Fall Mollath: Blamage für 7. Strafkammer des Regensburger Landgerichts

Oberlandesgericht befürchtet von den Regensburger Richtern kein objektives Urteil

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Gustl Mollath ist ein freier Mann. Es wird erwartet, dass er alsbald sein Gefängnis, die Forensische Psychiatrie in Bayreuth, verlassen wird. Das Oberlandesgericht in Nürnberg (OLG) hatte am Vormittag einen entsprechenden Beschluss erlassen. Und der Beschluss hat es in sich: Viel vernichtender hätte die Entscheidung der Nürnberger Richter für die Vorsitzenden der 7. Strafkammer des Regensburger Landgerichts nicht ausfallen können.

Die 7. Strafkammer in Regensburg war es, die am 24. Juli nach einer mehrmonatigen Prüfung die beiden Wiederaufnahmeanträge in Sachen Mollath komplett abgewiesen hat. Die Entscheidung wurde heftig kritisiert (Fall Mollath: "Der Schaden für die Justiz ist sehr groß"). Nun hat der 1. Strafsenat des OLG zügig entschieden und den umstrittenen Beschluss kassiert.

Die Richter haben außerdem die Wiederaufnahme des Strafverfahrens gegen Mollath beschlossen, wie es in einer Pressemitteilung vom OLG heißt. Mit anderen Worten: Für Gustl Mollath wird es eine neue Hauptverhandlung geben. Genau das wollten er und seine Verteidiger erreichen. Denn nur in einem neuen Verfahren besteht für Mollath die Chance voll rehabillitiert zu werden. In der Pressemitteilung des OLG heißt es nüchtern:

Mit der Anordnung der Wiederaufnahme des Verfahrens ist die Rechtskraft des Urteils aus dem Jahr 2006 entfallen und damit auch die Grundlage der Vollstreckung. Infolgedessen war der Untergebrachte unverzüglich zu entlassen.

In der Pressemitteilung wird auch darauf eingegangen, dass die neue Hauptverhandlung, die ebenfalls vor dem Regensburger Landgericht stattfinden wird, nicht von der 7. Strafkammer entschieden werden darf.

Im Beschluss wird diese Entscheidung des OLG deutlicher, dort heißt es, dass

die Hauptverhandlung vor einer anderen Strafkammer des Landgerichts Regensburg stattzufinden hat, weil angesichts der im angefochtenen Beschluss getroffenen Rechtsausführungen und insbesondere auch der zu weiteren Wiederaufnahmegründen in dem Wiederaufnahmeanträgen getroffenen umfassenden Beweiswürdigungen zu besorgen ist, dass die bisher mit der Sache befassten Richtern sich bereits festgelegt haben.

Anders ausgedrückt: Der 1. Strafsenat erwartet von den Richtern der 7. Strafkammer aufgrund ihrer bisherigen Rechtsauffassung in Sachen Mollath kein objektives Verfahren. Schallender kann eine Ohrfeige kaum ausfallen. Doch das OLG hat offensichtlich klare Gründe, warum es so entschieden hat.

Die unechte Urkunde

Ein wesentlicher Gesichtspunkt für ein Wiederaufnahmeverfahren in Sachen Mollath dreht sich um das Attest, das Mollaths Ex-Frau in der Hauptverhandlung vorgelegt hat. Dieses Attest, das angeblich die körperlichen Verletzungen dokumentiert, die Mollath seiner Frau zugefügt haben soll, wurde von dem Arzt Markus Reichel ausgestellt [Fall Mollath: Oberlandesgericht Nürnberg verwirft Beschwerde). Dieser war damals als Weiterbildungsassistent in der Arztpraxis seiner Mutter beschäftigt. Aus dem Attest geht allerdings nicht deutlich hervor, dass Markus Reichel selbst das Attest ausgestellt hat, da auf dem Attest mehrmals der Name seiner Mutter auftaucht, z.B. im Briefkopf und im Stempel.

In den Wiederaufnahmeanträgen wurde klargestellt, dass es sich bei dem Attest nur um eine unechte Urkunde handeln kann. Doch die Richter aus Regensburg sahen das alles anders. Die 7. Strafkammer argumentierte beispielsweise:

Wer eine urkundliche Erklärung für einen anderen abgibt und dessen Namen verwendet, stellt keine unechte, sondern eine Echte Urkunde her, wenn er den Namensträger vertreten will, wenn dieser sich vertreten lassen will und wenn der Unterzeichnende den Namensträger rechtlich vertreten darf.

Doch der 1. Strafsenat bewertet nun den Sachverhalt um das Attest differenzierter. Zwar sei es in der Tat so, dass es in verschiedenen Rechtsbereichen erlaubt ist, stellvertretend auch Urkunden sogar mit dem Namen der Person, die man vertrete, zu unterschreiben, aber in dem konkreten Fall werde eben gerade eine "nicht geschäftliche Erklärung" abgegeben, da hier "jemand seine höchstpersönlichen Wahrnehmungen wiedergibt", erklärt das Gericht in seiner Pressemitteilung.

Anders gesagt: Da dem Attest letztlich eine persönliche Untersuchung und mit der Attestaustellung folgend die vom OLG angesprochene "persönliche Wahrnehmung" zugrundeliegt, bewertet das Gericht das Attest als unecht.

Die Gründe, die laut Strafprozessordnung zu einer Wiederaufnahme eines Verfahrens führen dürfen, sind, klar geregelt. Das OLG verweist darauf, dass eine Wiederaufnahmegrund dann vorliegt, "wenn eine in der Hauptverhandlung zu Ungunsten des Verurteilten vorgebrachte Urkunde 'unecht' ist." Und das OLG weiter:

Unecht ist eine Urkunde dann, wenn sie auf einen Aussteller hinweist, von dem die Erklärung tatsächlich nicht stammt.

So einfach kann Recht sein.

Wer sich hingegen die langen Ausführungen des Landgerichts Regensburg durchliest, mit denen die Richter begründen wollten, dass das Attest eben gerade keine unechte Urkunde ist (nachzulesen ab Seite 8 hier) kann verstehen, warum das OLG bei der Sachlage so deutlich und zügig entschieden hat.

Aus einer Erklärung zur aktuellen Entwicklung, die Mollaths Verteidiger Gerhard Strate auf seiner Webseite veröffentlicht hat, lässt sich erahnen, dass auch die Richter des 1. Strafsenats um die Bedeutung einer raschen Entscheidung wussten. Laut Strate habe der zuständige Richter ihn am Vormittag angerufen und mitgeteilt, dass es in dem Fall seines Mandanten "um Freiheitsrechte" gehe. Daher habe das Gericht erst gar nicht die Beschwerdebegründung der Verteidigung abgewartet und aufgrund der klaren Sachlage eine Entscheidung zugunsten von Mollath getroffen.

Merk: "Mein Ziel ist erreicht."

Franz Schindler, der Rechtsexperte der SPD in Bayern, hatte hingegen noch am Tag, als die Ablehnung der beiden Wiederaufnahmeanträge entschieden wurde, erklärt, er sehe in der Entscheidung ein gutes Zeichen für die Unabhängigkeit der Justiz, wie der Bayerische Rundfunk berichtete. Sie habe dem Druck nicht nachgegeben und nachvollziehbar entschieden.

Die Grünen in Bayern begrüßen derweil die Entscheidung des OLG und werfen zugleich Justizministerin Beate Merk und Ministerpräsident Horst Seehofer ein "unsägliches Pharisäertum" vor. Die Staatsregierung sei "aufgrund ihrer Strategie des Vertuschens und Lügens wesentlich dafür mitverantwortlich, dass Gustl Mollath über so viele Jahre weggesperrt gewesen" ist, erklärt Martin Runge von den Grünen.

Die bayerische Justizministerin hebt derweil ihre Rolle in der Mollath-Afffäre hervor. In einer Pressemitteilung erklärt sie, sie empfinde "große Zufriedenheit" darüber, dass nun Klarheit geschaffen werden könne. "Mein Ziel, mit Anordnung des Wiederaufnahmeantrages den Fall neu aufzurollen, ist erreicht!"

Runge sagte weiter, es gälte jetzt den "ramponierten Ruf" der Justiz wiederherzustellen - "was ein mühsames Unterfangen sein dürfte." Auch bleibe die Forderung stehen, "die Verantwortlichen, soweit dies noch möglich ist, zur Rechenschaft zu ziehen".

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