Wie wichtig ist den USA Al-Qaida in Syrien?

Der scheidende CIA-Vize Morrell warnt davor, dass das Land zu einem vor Waffen strotzenden Zufluchtsort für al-Qaida wird, doch lässt die amerikanische Führung die Hintermänner dieser Entwicklung in Ruhe

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Wenn hohe Amtsträger ihren Posten verlassen, nehmen sie sich manchmal Freiheiten heraus und sagen Dinge, die nicht auf Linie sind. Zum Beispiel, der scheidende Vizechef der CIA, Michael Morell. Was er in einem Interview mit dem Wall Street Journal äußerte, widerspricht der bisherigen US-Außenpolitik, die Baschar al-Assad als Staatschef Syriens entfernen will. Ein möglicher Sturz der Regierung von Präsident Baschar al-Assad in Syrien würde die nationale Sicherheit der USA ernsthaft bedrohen, wird Morell zitiert.

Wenn die Regierung fällt, dann werde das Land "ein vor Waffen strotzender Zufluchtsort für al-Qaida", so der CIA-Vize. Das ist keine überraschende Erkenntnis, aber dass ein Mann, der eine Schlüsselposition im US-Sicherheitsapparat innehat, davon spricht, dass der syrische Konflikt als schwerwiegendere Bedrohung amerikanischer Sicherheitsinteressen einzustufen ist als Iran, fällt aus der gewohnten Norm.

Wenn Morell mit dieser Einschätzung nicht alleine steht, dann dürfte man in Washington erleichtert darüber sein, dass ein kolportierter Anschlag auf Assad dem syrischen Staatspräsidenten keinen Schaden zufügte.

Wie so oft bei Nachrichten aus dem Krieg in Syrien, ist bislang unklar, wie der Angriff auf einen Konvoi, in dem Assad mitgefahren sein soll, überhaupt verlaufen ist und ob es ihn der Form, wie ihn die Angreifer darstellen überhaupt gegeben hat. Dschihadisten wie Regierung sind sich nur in einem einig: dass Assad davon völlig unberührt in einer Moschee Hände mit geistlichen Würdenträgern schüttelte. Der syrische Informationsminister hält die ganze Nachricht für eine Lüge des saudi-arabischen Senders al-Arabija.

Der Propagandawert der Nachricht ist offensichtlich: Die Gegner Assads behaupten damit, dass ihre Reichweite das Zentrum der Macht erreicht hat. Als Entgegnung auf Berichte der jüngeren Zeit, die seit der Einnahme von Kusair von einer militärischen Wende zugunsten der Armee Assads sprachen. Laut Analyse von Joshua Landis fällt das Bild der militärischen Lage gegenwärtig nicht eindeutig zugunsten einer Seite aus: Zwar hätten die Regierungstruppen die Kontrolle über Gebiete im Süden, an der Küste und im Zentrum konsolidiert und sich in Homs große Vorteile verschafft.

Massaker an Kurden

Dem wird gegenübergestellt, dass die Dschihadisten strategisch wichtige Punkte, allen voran den Flughafen Mengh nahe Aleppo nach monatelangen Kämpfen erobert, was die Regierung damit konterte, dass der Flughafen nutzlos sei. Wie vor längerem von Beobachtern vorausgesehen, versuchen die Assad-Gegner ihre Macht im Norden Syriens auszubauen. Dabei kam es zu einer Allianz zwischen der Freien Syrischen Armee und von Gruppen, die mit al-Qaida verbunden sind, vornehmlich ISIS (Islamic State of Iraq and al-Sham), Ahrar al-Sham - und auch die al-Nusrah-Front - soll von der Partie sein, gegen die Kurden.

Ausschnitt aus einem Propagandavideo der ISIS (Abu Musab Al-Zarqawi-Camp)

Berichtet wird in diesem Zusammenhang von Geiselnahmen und Ermordungen zahlloser kurdischer Zivilisten, aus Rachegründen, da die Kurden sich dem Kampf gegen die Regierung nicht angeschlossen haben. Selbst wenn man die Zahlen, die etwa von Ria Nowosti veröffentlicht werden - 450 ermordete kurdische Zivilisten - mit Vorsicht zur Kenntnis nimmt, so machen allein die Ankündigung der FSA/ISIS-Front und deren Sharia-Propaganda in diesen Gebieten klar, dass mit absoluter Härte gegen die Bevölkerung vorgegangen wird, die nicht auf Seiten der Dschihadisten steht:

Initiation of a full siege of the city of Ain al-Arab and preparations for any acts of treachery by the collaborator party
Cleansing of the pockets of PKK that are among our ranks
Cessations of all negotiations and political meetings between us and any group that represents the PKK

In den Orten Til Hasıl und Til Aran im Gebiet von Aleppo würden Kurden allein aufgrund ihrer Identität von al-Qaida-Gruppen und Einheiten der Freien Syrischen Armee (FSA) massakriert, Hunderte von kurdischen Frauen und Kindern würden von den Gruppen entführt, heißt es in einer Pressemitteilung des Kurdischen Zentrums für Öffentlichkeitsarbeit. Auch dort ist die Rede davon, dass der Kommandant der FSA, Abdulcabbar el-Akidi, damit gedroht habe, die kurdische Bevölkerung zu massakrieren. Unterstellt wird, dass die Türkei ihre Hände im Spiel hat - und nicht auf Seiten der Kurden.

Unbestritten ist, worauf auch Michael Morell aufmerksam machte, dass der Zuzug von Dschihadisten nach Syrien zunimmt, mittelweile tauchen immer mehr Hinweise darauf auf, dass Glaubenskämpfer vom Balkan die Ränge der Fanatiker weiter auffüllen.

Bemerkenswert ist, wie wenig die USA gegen die Drahtzieher hinter den Warlords unternehmen können (?) oder wollen. Kritik an der Rolle des saudischen Geheimdienstchefs Bandar bin Sultan, der als einer der wichtigen Terroristensponsoren und -förderer gilt, liest man nicht in den US-Medien, sondern nur anderswo. Von US-Politikern ganz zu schweigen, kein Wort gibt es aus diesen Reihen zu den Hintermännern des Dschihads in Syrien, wenn sie aus den Reihen der Verbündeten stammen. Stattdessen wird die Dikussion über Waffenlieferungen nach Syrien noch immer weiter angeheizt.

Das ist eine eigentümliche Doppelzüngigkeit angesichts dessen, dass al-Qaida täglich als Hauptbedrohung der westlichen Welt dargestellt wird - zur Rechtfertigung größtmöglicher Überwachungsmaßnahmen.