Fall Mollath: "Der Schaden für die Justiz ist sehr groß"

Interview mit dem Vorsitzenden der Initiative Bayerischer Strafverteidiger und Strafverteidigerinnen - Demonstration am Freitag

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Der Fall des seit über sieben Jahren in der Forensischen Psychiatrie in Bayreuth einsitzenden Gustl Mollath hat nach Meinung mancher längst das Fundament des Rechtstaates erschüttert. Nun erheben auch die Mitglieder der Initiative Bayerischer Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger das Wort. Am Freitag wollen die Rechtsanwälte vor dem Landgericht in Regensburg in Sachen Gustl Mollath und anderen Unterdrückten demonstrieren. Die 7. Strafkammer des Landgerichts in Regensburg war es, die vergangene Woche beide Wiederaufnahmeanträge in der Causa Mollath abgewiesen hat (Regensburger Gericht lehnt Wiederaufnahmeantrag im Fall Mollath ab).

Im Interview mit Telepolis lässt der Vorsitzende der Initiative Bayerischer Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger, Jan Bockemühl, kein gutes Wort an der Entscheidung aus Regensburg. Insbesondere die Tatsache, dass die Kammer Mollaths Ex-Frau für glaubwürdig hielt, kritisiert der Anwalt scharf.

Herr Bockemühl, das Regensburger Landgericht hat vergangene Woche die beiden Wiederaufnahmeanträge im Fall Gustl Mollath abgewiesen. Sie haben sich den Beschluss angeschaut. Wie war ihr erster Eindruck?

Jan Bockemühl: Mein erster Eindruck nach der Lektüre des Beschlusses war, dass hier nicht sein konnte, was nicht sein sollte.

Warum? Was stört Sie an der Entscheidung der Regensburger Richter?

Jan Bockemühl: Mich stört insbesondere an der Entscheidung des Regensburger Landgerichtes, dass hier bereits in der sogenannten Zulässigkeitsprüfung das Gericht an jeder nur erdenklichen Stelle "zu Ungunsten der Zulässigkeit" entschieden hat.

Und das bedeutet?

Jan Bockemühl: Dieses Vorgehen verstößt gegen eindeutige Rechtsprinzipien, die sich im Wiederaufnahmerecht herausgebildet haben, denn es ist innerhalb der Rechtsprechung herrschende Meinung, dass im Stadium der Zulässigkeitsprüfung "im Zweifel für die Zulässigkeit" zu entscheiden ist.

In einer weiteren Phase des Wiederaufnahmeverfahrens wird von einer "Begründetheitsprüfung" gesprochen, d.h., die Aspekte, um es einfach zu sagen, die dazu geführt haben, dass es zu einer Zulassung kommt, werden dann weiter geprüft.

Jan Bockemühl: Richtig. In diesem späteren Stadium mag dann eine andere Bewertung als zuerst in der Phase zur Überprüfung der Zulässigkeit erfolgen. Aber bekanntermaßen hat das Landgericht Regensburg hier bereits die Zulässigkeit der beiden Wiederaufnahmeanträge verneint. Dieses ist aus meiner Sicht eindeutig zu beanstanden.

Entscheidung im Zweifel zu Ungunsten der Wiederaufnahme

Haben Sie weitere Beispiele für die Unzulänglichkeit des Beschlusses?

Jan Bockemühl: Übereinstimmend hatten sowohl die Verteidigung als auch die Staatsanwaltschaft Regensburg in ihren Anträgen zur Wiederaufnahme des Verfahrens plausibel und schlüssig die Wiederaufnahmegründe einer unechten Urkunde, neuer Tatsachen und neuer Beweismittel vorgebracht. Das Landgericht Regensburg hat hier an jeder "Schnittstelle" zu Ungunsten einer Wiederaufnahme entschieden. Genauso ist es mit den Angaben der Kronzeugin Petra M.. Die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben, ja auch die Glaubwürdigkeit der Zeugin, hätte erst im Stadium der Begründetheitprüfung stattfinden können und müssen. Das Landgericht Regensburg hat hier in seiner Entscheidung voreilig eine Relevanz der vorgetragenen Wiederaufnahmegründe negiert, um die Unzulässigkeit herzuleiten.

Jan Bockemühl

Sie sprechen die Ex-Frau von Mollath, Petra M. an. Wie Sie sagen, macht die Kammer in ihrem Beschluss offensichtlich deutlich, dass sie scheinbar keine Zweifel an den Aussagen der Zeugin hat. Im Sonderrevisionsbericht der HypoVereinsbank kommt jedoch ein recht zweifelhaftes Bild der Ex-Frau zum Vorschein. Dort ist die Rede davon, dass sie "äußerst spitzfindig argumentierte" und dass "insgesamt anzumerken [ist], dass sich Frau M. wenig kooperativ zeigte…". Deutlich wird in dem Bericht auch, dass Mollaths Ex-Frau im Zuge der Bankermittlungen "ihre Wahrheit" den Ermittlungskenntnissen anzupassen scheint. Was meinen Sie, warum schenkt das Gericht den Aussagen von Petra M. dennoch glauben?

Jan Bockemühl: Genau. Hier bin ich der gleichen Auffassung wie Sie. Ich meine tatsächlich, dass das Gericht sich "befangen" für eine Glaubwürdigkeit von Petra M. entschieden hat. Wieso bleibt meines Erachtens gänzlich im Nebulösen. Die von Seiten der beiden Wiederaufnahmeführer vorgebrachten neuen Tatsachen und neuen Beweismittel hätten "im Zweifel" zur Zulässigkeit des Wiederaufnahmeantrags führen müssen.