Mehr Mitleid mit Hunden als mit erwachsenen Menschen?

Nach US-Psychologen hängt Mitleid vor allem davon ab, wie alt und wie abhängig ein Mitmensch bzw. ein Hund ist

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Jack Levin, Experte für Massenmörder und andere Gewalttäter, der Soziologe und Kriminologie an der Northwestern University lehrt, und sein Kollege Arnold Arluke haben eine Studie auf dem Jahrestreffen der American Sociological Association vorgestellt, die die Gesellschaft offenbar für so wichtig oder die Aufmerksamkeit erregend fanden, dass sie eine Mitteilung darüber veröffentlichten.

Bild: F.R.

Die beiden Soziologen wollen herausgefunden haben, dass Menschen für Hunde und Welpen, wenn sie geschlagen werden, mehr Mitleid haben als mit erwachsenen Menschen. Wenn es sich um Kinder handelt, trifft dies allerdings nicht zu. Wir würden nicht notwendig eher Mitleid mit Menschen als mit Tieren haben, so Levin. Es handele sich um "eine komplexere Situation", da das Alter eine wichtige Rolle spiele: "Die Tatsache, dass erwachsene Verbrechensopfer weniger Mitgefühl als ein Kind, ein Welpe oder ein ausgewachsener Hund erhalten, legt die Vermutung nahe, dass erwachsene Hunde ähnlich wie Welpen und Kinder als abhängig und verletzlich betrachtet werden."

Wie haben die Soziologen das herausgefunden. Sie haben, wie es heißt, 240 Männer und Frauen im Alter zwischen 18 und 25 Jahren, die an ihrer Universität studierten, einen von vier fiktiven Nachrichtenartikel vorgelegt. Dabei ging es darum, dass ein einjähriges Kind, ein Erwachsener, ein Welpe oder ein sechsjähriger Hund geschlagen wurden. Die Geschichte wurde stets identisch erzählt, nur das Opfer war jeweils anders. Dann sollten die Versuchspersonen ihr Mitgefühl für das Opfer auf einer Skala angeben. Es handelt sich also um einen hochabstrakten Kontext, bei dem die Versuchspersonen, die keine für die Gesamtbevölkerung repräsentative Stichprobe darstellen, mit großer Distanz zur Wirklichkeit, weil nur textvermittelt, ihre Gefühle bewerten sollten. Zudem konnten die Versuchspersonen ihr Mitleid nur im jeweiligen Fall einordnen, nicht aber im Vergleich der unterschiedlichen Opfer. Nach Levin spielt das Alter eine entscheidende Rolle, nicht, ob es sich um Hund oder Menschen handelt. Erwachsenen Menschen würde weniger Empathie entgegen gebracht, weil sie so betrachtet werden, dass sie sich selbst schützen können. Erwachsene Hunde würden hingegen wie Welpen beurteilt, zwischen dem Mitleid mit Welpen und dem mit Kindern gäbe es keinen signifikanten Unterschied. Es kommt jedoch alles auf die Geschichte an. Wäre der Hund aggressiv oder würde der Erwachsene explizit völlig unschuldig zum Opfer der Gewalt, weil er beispielsweise einer Minderheit angehört, dürften die Beurteilungen anders aussehen.

Das könnte ein Beleg dafür sein, dass der Anthropozentrismus nicht so stark ist. Die Soziologen gehen davon aus, dass auch bei Katzen ein ähnlicher Effekt beobachtet werden kann. Allerdings handelt es sich dabei um Haustiere in den westlichen Gesellschaften, die in engen Beziehungen mit den Menschen leben und mitunter schon den Status von Kindern einnehmen. Man schreibt ihnen, wie Levon richtig sagt, menschliche Eigenschaften zu. Das würde man gegenüber "Nutztieren" wie Rindern oder Schweinen schon viel weniger machen, und wenn Hunde in den Kochtopf wandern, dürfte die Empathie auch nicht so groß sein.

Wirklich interessant wäre gewesen, wie die Empathie zwischen Tieren, eben nicht nur Haustieren, und Menschen verteilt würde, wenn dazu auch "Feinde" oder solche gewesen wären, denen die Versuchspersonen mit Vorurteilen gegenüberstehen. Bekanntlich werden solche Menschen auch gerne als Ungeziefer bezeichnet, was bedeutet, ihnen das Lebensrecht und auch das Mitgefühl abzusprechen. Aber das wäre doch auch schon für die Durchführung des Versuchs ein wenig komplex geworden. Wenn man jedoch billiger Aufmerksamkeit mit einer "wissenschaftlichen Studie" finden kann, warum dann nicht mit weniger Aufwand, aber mit populistischen Ergebnissen?