Die Künstler-Kompanie

Bundeswehr kämpft ab sofort mit Wunderwaffe Urheberrecht

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Wie aus einer Telepolis vorliegenden Klageschrift des Bundesministeriums für Verteidigung gegen die WAZ-Mediengruppe hervorgeht, operiert die Bundeswehr in Afghanistan mit einer bislang geheimen Truppe von Urhebern. Diese Kreativitätskompanie produziert Kunstwerke, die gegen den Feind ohne Rücksicht auf Verluste eingesetzt werden. Damit nicht genug, wird die Bundeswehr insoweit auch im Inneren aktiv und hat sich am Landgericht Köln verschanzt, wo sich ein jahrelanger Stellungskrieg gegen die Pressefreiheit abzeichnet. Die Gefechte sind nicht zu unterschätzen, denn es besteht erhebliche Gefahr, dass sich Journalisten totlachen.

Die Bundeswehr hatte über die Situation in Afghanistan von Sommer 2005 bis Sommer 2012 gemäß ihrer gesetzlichen Verpflichtung für Mitglieder des Deutschen Bundestags Berichte zusammengestellt, die mit dem Vermerk „Verschlusssache - nur für den Dienstgebrauch“ markiert waren. Die Dokumente wurden an Journalisten von Der Westen geleakt, die sie nicht nur auswerteten, sondern im November 2012 auf einem Server komplett veröffentlichten.

Nachdem der Leak fast fünf Monate den Spähern der Bundeswehr offenbar verborgen geblieben war, rasselten die Krieger im April mit dem Säbel. Da die Papiere nun nicht mehr geheim waren, ließ sich der Leak nicht mehr so recht mit dem Pochen auf Staatsgeheimnisse einfangen. Daher bombardierten die Strategen die WAZ mit einer urheberrechtlichen Abmahnung ab, in welcher sie den Verlag zum Unterlassen der Verbreitung aufforderten. Als die Piratenfraktion im Düsseldorfer Landtag von diesem Manöver hörte, stellte sie, wie es sich gehört, aus Solidarität einen Mirror des Leaks auf den eigenen Server.

Keine Feigheit vor dem Feind zeigte auch der westfälische Verlag und besann sich auf die westfälische Sturheit. Der im deutschen Namen geführte Krieg sei schließlich etwas, das die deutsche Öffentlichkeit ruhig interessieren dürfe:

Anhand der Papiere lässt sich der Kriegsverlauf in Afghanistan nachvollziehen. Aus den Originaldokumenten der Bundeswehr wird sichtbar, dass schon seit Jahren keine Rede von einer Friedensmission mehr sein konnte, obwohl dies von Politikern immer wieder behauptet wurde: die Papiere zeigen, wie sich Anschläge, Kämpfe und Operationen in Afghanistan über die Jahre ausweiten.

Angriff der Künstler-Kompanie

Nachdem die Strategen von der Hardthöhe den Schuss nicht so rechtzeitig gehört hatten, als dass eine einstweilige Unterlassungsverfügung noch möglich gewesen wäre, erhoben sie ein Kriegsgeschrei. Die Offensive gegen die Presse begann im Juli am Landgericht Köln. Während die Berichte selbst anonymisiert sind, erfuhr die WAZ durch die Klageschrift nun erstmals die Namen der als Zeugen benannten uniformierten Autoren (bislang noch nicht geleakt). So hatte eine der Berichterstatterinnen sogar vor Jahren einmal ganz offiziell über das einsatzbedingte Image der Bundeswehr publiziert, was den Verdacht nährt, als dass die Berichte eher Propaganda als nüchterne Informationen enthalten.

Der Jura-Kamerad vertritt die Ansicht, die Texte seien vom Urheberrecht geschützte Sprachwerke. Die uniformierten Kriegsberichterstatter müssten demnach Schöngeister sein, denen eine persönlich geistige Schöpfung gelungen sei, vgl. § 2 Abs. 2 UrhG. So rühmt denn auch der Jura-Kamerad die „eigenschöpferische Leistungen“ der Künstler-Kameraden. So hätten die Kreativen ihre nüchternen Texte mit Schaubildern und Graphiken versehen. Wirft man allerdings einen Blick auf die "Kunstwerke", so handelt es sich um einfache, serienmäßige Balkendiagramme etc., die jeder Siebenjährige seinem Computer zu entlocken vermag. Auch die Kreativität der Texte reicht nicht ansatzweise an den Grad der Originalität heran, mit welcher etwa der Verteidigungsminister seine Euro-Hawk-Geschäfte verteidigt.

Das geringe Maß der schöpferischen Leistung ist denn auch die erste Hürde, die sich der Truppe in den Weg stellt. Denn bloße Informationen wie Beobachtungen genießen für sich genommen noch kein Urheberrecht. Erforderlich zur Werksqualität ist das Erreichen einer sogenannten „Schöpfungshöhe“. Eine solche billigt die Rechtsprechung allerdings nicht einmal anwaltlichen Schriftsätzen zu, die ebenfalls nicht für den Kunstmarkt oder literarischem Genuss gedacht sind. So folgen die Berichte im Gegenteil engen Schemata, die gerade keinen Spielraum für persönliche Soldatenprosa erlauben. Der Anwalts-Kamerad meint, durch Auswahl und Einschätzung sei der Grad erreicht und berief sich auf Urteile, in denen öffentlichen Werken geringer Schöpfungshöhe Urheberrechtsschutz zugebilligt worden sei, die aber nicht so recht passen, denn in solchen ging es um wirtschaftliche Interessen konkurrierender Verlage etc.

Aufgabe des Urheberrechts ist es, die ideellen und wirtschaftlichen Interessen der Urheber und Verwerter zu schützen - nicht aber, entfleuchte Geheimnisse einzufangen. Vorliegend wurden diese Texte zu keinem künstlerischen Zweck und auch nicht zur kommerziellen Verwertung entwickelt, sondern aufgrund einer gesetzlichen Berichtspflicht. Behördliche Werke haben in gewisser Weise den Charakter von amtlichen Werken.

So nimmt das Urheberrechtsgesetz amtliche Werke aus dem Schutzbereich von vorne herein aus, da der Staat insoweit ein Interesse an Verbreitung hat, das nicht von Urheberrecht behindert werden soll – logischerweise betrifft dies nur solche Texte, die (offiziell) veröffentlich werden. Die hier streitgegenständlichen Kunstwerke sind allerdings geheime Verschlusssachen und könnten allenfalls nach Ablauf von Fristen freigegeben werden. Erst ab diesem Moment wären sie gemeinfrei.

Wunderwaffe Urheberrecht

Ob die Werke als Kriegsprosa einzustufen sind, darüber wird sich trefflich streiten lassen. Da einige der Dokumente unleserlich sind, kann man ein enthaltenes Werk von der Qualität des nächsten Harry Potter nicht ausschließen. Sollte die Bundeswehr dieses Auftaktgefecht gewinnen und ein Gericht den Texten grundsätzlich urheberrechtlichen Schutz zusprechen, so hätte die Bundeswehr im heimischen Terrain einen strategischen Vorteil. Denn im Gegensatz zum konventionellen Presserecht, bei dem Persönlichkeitsrechte gegen das ggf. höherrangige Berichtsinteresse der Öffentlichkeit abzuwägen sind, läuft dies beim Urheberrecht anders.

So sind im Urheberrechtsgesetz ausdrücklich Ausnahmen für Eingriffe ins Urheberrecht geregelt. Fremde Werke etwa dürfen u.a. von Journalisten in dem Maße zitiert werden, wie dies für eine Berichterstattung notwendig ist. Das Leaken umfangreicher Originaldokumente hingegen dürfte für einen journalistischen Bericht allerdings nicht erforderlich sein. Nach bisheriger Rechtsprechung sind die im Urheberrechtsgesetz geregelten Ausnahmen abschließend.

Die tapferen Schneiderlein und die Uniformen

Doch falls beim Inlandseinsatz der „Wunderwaffe Urheberrecht“ diese tatsächlich greifen sollte, so besteht dennoch Hoffnung. Die WAZ nämlich könnte einen Ausfall wagen und den Kriegsschauplatz von Köln nach Luxemburg verlagern. Dort nämlich sitzt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, der im Presserecht schon mal das letzte Wort hat. Die Luxemburger Richter hatten nämlich vor einem halben Jahr schon einmal in Aussicht gestellt, dass bei gravierenden Missständen die Öffentlichkeit ein Recht hat, darüber informiert zu werden – also ein "Lex Wallraff" auch für Urheberrecht.

Im dort entschiedenen Fall hatten französische Modeschöpfer auf Unterlassung geklagt, die Fotografen das Verbreiten von Bildern einer privaten Modenschau verbieten wollten. Zwar hatten die Luxemburger Richter den eitlen Couturiers die gewünschten Verbote maßgeschneidert. Allerdings ließen die Robenträger anklingen, dass die Fotografen vor allem deshalb den Kürzeren gezogen hätten, weil die sie die Bilder zu kommerziellen Zwecken verbreitet hatten. Wer Geld mit anderer Leuten geistiger Leistung verdient, bekommt hinter Löffel. Hätten die Fotos aber etwas zu einer "Debatte von allgemeinem Interesse" beigetragen, etwa über einen Skandal in der Modewelt, so wäre die Nutzung wohl von der Pressefreiheit gedeckt gewesen.

Das genau aber entspräche dem Fall des Afghanistan-Leaks. Die Öffentlichkeit hat ein legitimes Interesse daran, nachprüfen zu können, ob den Parlamentariern reiner Wein eingeschenkt wird und ob diese wiederum ihrem Kenntnisstand entsprechend redlich handeln. Der Gedanke, dass Urheberrecht dazu instrumentalisiert wird, uns vom Nachprüfen von wichtigen Erkenntnissen zu Bildung der politischen Meinung abzuhalten, grenzt ohnehin an Rechtsmissbrauch. Da die Informationen in der Welt sind und die Bundeswehr selbst keine kommerziellen Interessen an dem Text verfolgt, handelt es sich um reine Schikane. Sollte die WAZ standhaft bleiben und sich nicht vom ersten Pulverdampf verunsichern lassen, so könnte dieser Prozess über den Umweg Europa eine für das Presserecht nicht unwichtige Bedeutung haben. Feuer frei!