Schweden: Personendaten als Goldgrube für Behörden und Firmen

Das skandinavische Land ist für seine gläserne Bürger bekannt, hier kann jeder die Steuererklärung seines Nachbarn einsehen

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Doch die Datentranzparenz, die in der Tradition einer offenen, sozialdemokratischen Gesellschaft begründet liegt, ist nun mit einem üblen Nachgeschmack behaftet: die liberale Zeitung Dagens Nyheter hat aufgedeckt, dass die schwedischen Behörden die Personendaten an Firmen verkaufen, die dann ihre Adressaten gezielter ansprechen beziehungsweise bewerben können.

Aufgeflogen ist das Business durch den 62-jährigen Ingenieur und Selbstständigen Örjan Sahlin. Der Mann im schwedischen Pensionsalter wurde in einem persönlich gehaltenen Brief eines Pharmaunternehmens gefragt, ob er denn nachts oft austreten müsse. Ihm wurde ein Mittel gegen Inkontinenz offeriert. Nach telefonischer Nachfrage bei dem ungebetenen Werber erklärte die Firma, sie habe die Daten von einem Marktforschungsinstitut, dieses wiederum hatte sie beim Firmenregistrierungsamt gekauft, das dem Wirtschaftsministerium untergeordnet ist. Auf eine Beschwerde wurde ihm vom Amt entgegnet, dies sei nach schwedischem Datenschutzgesetz legal.

Auch die Behörde für Transport und Verkehr, die "Zentralstelle für Ausbildungsförderung" sowie das Finanzamt sind am Datenverkauf beteiligt, wie die Zeitung heraus fand. Allein die 2009 gegründete Transportbehörde habe bereits in einem Jahr umgerechnet 3,4 Millionen Euro mit dem Datentransfer verdient. Wer zum Beispiel wissen will, welche Frauen ein Auto mit einer Anhängerkupplung besitzen, kann dort die Adressen kaufen. Bei einer Großbestellung gibt es Mengenrabatt, 50 Öre (rund 5 Cent) pro Adresse, anstatt zwei Kronen.

Doch wer alles von den insgesamt 245 Behördenstellen persönliche Daten verkauft und wer nicht, konnte noch nicht ermittelt werden, der schwedische Staat ist nicht ganz so gläsern wie seine Bürger. Von Seiten der Datenschutzbeauftragten kam bislang keine klare Antwort, ob dies nun legal oder illegal sei, der Sachverhalt sei jedoch "bemerkenswert" es bestehe jedoch Klärungsbedarf. Die schwedische Datainspektionen hat nun einen Beauftragten zum Firmenregistrierungsamt geschickt, um zu überprüfen, ob es dort nicht zu Kompetenzüberschreitungen gekommen ist.

Auch Opposition und Regierung fördern oder versprechen eine Kontrolle dieser Praxis, doch bleiben sie in der Wortwahl vorsichtig, das schwedische "Öffentlichkeitsprinzip" stehe nicht zur Debatte.

Veronica Palm, Fachfrau für Konsumfragen der oppositionellen Sozialdemokraten fordert zumindest ein Mitspracherecht der Bürger vor dem Verkauf ihrer Daten.

Um seine persönlichen Daten zu schützen, konnte man bislang beantragen, in ein Sperrregister namens NIX aufgenommen zu werden. Damit können Firmen die Daten von Privatpersonen nicht einsehen und keine Direktwerbung versenden. Doch die Prozedur scheint umständlich und nur wenigen geläufig zu sein. In den Blogs und Leserkommentaren der Zeitungen ist das Interesse mäßig, Resignation herrscht vor.

Örjahn Sahlin nimmt die Angelegenheit jedoch ernst. Er befürchtet Cyberkrimininalität und Identitätsdiebstahl - jemand könne mit seinen Daten seine Hausadresse ändern oder Waren im Internet bestellen, erklärte er gegenüber der Zeitung Dagens Nyheter. Die Stellungnahme der schwedischen Datenschützer zu dieser Frage ist nicht vor dem späten Herbst zu erwarten.