Wenn Natur zur Ersatzreligion wird

Der Historiker Andreas Möller über die Ideologie des Ökologischen, Biedermeier und die Grünen

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Der Historiker Andreas Möller hat mit seinem Buch Das grüne Gewissen einen bedeutenden Beitrag zur soziologischen Entzauberung grüner Grundpositionen geleistet. Telepolis sprach mit dem Autor.

Carl Spitzweg: Der Kaktusfreund. Bild: The Yorck Project/public domain

Herr Möller - warum sind Zeitschriften wie Landlust, wie Sie schreiben, "Volksmusik zum Lesen"?

Andreas Möller: Weil sie das Bedürfnis nach einer heilen, in der Regel mit Attributen wie Ländlichkeit und Natur assoziierten, Welt stillen, und zwar ohne die Annehmlichkeiten der modernen Zivilisation in Frage stellen zu müssen. Es ist ja eine gewisse Paradoxie, dass entsprechende Produkte vor allem von einer städtischen Klientel in Millionenauflage gelesen werden. Insofern gibt es dort, was das Naturbild anbelangt, sehr starke Projektionen, die mit der Realität derer, die tatsächlich von der Natur auf dem Land leben, sehr wenig zu tun haben.

"Solvente, akademische und urbane Kreise in den USA und Europa"

Ist dieses Phänomen international oder etwas typisch Deutsches?

Andreas Möller: Es ist nichts typisch Deutsches. Ich denke ohnehin, dass über die Deutschen viele Mythen im Umlauf sind. Die deutsche Technikfeindlichkeit ist zum Beispiel ein Mythos, wenn man sich ihre Technikaffinität etwa im Gebrauch der Haushaltstechnologie wie etwa bei Küchengeräten und Waschmaschinen etcetera ansieht.

Gleichfalls ist es ein unhinterfragter Mythos, dass andere Länder nicht auch eine entsprechende Loha-Kultur aufzeigen würde. Organic food beispielsweise war in den USA, vor allem in Kalifornien schick, bevor die Welle nach Deutschland schwappte. Diese Bewegung existiert in solventen, akademischen und urbanen Kreisen in den USA und Europa, zum Beispiel auch in den Niederlanden und Österreich.

Gleichwohl hat es außer in Deutschland noch niemand zum grünen Vizekanzler geschafft und das schon gar nicht in einem Industrieland. Das liegt daran, dass in Deutschland, wenn sich ein Thema zum common sense entwickelt hat, es für dieses besonders leicht ist, in die Mitte und alle Teile der Gesellschaft fortgetragen zu werden. Die deutsche Gesellschaft ist im Gegensatz zu den USA sehr stark konsensorientiert. Insofern haben es Mainstream-Positionen leichter, sich durchzusetzen.

"Es gibt keine andere Partei, bei der die Animationen so funky sind"

Hatte diese Mainstreamisierung von ökologischen Positionen damit zu tun, dass die Grünen eine ganz normale, neoliberale und Kriege führende Partei geworden ist?

Andreas Möller: Wenn man sich die Ur-Grünen in den Achtziger Jahren mit Petra Kelly ansieht, die 1983 Helmut Kohl zur Wiederwahl statt einem Blumenstrauß einen Tannenzweig überreichte, ist klar, dass es diese Partei schwer gehabt hätte, in der Mitte zu landen, weil ihre politischen Positionen mit einem massiven Konsumverzicht einhergingen. Die Grünen kamen zu dieser Zeit aus der Anti-Atomkraft-, Umweltschutz-, Feminismus- und Friedensbewegung, das ist heute vollkommen anders.

Deswegen sind sie ja auch für meine Generation (ich bin Ende 30) allein aus soziokulturellen Gründen so attraktiv, die weder CDU noch SPD wählt. Die Grünen haben es hier einfach, den Lifestyle dieser Generation perfekter als jede andere Partei zu verkörpern.

Ich war vor einem Vierteljahr bei der Party "30 Jahre Grüne im Bundestag" im Hangar des Flughafen Tempelhof, und ich muss sagen, es gibt keine andere Partei, bei der die Musik so gut ist (diverse DJs legten elektronische Musik auf) und bei der die Animationen so funky und doch nachhaltig zugleich sind (Sarah Wiener kochte). Man kann die smarte Mittelschicht kulturell gut bedienen, weil man selber aus ihr stammt und dies mit grünen Werten verbindet. Die Grünen repräsentieren die urbanen Eliten, nur erliegen diese nicht dem Rausch des Geldes, sondern propagieren den neuen urbanen, umweltbewussten und trendigen Lebensstil.

Das private Glück im Kleinen

Ist das der neue Biedermeier?

Andreas Möller: Ich glaube, dass diese Bewegung in der Tat etwas sehr Biedermeierähnliches hat. Wir erleben auch aufgrund der Abstiegsangst insbesondere der Mittelschicht einen starken Hang zur Privatisierung von Bildung, Kunst und Gesundheit, aber auch von Nachhaltigkeit. Man möchte sich von der Gesellschaft abgrenzen und gewissermaßen mit der eigenen Familie den eigenen Garten biologisch-korrekt bestellen.

Man geht nicht mehr davon aus, dass die Gesellschaft als Ganzes der Weg ist, sondern grenzt sich im eigenen Mikrokosmos sehr stark von ihr ab. Es ist keine Zeit der großen gesellschaftlichen Utopien mehr. Stattdessen sucht man das private Glück im Kleinen, das man dann aber zur Norm über andere erhebt.

Die Grünen haben seinerzeit den grundgesetz- und völkerrechtswidrigen Kosovo-Krieg mitgemacht, der auch gegen die NATO-Statuten verstößt, der nachweislich mit einer falschen Begründung geführt worden ist. Und sie haben während der Zeit an der Regierung jede neoliberale Maßnahme mitbeschlossen, die man nur beschließen kann. Können Sie mir erklären, woher eigentlich die moralische Überheblichkeit und Selbstgerechtigkeit der Grünen von heutzutage stammen, die sich immer noch als irgendwie linke Partei präsentiert?

Andreas Möller: Ich glaube, das hat schlicht und ergreifend etwas mit dem Mangel an Alternativen im politischen Geschäft zu tun. Jede Partei verteidigt ihr Geschäftsmodell, aber die Grünen haben einen hohen Markenwert. Deshalb würden sie sich von gewissen Themen nie trennen, auch wenn sie wissen, dass zum Beispiel der Ausbau von Ökostrom in Deutschland die soziale Schieflage verstärkt: Jeder weiß mittlerweile, dass die Mieterin in NRW dem Zahnarzt oder Bauern in Bayern, der ein Eigenheim besitzt, seine Photovoltaikanlage finanziert.

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