichnet und von Philosophen als Nosferatu identifiziert. Mehr noch als die Kanzlerin Angela Merkel selbst wird Schäuble als der Innbegriff des vierten Reichs identifiziert. Dementsprechend heftig waren in Athen die Sicherheitsmaßnahmen. Kurz nach Mitternacht in der Nacht vom Dienstag zum Mittwoch wurden alle Wege, die Schäubles Konvoi durchfahren musste von parkenden Autos befreit. Teilweise war die Innenstadt bereits sechs Stunden vor dem Eintreffen des Ministers gesperrt. Der öffentliche Nahverkehr wurde ebenso unterbunden, wie die einfache Benutzung der Bürgersteige. Selbst zu Fuß gab es kein Durchkommen.

Demonstration in Athen. Bild: Wassilis Aswestopoulos

Das betraf Kranke ebenso wie Menschen, die ihren Umzug für diesen Tag eingeplant hatten. Selbst ein Wachpolizist des Präsidentenpalastes beklagte sich gegenüber Telepolis, dass auch Uniform und Dienstausweis nicht ausreichten. Der Mann, dessen Aufgabe die Bewachung der Pforte des griechischen Staatspräsidenten ist, hatte tatsächlich Probleme, zu seinem Arbeitsplatz zu gelangen. Denn im direkt nebenan liegenden Amtssitz des Premiers wurde schließlich der Bundesfinanzminister erwartet.

Bild: Wassilis Aswestopoulos

Für die meisten Griechen war dies zu viel. Sie empfanden, wie griechische Zeitungen titelten, "Athen im Gips" und sich selbst als Bewohner einer Besatzungszone. So ging ebenso fast unter, dass Bundesfinanzminister Schäuble schlussendlich die Diskussion um Kriegsreparationen, eine Rückzahlung der von der deutschen Besatzungsmacht erhobenen Zwangsanleihe ebenso ausschloss wie einen schnellen Schuldenschnitt. Stattdessen möchte Schäuble dem griechischen Mittelstand auf die Beine helfen.

Bild: Wassilis Aswestopoulos

Ausdrücklich betonte er, dass es sich um ein Bilaterales und nicht von der Troika initiiertes Projekt handele. Mit Hilfe der Kreditanstalt für Wiederaufbau und den deutschen Sparkassen möchte Schäuble dort ansetzen, wo die bisherigen Sparmaßnahmen der griechischen Regierung buchstäblich kein Gras mehr wachsen ließen, beim Mittelstand. Kommt der Mittelstand doch noch in Gang, dann - so hofft der Bundesfinanzminister offenbar - fällt der Schuldenschnitt nicht ganz so drastisch aus.

Direkt nach seiner Abreise versammelten sich einen Steinwurf vom Finanzministerium entfernt am Platz der Tränen, dem Klathmonos-Platz, ein paar hundert Demonstranten. Sie trotzten dem immer noch bestehenden Verbot und zogen bis zum Parlament. Bei Angela Merkels Besuch hatten noch mehr als 15.000 demonstriert. In Athen herrscht Ruhe - vielleicht, so munkeln die wenigen immer noch wacker Demonstrierenden, ist es nur die Ruhe vor dem Sturm.