Der Vorwurf der vermeintlichen Totalausspähung in Deutschland ist nach den Angaben der Geheimdienste vom Tisch

Die bemerkenswerten logischen und rhetorischen Darlegungen von Kanzleramtschef Pofalla verdienen einen genaueren Blick

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Der Kontrollausschuss hat getagt und in einer Sonderaussitzung Kanzleramtschef Ronald Pofalla befragt. Sehr viel mehr wissen wir nicht, allerdings kündigte Pofalla nach der Sitzung an, dass die USA angeboten hätten, mit Deutschland ein "No-Spy-Abkommen" abzuschließen. Der für die Geheimdienste zuständige Pofalla erklärte, er habe den BND-Präsidenten Schindler, der nach Snowden-Dokumenten sowieso für Lockerung des deutschen Datenschutzes zur besseren Übermittlung der Daten von Deutschen an die NSA eingetreten ist, gebeten, mit den Verhandlungen zu beginnen. Das ist schön, wenn die Geheimdienste untereinander verhandeln, die Öffentlichkeit wird viel Konkretes davon nicht mitkriegen.

Der Verdacht liegt zudem nahe, dass die Amerikaner mit diesem Angebot der Kritik in Deutschland den Wind aus den Segeln nehmen wollen. Allerdings könnte man annehmen, dass es bislang eben keine derartige Verabredung gab, also die NSA die Daten von Deutschen mit oder Hilfe des BND eben nicht nur im Kontext der Terrorbekämpfung in Afghanistan sammelte, sondern auch, um auf dem Laufenden zu bleiben, was die deutsche Außenpolitik, die "ökonomische Stabilität" in Deutschland oder "Gefahren für die Finanzwirtschaft" betrifft, wie dies aus einem dem Spiegel vorliegenden Dokument hervorgeht. Man spioniert also die Lage aus.

Was das geplante No-Spy-Abkommen überhaupt genauer regeln soll, bleibt zumindest noch das Geheimnis von Pofalla und dem BND. Pofalla fühlte sich aber bemüßigt, das Angebot der Amerikaner zu "interpretieren". Das geschieht natürlich ganz im Sinne der Regierung und zum Schutz der Amerikaner, muss dabei aber auf eine verquere Logik zurückgreifen: "Dieses Angebot könnte uns niemals gemacht werden, wenn die Aussagen der Amerikaner, sich in Deutschland an Recht und Gesetz zu halten, nicht tatsächlich zutreffen wird."

Abgesehen davon, dass da auch mit der Logik die Grammatik durchgeht, fehlt jede Begründung für das Argument. Mindestens genauso zutreffend wäre es zu behaupten, die Amerikaner hätten dies Angebot gemacht, um sich künftig an Recht und Gesetz zu halten oder eine Vereinbarung auszuhandeln, die legalisiert, was bislang praktiziert wurde. Was daran "stilbildend" sein soll, bleibt ebenfalls schleierhaft, würde man Pofallas Interpretation Glauben schenken.

Beeindruckend war schon Pofallas Erklärung am Beginn seines Pressestatements, das schnell heruntergelesen wurde, Fragen waren keine zugelassen. Es ist ja alles so geheim, natürlich nur zum Schutz der deutschen Bürger. Pofalla verkündete: "Die NSA und der britische Nachrichtendienst haben erklärt, dass sie sich in Deutschland an deutsches Recht halten, der BND und der Verfassungsschutz ebenfalls."

Und wenn die es schon sagen bzw. schriftlich erklären, in die alle wegen ihrer Transparenz so großes Vertrauen setzen, dann müssen das auch alle glauben. Ausgerechnet diejenigen also, die unter Verdacht stehen, sollen nun dafür bürgen, dass alles ganz in Ordnung ist:

Der Vorwurf der vermeintlichen Totalausspähung in Deutschland ist nach den Angaben der NSA, des britischen Dienstes und unserer Nachrichtendienste vom Tisch. Es gibt in Deutschland keine millionenfache Grundrechtsverletzung, wie immer wieder fälschlich behauptet wird.

So könnte man auch jeden Dieb bei seinem Wort nehmen und erst gar nicht nachprüfen, ob er denn die Wahrheit sagt, wenn er behauptet, nichts gestohlen zu haben. Und so erklärt Pofalla, was angeblich Sache ist, verschweigt aber tunlichst, dass schon vor 2002 über das Lauschsystem Echelon der Verdacht bestand, dass die NSA und die Geheimdienste Großbritannien, Neuseelands, Kanadas und Australiens flächendeckend, zumindest was die Technik damals zuließ, abgehört haben (Die Rückkehr von Echelon oder dem Projekt Total Information Awareness):

Die Nachrichtendienste der USA, also die NSA, und Großbritanniens haben uns zugesagt, dass es keine flächendeckende Datenauswertung deutscher Bürger gibt. Die Daten, über die in den letzten Wochen teilweise hitzig diskutiert worden ist, stammen also nicht aus der Aufklärung der NSA oder des britischen Nachrichtendienstes. Sie stammen aus der Auslandsaufklärung des BND. Diese Daten erhebt der BND im Rahmen seiner Gesetze und leitet sie auch auf der Grundlage des Abkommens vom 28. April 2002 an die NSA weiter. Deutsche Daten, um es noch einmal klar zu sagen, werden dabei vorher in einem mehrstufigen Verfahren herausgefiltert.

Pofalla

Wollte man spitzfindig sein, dann heißt dies nur, dass der BND Handy-Daten an die NSA weitergegeben hat, die wahrscheinlich auch Deutsche im Ausland betreffen, die sich möglicherweise den Islamisten angeschlossen haben. Zwar kann man sich fragen, warum die NSA überhaupt Daten vom BND für Afghanistan benötigt, als ob dort die personell, technisch und finanziell besser ausgestatteten US-Geheimdienste nicht selbst tätig wären, aber der Kernsatz besteht eigentlich darin, dass die Geheimdienste "zugesagt" hätten, keine "flächendeckende Datenauswertung" von Deutschen zu machen. Flächendeckend kann in diesem Zusammenhang viel bedeuten, es könnte bedeuten, dass nicht alles, aber viel ausgewertet wird - und es heißt auf keinen Fall, dass die britischen und US-Geheimdienste keine Daten von Deutschen absaugen und speichern.

Schon Bundesinnenminister Friedrich ist ins Schleudern gekommen, als er die NSA-Lauschprogramme und die Zusammenarbeit der Geheimdienste dadurch rechtfertigte, dass eine bestimmte Zahl von Anschlägen so verhindert werden konnten. Ganz einig über die Zahl konnte man sich nicht werden. Pofalla zitiert die NSA, die sagt, dass durch die Übermittlung der "Auslandsdaten des BND" in der Woche drei bis vier Straßenbombenanschläge auf die Truppen in Afghanistan abgewendet würden. Muss man der NSA glauben?

Der NSA-Chef hatte selbst den Kongress angelogen, als er letztes Jahr auf eine Frage antwortete, ob die NSA massenhaft Amerikaner abhöre. Man dürfe dies gar nicht und sei auch technisch nicht in der Lage dazu. Ähnlich hatte dies der oberste Geheimdienstchef James Clapper vor dem Kongress gemacht, als er abstritt, dass die Geheimdienste Daten von Amerikanern absaugen, und musste sich dann dafür entschuldigen. Zudem versicherte Pofalla, dass auch der BND selbst die durch Auslandsaufklärung erhobenen Daten analysiere und so seit 2011 19 Anschläge auf deutsche Soldaten verhindern konnte.

Fraglich bleibt auch die Behauptung, ob die Weitergabe von Handydaten nicht dazu dient, etwaige Verdächtige zu lokalisieren, um sie gezielt durch Kampfdrohnen zu töten. Pofalla: "Die Experten der Sicherheitsbehörden des Bundes haben versichert, dass GSM-Mobilfunknummern für eine zielgenaue Lokalisierung nicht geeignet sind." Das trifft auch zu, allerdings lässt sich damit auf jeden Fall etwa die Zelle orten, in der sich das Handy befindet, so dass der Besitzer des Handys beispielsweise mittels einer Drohne identifiziert und verfolgt werden kann. Es ist also wieder eine gefinkelte Auskunft, die keine Klarheit gibt.