Die wunderbarste aller Kino-Utopien

She Wore a Yellow Ribbon

Mit der Lovely Lady im Haus der Träume - Das John-Ford-Film-Geheimnis, Folge 2

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Wir waren da stehen geblieben, wo sich Sean Thornton, der Heimkehrer aus Pittsburgh, auf den Weg von Castletown nach Inisfree macht, dem Ort seiner Träume. Nach dem Trinker (Michaeleen Óg Flynn) und dem Schwarzen Mann (Father Lonergan) begegnet Sean (als Alter Ego von John Ford) einer fast mythologisch wirkenden Frauenfigur (Ford war ein Kenner der griechischen Mythologie, aus der er häufig seine Inspiration bezog). Mary Kate Danaher sehen wir das erste Mal als Teil eines Pastoralgemäldes. In einer grünen Waldlandschaft hütet sie die Schafe. Das ist nicht einfach nur eine Außenaufnahme, sondern ein sorgfältig komponiertes Bild. Wie schon bemerkt: In The Quiet Man hat jede Farbe ihre Bedeutung. Grün steht für die grüne Insel Irland und für die grüne Welt in Shakespeares Romanzen. Im Vordergrund sind Blumen mit gelben Blüten zu erkennen. Damit knüpft Ford an seinen ebenfalls von Winton C. Hoch photographierten Kavallerie-Western She Wore a Yellow Ribbon an.

Die Tradition mit dem gelben Band geht vermutlich auf ein Lied zurück, das die Puritaner aus Europa in die damaligen britischen Kolonien in Amerika mitbrachten. Getragen wird das Band von einer Frau, die Prüfungen bestehen muss, während sie auf ihren Liebsten wartet. Oft wird das Motiv in einem militärischen Kontext verwendet wie im Golfkrieg, wo es die Verbundenheit der Heimat mit den Soldaten im Kampfeinsatz ausdrücken sollte und als Willkommensgruß für die Heimkehrer diente. In diesen Zusammenhang gehört auch das gelbe Halstuch, das im 19. Jahrhundert ein beliebtes Accessoire bei US-Kavalleristen war.

Reise in die rot-weiß-blaue Vergangenheit

Als Captain Brittles in She Wore a Yellow Ribbon (1949) ist John Wayne ein des Kampfes müde gewordener Offizier und Witwer im Pensionsalter. Als deutlich jüngerer Captain Yorke in Rio Grande (1950) hat er einen erwachsenen Sohn mit Maureen O'Hara. Als Sean Thornton in The Quiet Man (1951) dürfen wir ihn uns noch ein Stück jünger vorstellen. Er spielt einen ehemaligen Boxer, der nicht mehr in den Ring steigen will, seit er dort einen Mann getötet hat und der Maureen O'Hara erst heiraten muss, ehe er Kinder mit ihr kriegen kann (anderes verbot der Production Code). Wenn man The Quiet Man als den Abschluss einer Trilogie mit She Wore a Yellow Ribbon und Rio Grande versteht ist es also nicht nur Liebe auf den ersten Blick, wenn sich John Wayne und Maureen O'Hara im Wald bei Inisfree begegnen, es ist auch ein Dèja vu. Die von John Wayne gespielte Figur wird im Laufe der drei Filme immer jünger. Im ersten ist er Witwer, im zweiten langjähriger Ehemann, im dritten Bräutigam.

Rio Grande

Man kann das gut mit den Lederstrumpf-Büchern von James Fenimore Cooper vergleichen. Im zuerst erschienenen der fünf Romane, The Pioneers (1824), ist der Held ein alter Mann; im letzten, The Deerslayer (1841), ist Natty Bumppo am jüngsten. Cooper war unbehaglich zumute beim Blick auf die amerikanische Gegenwart und auf das, was aus dem Amerikanischen Traum geworden war. Deshalb ging er auf der Zeitachse zurück, um dem nachzuspüren, was schiefgelaufen war und seinen Landsleuten ein anderes und aus seiner Sicht besseres Amerika vor Augen zu führen, eines der Wälder und Seen, mit einer weitgehend unberührten Natur und einer Zivilisation, die noch nicht alles umgepflügt hatte. Dahinter steckt der Wunsch, noch einmal neu anzufangen.

Traditionell erneuert sich in der amerikanischen Geistesgeschichte die Nation durch den Marsch nach Westen (und den Kampf gegen Indianer und andere Feinde, weshalb Richard Slotkin in einem sehr lesenswerten Buch von einer "Regeneration durch Gewalt" spricht). Bei Ford klappt das bereits in Stagecoach (1939) nicht mehr richtig, wo sich der Held, ein entflohener Sträfling (John Wayne), mit einer Prostituierten nach Mexiko absetzt, um dort die Erneuerung voranzutreiben. In den Western, die Ford nach dem Zweiten Weltkrieg und dann auch unter dem Eindruck des Kalten (und in Korea sehr heiß werdenden) Kriegs drehte, will es gar nicht mehr gelingen.

In The Deerslayer unternimmt Cooper eine Zeitreise zum Lake Glimmerglass des Jahres 1740. John Ford reist dorthin, wo aus der Perspektive des Sohnes irischer Einwanderer alles angefangen hat: nach Irland. Das ist eine noch radikalere Absage an das Amerika der Gegenwart als die von Cooper, der wenigstens im Land blieb und doch eine, die sorgfältig darauf bedacht ist, die Verbindungen nicht zu kappen. Sean Thornton findet in der Gestalt von Mary Kate Danaher eine neue Liebe, ohne dass der Film darüber seine alte (und die von John Ford) vergessen würde. Ford macht durch die Farbdramaturgie deutlich, dass er The Quiet Man symbolisch verstanden wissen will. Bei der ersten Begegnung im Grünen trägt Mary Kate eine blaue Bluse und einen roten Rock, die von ihr gehüteten Schafe sind weiß. Red-White-and-Blue: das sind die Farben der US-Flagge. Wer das für überinterpretiert hält sehe sich den Rest des Films an. Maureen O'Hara wird beständig mit diesen drei Farben assoziiert wie bei der ersten Szene im Hause Danaher, wo die weißen Schafe durch eine weiße Schürze ersetzt werden, damit die Farbkomposition wieder stimmt. Ein Zufall ist das nicht.

The Quiet Man

Ebenfalls symbolisch ist es zu verstehen, wenn Sean von der Witwe Tillane White o' Morning das ehemalige Thornton-Haus kauft, in dem er geboren wurde. Die Witwe macht sich über den Stolz vieler Amerikaner auf eine lange europäische Ahnenreihe lustig und fragt, ob er ein Thornton-Museum eröffnen und Eintritt verlangen wolle. Seans Plan ist aber, nicht die Vergangenheit zu feiern, sondern im alten Europa die Grundlagen für die Zukunft zu legen, nachdem ihn das Leben in der neuen Welt desillusioniert hat. Als er in einer stürmischen Nacht sein neues Heim bezieht, trifft er dort auf Mary Kate, die das Cottage für ihn wohnlicher gemacht hat. Ford inszeniert diese Begegnung als einen tänzerisch-sexuellen Zusammenstoß und macht daraus - Martin Scorseses Meinung nach - eine der zwei besten Kussszenen der Filmgeschichte (die andere stammt natürlich, Scorsese zufolge, von Hitchcock, von wem sonst). Sean küsst dabei nicht nur eine schöne Irin, sondern eine Frau in Rot, Weiß und Blau (die symbolische Bedeutungsebene).

The Quiet Man

Im Zeitalter der politischen Korrektheit muss man auch noch fragen, ob dieser Kuss erlaubt oder ob das eine sexuelle Belästigung ist? The Quiet Man stand schon in den 1950ern unter Chauvinismus-Verdacht, der sich seitdem noch intensiviert hat. Einstweilen sei dazu nur gesagt, dass Mary Kate auf den Kuss mit einer Ohrfeige reagiert und Maureen O'Hara dabei so viel Schwung nahm, dass sie sich das Handgelenk verletzte und einige Drehtage lang mit der Hand unter der Schürze spielen musste, um den im Krankenhaus angelegten Verband zu verbergen. Hätte Wayne den Schlag nicht mit der eigenen Hand abgefangen, hätte sie ihm womöglich den Kiefer gebrochen. Diese Frau, zeigt Ford, kann selber auf sich aufpassen, sie braucht uns nicht dafür. Zum Abschied küsst sie Sean zu dessen Überraschung wieder, weil hier auf beiden Seiten die Funken fliegen und kein braves Frauchen dem Manne untertan ist. Der erste Kuss (von ihm) ist so impulsiv wie der zweite (von ihr), Mann und Frau begegnen sich auf Augenhöhe.

The Quiet Man

Weihwasser für den Production Code ...

Wer eine streng katholische, vom Papst und Pfarrer Lonergan verordnete Zweierbeziehung erwartet wird eines Besseren belehrt, als Sean den von Lonergan befohlenen Besuch der Morgenandacht absolviert hat und vor der Kirche auf Mary Kate wartet (rotes Haar, weiße Bluse, blauer Rock). Als diese ihre Finger mit Weihwasser benetzen und sich auf gut katholische Weise bekreuzigen will, kommt er ihr zuvor, bietet er ihr das geweihte Wasser an, das er in der Mulde seiner Handfläche für sie gesammelt hat. Seine Hand wird so zum Weihwasserkessel. Mary Kate nimmt an, berührt mit den Fingerspitzen die Flüssigkeit. Das hat etwas unverschämt Sexuelles (direkt vor der Kirche von Pfarrer Lonergan), wirkt fast blasphemisch und zapft eine heidnische Schicht unter der christianisierten Oberfläche an. Von da bis zum Austausch von Körperflüssigkeiten ist es nicht mehr allzu weit.

The Quiet Man

Ein paar Minuten später gibt es eine Szene im Pub. Der aufbrausende Will Danaher wirft Sean vor, dass er sich seiner Schwester gegenüber Freiheiten herausgenommen habe. Er habe nur "Guten Morgen" gesagt, verteidigt sich Sean. Und gemeint habe er "Gute Nacht", gibt Danaher zurück. "Das ist eine Lüge", erwidert Sean. Aber stimmt das auch? Natürlich nicht. Es ist nur so, dass sich schwer in Worte fassen lässt, was vor der Kirche geschehen ist. Darum kann Sean ganz frech behaupten, dass nichts Sexuelles mit dabei gewesen sei. So umging man damals die Zensurvorschriften, wenn man ein geschickter Regisseur wie John Ford war. Ein wachsamer Zensor konnte wie Will Danaher Anstoß daran nehmen, dass John Wayne Maureen O'Hara das Weihwasser reicht - und sich dann sagen lassen, dass er wohl eine schmutzige Phantasie habe, da dies ein Moment tief empfundener Gläubigkeit sei.

The Quiet Man

Ford drehte The Quiet Man zu einer Zeit, als die erzkatholische Legion of Decency in Hollywood großen Einfluss hatte (auch beim Erstellen der schwarzen und der grauen Liste) und es den Production Code gab, die Selbstzensur der amerikanischen Filmindustrie. Exekutiert wurde der Code vom scheinheiligen Super-Katholiken Joseph Breen, dem Sohn eines irischen Einwanderers, der etwas von einem Raufbold hatte. Im Pub will der um die richtigen Worte verlegene Danaher auf Sean einprügeln (auch eine Form der Kommunikation), was Pfarrer Lonergan unterbindet. Unter dem strengen Blick des Pfarrers müssen sich die Kontrahenten die Hand geben. Bei dieser netten Versöhnungsgeste, aus der sofort ein Kräftemessen wird, darf man als Zuschauer noch einmal an die Hände vor der Kirche denken, und an ein ganz anderes Szenario als das in der Version für brave Katholiken. Als nächstes wird Sean Thornton das größte Bett kaufen, das er finden kann. Er hat noch mehr vor, als Mary Kate einen guten Morgen oder eine gute Nacht zu wünschen.

The Quiet Man

... Primeln und rote Rosen für William Wordsworth

Beim Renovieren von White o' Morning erhält Sean Besuch von Mrs. und Reverend Playfair. John Wayne trägt Blue Jeans, ein blaues Hemd sowie eine weiße Weste. Zum Red-White-and-Blue fehlt noch das Rot. Das wird sofort nachgeliefert. Sean hat die Haustür grün gestrichen, weil wir in Irland sind. Ein Einheimischer, meint Reverend Playfair, hätte rote Farbe genommen, weil sie haltbarer ist. Ford ist das zu prosaisch. Also wird noch rasch eine Lanze für die Poesie gebrochen. Mrs. Playfair hat als Geschenk einen Topf Primeln mitgebracht und zitiert eine berühmte Gedichtzeile von William Wordsworth, dies aber falsch: "A primrose by a river's brink". "Brim" (Rand) müsse es heißen, korrigiert der Reverend, nicht "brink" (Ufer), weil es sich auf "him" reime ("A primrose by a river's brim/A yellow primrose was to him/And it was nothing more"). Was Dichter doch für alberne Leute seien, meint Mrs. Playfair. Sean versichert freundlich, dass er keiner von diesen Poeten sei. Er jedoch ist der Mann, der in blauen Jeans vor seinem weißen Cottage steht und dort scheinbar unnütze, weil "nur" schöne rote Rosen pflanzt. Das ist nichts anderes als visuelle Poesie.

The Quiet Man

In dieser Szene mit den Playfairs verbinden Ford und sein Drehbuchautor Frank Nugent auf eine spielerische und ganz unaufdringliche Weise das Schöne mit dem Praktischen, die Farbe Grün für Irland mit dem Rot, Weiß und Blau für die USA. Rote und gelbe Blumen werden sich fortan als ein Faden zum tieferen Verständnis durch den Film ziehen wie die vielen visuellen Reime, für welche die beiden Hand-Szenen vor der Kirche und im Pub nur ein Beispiel sind. Den visuellen oder Augenreim gibt es übrigens auch in der englischen Literatur. Einen der bekanntesten verdanken wir William Wordsworth, dessen Sonnet "Composed Upon Westminster Bridge" so beginnt: "Earth hath not anything to show more fair:/Dull would he be of soul who could pass by/A sight so touching in its majesty ..." "By" und "majesty" reimen sich nur visuell, nicht phonetisch. Mit freundlicher Ironie machen Ford und Nugent Mrs. Playfair, die Wordsworth für einen albernen Dichter hält, selbst zum Teil eines Augenreims. Die Playfairs (ein altes Ehepaar, dessen Leidenschaft längst erloschen ist) fahren auf einem Tandem zu Seans Cottage. Das Tandem taucht wieder auf, als Sean und Mary Kate (das angehende Ehepaar mit mühsam unterdrückter Leidenschaft) es entwenden, um dem Hochzeitslader Michaeleen Óg Flynn zu entfliehen, weil er ihnen jede Tätschelei verboten hat: "No pettifingers, if you please! The proprieties at all times."

The Quiet Man

Die vielen aufeinander bezogenen Details geben dem Film eine Struktur und eine Dichte, die selbst dann die Seherfahrung beeinflussen, wenn man sich ihrer nicht bewusst ist. Es tut der romantischen Liebeskomödie keinen Abbruch, wenn man die Feinheiten, die Ford mit einer fast Hitchcock'schen Akribie in The Quiet Man eingewebt hat, nicht aktiv mitbekommt. Aber die sich zu einer symbolischen Ebene verknüpfenden Details verleihen dem Film das gewisse Etwas. Wer genau hinschaut wird erkennen, dass Ford keine eskapistische Irland- und Folklore-Schmonzette gedreht hat, sondern einen utopischen Film, in dem zwei Kulturen aufeinander treffen und gegenseitig davon profitieren. The Quiet Man ist Fords Antwort auf die in den USA des Kalten Kriegs um sich greifende Intoleranz gegenüber anderen Lebensentwürfen und gesellschaftlich marginalisierten Gruppen. Das macht den Film politisch, obwohl er auf den ersten Blick vielleicht so wirken mag, als handele es sich um eine hemmungslos kommerzielle, in einem grün angestrichenen Neverland angesiedelte Romanze ohne irgendeine Anbindung an die Gegenwart.

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