"Überflüssig wie ein Kropf"

Bei geplanten Freihandelabkommen TIPP stehen Investoren-Gerichte in der Kritik

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Noch werden sie vom NSA-Skandal überschattet, die derzeitigen Verhandlungen über das transatlantische Freihandels- und Investitionsabkommen zwischen den USA und der EU, dem Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP). Doch Überwachung und Datenschutz waren kein Thema in der ersten Verhandlungswoche der 150 EU- und US-Unterhändler für das TTIP Anfang Juli in Washington. Dabei geht es um den Abbau von Handelsschranken zwischen den beiden Wirtschaftsblöcken, die Anhänger des Projektes wie Wirtschaftsverbände, Politiker und Ökonomen verweisen auf die hochgerechneten Gewinne. Danach solle das Wachstum der Wirtschaft im Europa-Raum und den USA jeweils um 1,5 Prozent steigen und Tausende neuer Arbeitsplätze entstehen.

Doch diesen optimistischen Szenarien stehen erhebliche Bedenken über die Details des Abkommens und seiner sozialen, ökonomischen, politischen und ökologischen Folgen gegenüber. Kritik übt zum Beispiel "Unfairhandelbar", ein Bündnis von 21 zivilgesellschaftlichen Organisation vom Bund Naturschutz über Campact bis zum ökologischen Wirtschaftsverein Powershift. Dessen Geschäftsführer Peter Fuchs warnt vor der Einrichtung von undurchsichtigen Schiedsgerichten.

Bündnis aus 21 NGOs warnt, der Umwelt- und Verbraucherschutz drohe bei Geheimverhandlungen über TTIP auf der Strecke zu bleiben. Bild: Campact/Jakob Huber

Sie warnen hinsichtlich TTIP vor "intransparenten Schiedsgerichten". Was hat es damit auf sich?

Peter Fuchs: Ein Kapitel im TTIP-Abkommen soll dem so genannten "Investorenschutz" gewidmet sein. Darin möchte die EU-Kommission neue Klagerechte für Konzerne im Rahmen der so genannten Investor-Staat-Schiedsgerichtsbarkeit einführen. Europäischen Investoren in den USA und US-Investoren in Europa sollen vor eigenen Schiedsgerichten klagen können, wenn sie sich zum Beispiel durch umweltpolitische Regulierungen in ihrem Eigentum oder ihren Profiterwartungen geschädigt sehen. Das ist überflüssig wie ein Kropf und ein demokratie- und rechtspolitischer Skandal ersten Ranges! Denn es gibt funktionierende Rechtssysteme beiderseits des Atlantik. Transnationale Konzerne sollen trotzdem noch neue Sonderklagerechte in einem eigenen, weitgehend privatisierten System der "Schiedsgerichtsbarkeit" bekommen.

Wie sehen diese aus?

Peter Fuchs: Die Entscheidungen in dieser noch wenig bekannten Welt der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit treffen jeweils kleine Tribunale von drei hochbezahlten Investitionsrechtsexperten. Diese tagen im Geheimen und ohne Berufungsinstanz oder richterliche Unabhängigkeit. Trotzdem können sie verbindliche Entscheidungen auch über öffentliche politische Maßnahmen treffen. Das ist ein Angriff auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit - und eine weitere Machtverschiebung hin zum international mobilen Kapital. Mit Unterzeichnung eines Investitionskapitels in TTIP würden sich die beteiligten Regierungen den Entscheidungen dieser Schiedsgerichte unterwerfen.

Wie hängt das mit dem Fall Vattenfall zusammen?

Peter Fuchs: Im aktuell laufenden Fall "Vattenfall gegen Deutschland" klagt der schwedische Investor Vattenfall in einem solchen Schiedsgericht gegen den Atomausstieg in Deutschland. Der Atomkonzern verlangt 3,7 Milliarden Euro Schadensersatz aus Steuergeldern für die Stilllegung seiner Schrottreaktoren Krümmel und Brunsbüttel. Dieses absurde Verfahren ist der Versuch Vattenfalls, die Kosten des Atomausstiegs zu sozialisieren und zusätzlich noch ursprünglich mal erhoffte Gewinne aus dem Weiterbetrieb der gefährlichen AKWs aus der Steuerkasse ersetzt zu bekommen. Solch eine Klage ist nur möglich, weil die deutsche Bundesregierung für den Energiesektor einen internationalen Investorenschutzvertrag unterzeichnet hat, den Energiecharta-Vertrag, welcher solche privilegierten Klagerechte für Konzerne vorsieht. In vielen anderen Sektoren und im Verhältnis EU-USA gibt es diese Klagerechte so noch nicht - deswegen drängen nun Wirtschaftslobbys und die ihnen hörige EU-Kommission auf Investorenschutz in TTIP. Das kann für uns Steuerzahler richtig teuer werden.

Ist TIPP eine Wiederauflage von MAI, dem multilateralen Abkommen über Investitionen (Noch eine Anstrengung, ihr Globalisierer!)?

Peter Fuchs: Ja, im Hinblick auf den "Investorenschutz" wird mit TTIP erneut versucht, was in den 1990er Jahren schon mal vergeblich mit dem so genannten MAI angestrebt wurde. Aber so wie das MAI - und später auch ein ähnlicher Versuch in der Welthandelsorganisation WTO -, so wird auch TTIP scheitern. Wenn genug Menschen aufwachen und sich wehren - und wenn wir gemeinsam deutsche und europäische Politiker davon abhalten, in der Handelspolitik weiter als dreiste Dienstleister für Konzerninteressen zu handeln.

Die sogenannten Investitionsverträge sind eine geheime Welt? Ich bin mir sicher: Die meisten gewählten Parlamentarier aller Parteien wissen noch nicht einmal, was sie da unterstützen und in Form von Investitionsverträgen leider schon viel zu oft ratifiziert haben. Angesichts der ökonomischen und politischen Relevanz von TTIP ist allerhöchste Zeit, dem Spuk ein Ende zu setzen. Fragen Sie Ihre Bundestags- und Europaabgeordneten: Wie können Sie auch nur erwägen, einem Vertrag zuzustimmen, mit dem demokratische politische Entscheidungen und sogar das deutsche Rechtssystem bedingungslos der Willkür der Schiedsgerichtsbarkeit privater internationaler Geheimtribunale unterworfen werden? Wie können Sie es unterstützen, dass per TTIP zukünftig völlig legale Maßnahmen etwa des Umwelt- und Gesundheitsschutzes plötzlich auf den Prüfstand eines Weltbank-Schiedsgerichts oder eines Tribunals bei der Internationalen Handelskammer in Paris gestellt werden?