147 klar als zivile Opfer ausgewiesen, darunter 94 Kinder

Pakistan: Ein geleaktes Regierungsdokument über zivile Todesopfer bei Drohnenangriffen widerspricht amerikanischen Beschwichtigungen

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In den Stammesgebieten Pakistans (FATA) gibt es ein spezielles Informationssystem. So verfügt beispielsweise die politische Verwaltung Nord Waziristans über Hilfskräfte, deren wohlklingende Bezeichnungen auf die Mogulzeit zurückgehen, wie die tehsildars. Ihnen zur Seite stehen naibs.

Nach einem Drohnenangriff werden tehsildars und naibs von ihren Amtsvorstehern ausgeschickt, um Genaueres über die Identität der Getöteten und die angerichteten Schäden zu erfahren. Die lokale Stammespolizei, Khasadari, sowie bezahlte Informanten aus den Dörfern liefern den Verwaltungsemissären zusätzliche Informationen.

So kommt es, dass Berichte aus der FATA-Verwaltung ein ziemlich genaues Bild der Situation nach einem Drohnenangriff wiedergeben. Die Verwaltung sei sehr daran interessiert, sachgerecht zu verstehen, was tatsächlich passiert ist. Wie mit den eingeholten Informationen danach verfahren wird, ist eine politische Angelegenheit. Dabei sehen weder die USA noch die pakistanische Regierung gut aus.

Die amerikanische Organisation The Bureau of Investigative Journalism ist nun über drei verschiedene Quellen, wie man betont, in den Besitz eines solchen FATA-Verwaltungsdokuments über US-Drohnenangriffe im pakistanischem Grenzgebiet zu Afghanistan gelangt. Die Zahlen und Angaben, die sich dort finden, widersprechen den von den USA verbreiteten Informationen zu zivilen Opfern solcher Angriffe aus heiterem Himmel.

Stillschweigen über die späteren Obama-Amtsjahre

Beteuerte, neben anderen US-Vertretern, die Vorsitzende des Senatsauschusses für Geheimdienste, Dianne Feinstein erst im Februar noch das Mantra von den "jährlich einstelligen Zahlen an zivilen Opfern" der Drohnenangriffe auf pakistanischem Gebiet, so berichtet das Dokument, das den Zeitraum von 13. Januar 2006 bis 24.Oktober 2009 abdeckt, von insgesamt 746 Toten durch Drohnenangriffe, wovon mindestens 147 klar als zivile Opfer ausgewiesen werden. Darunter 94 Kinder.

Die Angaben des 12seitigen Dokuments mit dem Titel "Details of Attacks by Nato Forces/Predators in FATA" gelten aus eingangs genannten Gründen als zuverlässig. Größtenteils würden sich die Informationen mit eigenen Recherchen decken, kommentiert die Journalistenorganisation. Darüberhinaus würden aber auch genauere Angaben zu Drohnenangriffen gemacht, die nie in den Medien auftauchten, aber es würden Angriffe nicht erfasst, über die man in der Berichterstattung gelesen habe: "Some CIA strikes are missing from the document. None of the five reported strikes for 2007 are listed."

Befragte Experten halten auch die FATA-Zahlen noch für untertrieben. Auch das ist ein Mantra, das sich schlecht nachprüfen lässt. Der UN-Emissär Ben Emmerson schätzt die Zahl der zivilen Todesopfer auf über 400, allerdings über einen längeren Zeitraum. Das Bureau of Investigativ Journalism kommt für die Jahre von 2004 bis 2013 auf eine Schätzung zwischen 411 und 890. Es verlässt sich dabei vor allem auf Medienberichte.

Angesichst dieser Schätzungen wird die große Lücke im geleakten Regierungsdokument deutlich. Was ist mit dem Zeitraum nach dem Oktober 2009? Anscheinend ist es sehr schwer, an ein Dokument über die Zeit zu gelangen, als US-Präsident Obama bereits mehr als ein Jahr im Amt war. Was aus dem geleakten Dokument und zusätzlichen Informationen hervorgeht, ist, dass die pakistanische Regierung bis 2009 willens war, Stillschweigen zu bewahren, weil man selbst als stiller Komplize an den Drohnenangriffen beteiligt war und sie duldete, trotz öffentlicher Kritik.

Seit einiger Zeit verändert sich aber das Verhältnis zwischen pakistanischen und amerikanischen Vertretern, der neue Regierungschef kritisiert die Drohnenangriffe mit größerer Deutlichkeit. So hoffen Experten, dass neue Leaks ans Licht kommen. Das Urteil eines Gerichts in Peshawar, wonach die pakistanische Armee jedes Recht hätte, Drohnen abzuschießen ("Drohnenangriffe sind Massenmord, ein unentschuldbares Verbrechen"), deutet laut Fachleuten in seiner Begründung darauf hin, dass das Gericht über Dokumente neueren Datums verfügte. Es wird damit gerechnet, dass die Zahlen der zivilen Opfer, auf das sich das Gericht stützte, größer sind als von den Amerikanern behauptet.