Das Ziel: Der Weg

Israelis und Palästinenser verhandeln gerade über die Gestaltung von Friedensverhandlungen. Die Palästinenser müssen deshalb weiter auf ihre Wahlen warten

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104 palästinensische Gefangene wird Israel, wahrscheinlich von der kommenden Woche an, schrittweise freilassen. Im Gegenzug gibt es Gespräche mit der palästinensischen Führung im Westjordanland, die sich unter Vermittlung von US-Außenminister John Kerry zunächst einmal darum drehen, worüber genau verhandelt werden soll. Sollte es einen Deal geben, dann wird er schwer umzusetzen sein: Denn die politische Lage in beiden Lagern ist ausgesprochen kompliziert. Der palästinensischen Führung fehlt es an Legitimität; dass die längst überfälligen Wahlen nun erneut verschoben werden sollen, hat die Öffentlichkeit weiter aufgebracht. Und auf der israelischen Seite gibt es zwar in der Öffentlichkeit eine Mehrheit für ein Abkommen - aber die derzeitigen politischen Konstellationen könnten eine Umsetzung trotzdem scheitern lassen. Aber, sagen die Amerikaner: So lange verhandelt wird, bleibt es wenigstens ruhig.

Sie zementieren das Heute. "Jeder Stein", sagt Eli Levy, der Bauleiter, "jeder Stein, der hier aufeinander gelegt wird, macht es wahrscheinlicher, dass wir bleiben. Die Politiker können so viel reden wie sie wollen. Wir sorgen dafür, dass es beim Reden bleibt." Für ihn ist diese Baustelle in Har Homa außerhalb von Jerusalem nicht irgendein Job: Er ist hierher gekommen, um dafür zu sorgen, dass Palästina verhindert wird, der unabhängige Staat also mit Grenzen möglichst nah an der Waffenstillstandslinie von 1949, die auch 67er-Grenze oder "Grüne Linie" genannt wird.

Denn jede Wohnung, jedes Haus, in die oder in das eine israelische Familie einzieht, wird ein Haus, eine Wohnung, sein, die nicht einfach so wieder geräumt werden kann: Weil seit den perfekt inszenierten Bildern von der Räumung der Siedlungen im Gazastreifen jede israelische Regierung beim Gedanken an Räumungen in Panik verfällt, da sie um ihre Wähler fürchten muss. Und vor allem, weil es schlicht unfinanzierbar sein dürfte, hunderttausende Menschen wieder umzusiedeln.

Extrem teuer und langwierig

Jemand, der sich beruflich mit diesem Szenarium befasst, ist Mosche. Seinen Namen möchte er nicht genannt wissen: "Es gibt auf Seiten der Siedler einige Leute, die zur Gewaltanwendung bereit sind." Und er entwickelt, gemeinsam mit anderen Forschern, an einer israelischen Universität Pläne für die technische und logistische Umsetzung von großflächigen Siedlungsräumungen. "Sie können davon ausgehen, dass es selbst in der Minimalversion extrem teuer werden wird", sagt er:

Und es wird lange dauern: Man muss ja innerhalb kürzester Zeit zehntausende Wohnungen schaffen, die dann auch noch, idealerweise, wenigstens annähernd an die Lebensqualität der Wohnungen in den Siedlungen heran reichen. Denn die Sache muss ja der Öffentlichkeit zu vermitteln sein. Grundsätzlich kann man sagen: Die Formel, wie man das erreichen kann, haben wir noch nicht gefunden. Und ich kenne auch niemanden, der sie hat.

"So gut wie unmöglich"

In der Politik ist das bekannt. "Ja, das ist derzeit eine so gut wie unmögliche Aufgabe", sagt Ehud Barak. Er ist ein ehemaliger Generalstabschef, war von 1998 bis 2001 für die Arbeiterpartei Regierungschef, und verhandelte mit Jassir Arafat in Camp David, bis die Gespräche daran scheiterten, dass Barak wegen der komplexen Lage jeglicher Handlungsspielraum fehlte. Gleichzeitig wurden während seiner Regierungszeit tausende Wohnungen in den Siedlungen gebaut. Warum? "Politik," sagt er, "Politik."

Das war bei mir so, und es war bei so gut wie jedem, der vor mir und der nach mir kam so: Sie können keine Regierung bilden, wenn sie nicht in den Siedlungen weiter bauen lassen.

Bei ihm waren es damals die Nationalreligiöse Partei, aus der später HaBajit HaJehudi hervor ging, und die rechtsgerichtete Partei russischer Einwanderer Jisrael BaAlijah, die die Fortsetzung des Siedlungsbaus forderten.

Es ist diese Situation, die dazu führt, dass die Palästinenser einen Baustopp in den Siedlungen fordern, bevor sie einem Vertreter der israelischen Regierung auch nur vor laufender Kamera guten Tag sagen. Es ist diese Situation, die bisher meist verhinderte, dass Israels Regierung sich zu einem Baustopp durchringt.

Netanjahus besonderer Kurs und die Sprachregelung

Jedenfalls offiziell. Denn Premierminister Benjamin Netanjahu fährt seit Monaten einen ganz besonderen Kurs. Das Kabinett beschließt, stets mit großem Getöse, neue Bauprojekte im Westjordanland und Ostjerusalem, genehmigt auch die Bebauungspläne. Aber wenn dann die konkreten Bauanträge vorgelegt werden, verfällt die gesamte Verwaltung, vom Militär bis zum Regierungschef, der die Anträge absegnen muss, in eine Art Trance. Immer wieder beschwerten sich Siedlervertreter im Laufe der vergangenen Monate darüber, dass absolut nichts passiere. Die Verwaltung sei halt so langsam, ruft es dann stets aus dem Lager Netanjahus; man bedauere das.

Doch den Palästinensern ist das nicht genug: Sie forderten einen offiziellen Baustopp ein, der auch die bereits laufenden Bauarbeiten umfasst. "Bei Netanjahu kann sich der Wind ganz schnell drehen", sagt ein Angehöriger der palästinensischen Delegation, die seit Montag in Washington verhandelt:

Bei etwas, dass sich hinter den Kulissen abspielt, von dem niemand genau weiß, dass es das gibt, kann man auch keinen öffentlichen Druck machen. Wir wollen die Sache offen und überprüfbar haben.

Eine schwierige Situation, auch für John Kerry, Außenminister der Vereinigten Staaten: Er hat Monate gebraucht, um hier eine Sprachregelung auszuhandeln, mit der beide Seiten und ihr Drumherum leben können. Seine Lösung: Israel lässt durchsickern, dass es einen Baustopp gibt, bestätigt es aber nicht. Und bei der 67er-Grenze einigte man sich darauf, dass Kerry sagt, die "Grüne Linie" solle die Grundlage der Verhandlungen bilden, ohne dass die Israelis offiziell widersprechen.

Hintergründe zum Gefangenenaustausch

Aber vor allem: Kerry handelte einen Gefangenenaustausch aus. Auf der Liste stehen nahezu ausschließlich Palästinenser, einige davon mit israelischer Staatsbrügerschaft, die in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren politisch motivierte Gewaltverbrechen verübt haben; 55 Zivilisten und 15 Soldaten waren dabei ums Leben gekommen.

Aus juristischer Sicht ist die Freilassung eher ein symbolischer Schritt: Auch wenn die Urteile oft Strafen wie x Mal lebenslänglich und hundert Jahre Haft beziffern, sind nach mindestens 25 Jahren regelmäßige Haftprüfungen vorgeschrieben, bei denen der Ermessensspielraum von Jahr zu Jahr geringer wird. Insgesamt konnte also ein Großteil der Häftlinge auf eine Freilassung in wenigen Jahren hoffen, zumal sich die allermeisten von ihnen bereits vor vielen Jahren von der Gewalt losgesagt haben.

Für Regierungschef Benjamin Netanjahu ist dieser Teil der Vereinbarung also ein Zugeständnis mit CE-Siegel - das dennoch die Gemüter innerhalb und außerhalb der Politik noch mehr erhitzt, als der Gefangenenaustausch mit dem Jahre lang im Gazastreifen fest gehaltenen Soldat Gilad Schalit. Denn für viele steht die Drastik der Taten in einem starken Kontrast zu den zu erwartenden Erfolgsaussichten der Verhandlungen mit der palästinensischen Führung in Ramallah, die Israel im Gegenzug bekommt.

Landtausch

Seit Montag verhandeln Zippi Livni, Israels Justizministerin, und Mohammad Schtajeh, Palästinas Minister für wirtschaftliche Entwicklung, als Chefunterhändler, sowie Jitzhak Molcho und Saeb Erekat als Personal fürs Tagesgeschäft in Washington darüber, wie die Verhandlungen gestaltet werden sollen. Will heißen: In den kommenden Wochen wird man erst einmal ausdiskutieren, über was genau geredet werden soll, und in welcher Reihenfolge. Israel will über auf alles auf einmal sprechen; die Palästinenser wollen hingegen alle wichtigen Punkte nacheinander abhaken.

Und wenn es dann losgegangen ist, dann soll das Ganze am Ende, so hofft Kerry, nicht mehr als neun Monate gedauert haben. In dieser Zeit sollen - übrigens zum, wenn man alle offiziellen Verhandlungen zusammenzählt, 56. Mal seit dem Sechs-Tage-Krieg - alle Punkte besprochen werden, die immer besprochen werden: die Siedlungen. Ost-Jerusalem. Die Flüchtlingsfrage. Die Grenzziehung - um nur die wichtigsten zu nennen. "Wir wissen, dass es schwierig werden wird", sagt Livni. Und Erekat pflichtet ihr bei: "Wir werden hoffentlich bald Lösungen finden."

Bei der Frage der Siedlungen, so viel ist klar, läuft es auf einen Landtausch hinaus: Israel wird die großen Siedlungsblöcke behalten, und den Palästinensern dafür Flächen abtreten, die bisher zum israelischen Staatsgebiet gehören. Der Teufel steckt allerdings auch hier im Detail: Die fruchtbaren Gebiete nördlich des Westjordanlandes, die die Palästinenser gerne hätten, werden allerdings zwar von Arabern bewohnt, die sich allerdings in der Vergangenheit mehrmals mit sehr großer Mehrheit dagegen ausgesprochen haben, Teil Palästinas zu werden. Und südlich des Westjordanlandes gibt es nur Wüste.

Israelische Regierung: Palastrevolution im Entstehen

Doch selbst ein Deal "Siedlungen gegen Wüste" dürfte sehr schwer durchsetzbar sein, und das liegt vor allem an dem Gefangenenaustausch. Denn das Kabinett beschloss kurz zuvor auch, dass ein Landtausch in einem Referendum zur Abstimmung gestellt wird. Damit wollte Netanjahu verhindern, dass HaBajit HaJehudi sofort die Regierung verlässt. Denn weil nur 24 Stunden später der Staatsetat, der von tiefgreifenden Einschnitten in den Sozialhaushalt geprägt ist, zur Abstimmung stand, wurde die Partei noch gebraucht.

Offen sagten Netanjahu-Mitarbeiter, dass man direkt danach gerne auf die Siedler verzichten werde - die Arbeiterpartei hat bereits zugesagt, mit ihren 15 Abgeordneten in die Regierung eintreten zu wollen, falls Netanjahu es mit den Verhandlungen ernst meint. Nur: Den Haushalt mittragen - "Nein". In einem Filibuster blockierten die Sozialdemokraten die Abstimmung, bis der Premier sich bereit erklärte, einige der Streichungen rückgängig zu machen.

Doch nun, da die Gespräche begonnen haben, Netanjahu nicht müde wird zu betonen, dass er dieses Mal den gesamten Weg gehen wird, ist klar geworden, dass auch die Arbeiterpartei nicht verhindern können wird, dass es ein kurzer Weg wird.

Denn seinem eigenen Wahlbündnis Likud/Beitenu wird der Stress mit den Verhandlungen und dem Gefangenenaustausch, zwei Dingen, die eigentlich gegen die Ideologie dieses eigens für die Wahlen gegründeten Pakts aus Likud-Block und der rechtskonservativen Jisrael Beitenu, gehen, zu viel - das Bündnis im Großen und der Block im Kleinen stehen vor dem Kollaps.

Gerade mal acht der Likud-Abgeordneten, und keiner aus den Reihen von Jisrael Beitenu unterstützten den Regierungschef bei seinem Kurs, hat eine interne Umfrage der Parteiführung ergeben. Dass sie angefertigt wurde, und dass sie durchsickerte, sind in Israel gute Anzeichen dafür, dass eine Palastrevolution im Werden ist. Dass Netanjahu dennoch nichts tut, um den Likud zu besänftigen, deutet darauf hin, dass er auf dem Weg nach draußen ist. Die Gerüchte sind jedenfalls da. Ob es möglich sein wird, hängt davon ab, wie sich die Neupartei Jesch Atid unter Führung von Jair Lapid dazu stellen wird. Bis jetzt hält sie sich aus der Außenpolitik vollständig zurück.

Palästinensische Regierung setzt auf die israelische Öffentlichkeit

Die palästinensische Regierung hat es allerdings auch nicht viel einfacher. Der Widerstand gegen die Verhandlungen ist vor allem innerhalb der Palästinensischen Befreiungsorganisation, die für die außenpolitischen Fragen zuständig ist, groß. Viele betrachten die Rückkehr an den Verhandlungstisch als Augenwischerei, fordern, man solle doch lieber auf den nun eingeschlagenen Kurs setzen - einen Kurs unilateraler Schritte, die die internationale Anerkennung des Staates Palästinas weiter voran treiben, und damit den Druck auf Israel erhöhen sollen.

Präsident Mahmud Abbas und sein Lager halten dagegen, das würde absolut nichts bringen, so lange in Israel die Blockierer an der Macht sind. Man müsse die israelische Öffentlichkeit erreichen, und das gehe nur über Zugeständnisse und Deals.

Dass Israels Regierung ein Referendum abhalten will (was allerdings noch durchs Parlament muss), begrüßt man hier: Die Hoffnung ist, dass die israelische Öffentlichkeit vor allem nach den viel beachteten Worten von US-Präsident Barack Obama im März, eher für einen Deal stimmen wird, als das Parlament mit seiner zersplitterten Struktur. Umfragen nähren diese Hoffnungen: Nur knapp mehr als 20 Prozent der Israelis sind komplett gegen alles. Ein Landtausch würde eine breite Mehrheit finden; selbst in der Frage Ost-Jerusalems wäre für mittlerweile 51 Prozent der Befragten eine Lösung erzielbar - wenn die Stadt nicht physisch geteilt werden würde.

Allerdings: Was überhaupt in einem Referendum zur Abstimmung gestellt werden würde, hängt von der Regierungspolitik ab. Und die hängt wiederum davon ab, wie weit Netanjahu gehen wird.

Abbas muss etwas wirklich Gutes bekommen

Was wiederum das wirkliche Problem für Abbas darstellt: Er muss etwas wirklich Gutes bekommen, um die Öffentlichkeit dafür zu begeistern. Denn die ist nahezu komplett gegen ihn. Die Abneigung hat innenpolitische Gründe: die Wirtschaftskrise, aber auch die Verhandlungen mit der Hamas im Gazastreifen, die nie ein Ergebnis bringen. Aber mehr als dies: Abbas hat sich im Laufe der vergangenen Monate zunehmend zu einer Art Diktator entwickelt, der das eigentlich vorgeschriebene Regierungssystem weitgehend ausgehölt hat.

So ersetzte er den zurück getretenen Premierminister Salam Fajad, der viele Funktionäre durch seine notorische Weigerung, Geld in dunkle Kanäle zu pumpen, verärgert hatte, durch einen Mann namens Rami Hamadallah, der keine politische Erfahrung hat, ließ ihn vor seiner Vereidigung öffentlich schwören, genau das zu tun, was Abbas sagt, und stellte ihm zur Sicherheit zwei Vertraute als stellvertretende Regierungschefs beiseite. Nach 18 Tagen warf Hamdallah das Handtuch. Zwar ist er de facto noch im Amt.

Aber, seit er wutentbrannt aus dem Büro des Regierungschefs stürmte, und ohne seine Sicherheitsleute nach Hause fuhr, wurde er nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen; Abbas regiert seitdem allein. Immerhin hatte er, damals im Juni, noch einmal versprochen, es werde nicht lange so gehen, in drei Monaten werde es endlich die überfälligen Wahlen für Parlament und Präsidentschaft geben, notfalls auch ohne die Hamas.

Bislang waren es die stets scheiternden Versöhnungsgespräche mit der Hamas, die als Begründung dafür genannt wurden, warum es keine Wahlen gibt - eine Begründung, die die Hamas weit von sich weist: Man sei jederzeit zur Versöhnung bereit, wenn die Fatah den Teil der Macht aufgibt, der der Hamas dem letzten Wahlergebnis zufolge zusteht. Abbas und die Fatah seien dazu aber nicht bereit.

Nun sind es aber die Verhandlungen mit Israel, die wieder einmal zur Verschiebung der Wahlen geführt haben. In der derzeitigen Situation seien Stabilität und Kontinuität notwendig, sagte Abbas Anfang der Woche; die Palästinenser hätten eine "historische Chance" auf einen Friedensvertrag mit Israel.

Doch viele Palästinenser zweifeln daran: Sie haben es schon 55mal vorher miterlebt.