"Russisches SOPA" tritt in Kraft - 1.500 Websites streiken

Am 1. August trat in Russland ein Gesetz gegen Internetpiraterie in Kraft. Proteste und Kritik gab es nicht nur von Internetaktivisten sondern auch von russischen IT-Unternehmen

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In einer Rekordzeit von nur zwei Wochen hatte die Duma im Juni ein Gesetz gegen Internet-Piraterie verabschiedet. An diesem Donnerstag traten die neuen Anordnungen in Kraft. Das neue Gesetz sei dem amerikanischen Stop Online Piracy Act (SOPA) ähnlich, welches im Januar 2012 aufgrund öffentlicher Proteste zurückgezogen wurde, sagen die Kritiker von der russischen Piraten-Partei.

Das "russische SOPA" erlaubt der Behörde Roskomnadsor ein Website abzuschalten, die ohne Einwilligung der Urheber Video-, Kino- oder Fernsehproduktionen zeigt oder Links zu diesen Produktionen veröffentlicht. Was die Kritiker des Gesetzes besonders stört: Websites, die das Urheberrecht missachten, können bereits vor einer gerichtlichen Entscheidung blockiert werden. Urheberrechtlich geschützte Musikproduktionen fallen nicht unter das neue Gesetz.

Das russische Gesetz war kaum in Kraft getreten, da forderte die russische Filmgesellschaft "Kino ohne Grenzen" beim Moskauer Stadtgericht schon Sanktionen gegen das russische soziale Netzwerk Vkontakte.ru. Dem Netzwerk wird vorgeworfen, dass es fünf ausländische Filme zum kostenlosen Herunterladen anbietet. Das Gericht weigerte sich jedoch, die Klage anzunehmen. Die Filmgesellschaft habe nicht nachweisen können, dass sie die Rechte über die Streifen hat, hieß es von Seiten des Gerichts.

Lebensnerv: Torrent-Tracker

Wenn es um Einschränkungen im Internet geht, werden die Russen hellhörig. Mit 64 Millionen Internet-Usern hat Russland die größte Netz-Gemeinde Europas und das am Donnerstag in Kraft getretene Gesetz betrifft Millionen Russen, die es gewohnt sind, über Torrent-Tracker kostenlos die neuesten Produktionen ausländischer Filmproduzenten herunterzuladen.

So war es kein Wunder, dass der Fernsehkanal NTW in den Abendnachrichten versuchte, Ängste vor dem neuen Gesetz zu vertreiben. Man lud kritische IT-Experten vor die Kamera, die erklären durften, welche Möglichkeiten es für russische Websites gibt, weiterhin begehrte Filme aus dem Ausland zum kostenlosen Herunterladen anzubieten. Gleb Schuklin von der Russischen Assoziation für Elektronische Kommunikation etwa erklärte, eine Website könne über verschiedene IP-Adressen und durch verschiedene Länder "wandern", weshalb es kaum möglich sei sie "operativ und für immer zu fangen".

Die russische Piratenpartei sieht das anders. Auf ihrer Website, warnte die Partei vor "der Illusion", russische Programmierer würden schon Wege finden, um die Sperrung von Websites zu umgehen. Es sei abzusehen, dass die russischen Behörden versuchen werden, auch die Umwege zu blockieren. Das einzige, was jetzt helfe, sei deshalb entschiedener Protest.

Verlust von angeblich zwei Milliarden Dollar jährlich für die Kino-Branche

Wie der Chef der Filmgesellschaft STW, Sergej Seljanow, gegenüber dem News-Portal Gazeta.ru erklärte, nutzen 17 bis 20 Millionen Russen die Dienste der Torrent-Tracker. Nach Einschätzung des Experten, der das neue Gesetz begrüßt, verliert die Kino-Industrie auf dem Territorium Russlands durch Internet-Piraterie jährlich zwei Milliarden Dollar.

Doch wenn die russische Kino-Industrie Geld verdienen will, warum richtet sie dann keine Bezahldienste zum Herunterladen von Filmen ein und verkauft über das Internet nur DVDs, wundern sich Beobachter. Der Grund für diesen schlechten Service ist offenbar, dass das Herunterladen gegen Geld ein Einfallstor für schlaue Piraten ist.

"Das ganze Haus verhaften"

In vielen russischen Städten hatte es in den letzten Tagen kleine und etwas größere Protestkundgebungen gegen das "russische SOPA" gegeben. In Moskau versammelten sich zu einer von der russischen Piratenpartei organisierten Kundgebung mehrere hundert Menschen.

Außerdem traten am Donnerstag aus Protest gegen das neue Gesetz 1.500 russische Internetseiten in einen Streik. "Alle ihre geliebten Seiten können blockiert werden", stand in großen roten Lettern auf der Startseite des beliebten Musikportals zaycev.net. Das Musikportal selbst war nicht zugänglich. Die Nutzer wurden aufgefordert, eine Petition gegen das neue Gesetz zu unterschreiben. Am Donnerstagnachmittag waren bereits 65.000 der nötigen 100.000 Unterschriften zusammen.

Schwammige Formulierungen

Was die Kritiker des "russischen SOPA" besonders ärgert, sind die schwammigen Formulierungen des Gesetzes. Die Gesetzesmacher hätten auch keine Ahnung von der Internet-Technologie. Websites, die mit dem neuen Gesetz in Konflikt kommen, sollen über die IP-Adressen abgeschaltet werden sollen. Da aber oft sehr viele Websites über eine IP-Adresse laufen, müssten nun auch völlig unbeteiligte Websites Sanktionen fürchten. Das sei in etwa so, als wenn man in einem Haus, wo ein Krimineller wohnt, alle Hausbewohner verhafte, meinen die Kritiker.

Auch böswillige Attacken auf Websites mit politischem oder wirtschaftlichem Hintergrund werden möglich. Denn ein einziger Eintrag auf einem Internetportal mit einem Link zu einem urheberrechtlich geschützten Werk, könnte den Behörden schon reichen, um die gesamte Webseite abzuschalten, so fürchtet man. Suchmaschinen machen sich bei strenger Auslegung des neuen Gesetzes ebenfalls strafbar, da sie "den Zugang zum Material" ermöglichen.

Massive Kritik an dem neuen Gesetzeswerk kommt auch von der russischen IT-Unternehmen. Diese hatten bereits Ende Juni in einem offenen Brief vor der Annahme des Gesetzes gewarnt, da es die Bedingungen für die IT-Industrie in Russland massiv verschlechtere. Zu den Unterzeichnern des Offenen Briefes gehören bekannte Firmen wie die russische Suchmaschine Yandex.ru, der E-Mail-Provider Mail.ru, Googel und das Internet-Handelshaus Ozon.ru. Doch kein einziger, der von den Brief-Autoren eingereichten Verbesserungsvorschläge für das Gesetz, wurde von den Duma-Abgeordneten berücksichtigt.

Die Russische Assoziation elektronischer Kommunikation (RAEK) will nun versuchen, dass die Lage im russischen Internet für die kritischen Nutzer unter Kontrolle bleibt. Die Assoziation hat die Einrichtung einer Website mit dem Namen RuTakedown angekündigt. Auf dieser Seite sollen die Namen der blockierten Websites bekannt gegeben und Rechtschutztipps veröffentlicht werden.