"Warnschuss für künftige Whistleblower"

Rainey Reitman von der Electronic Frontier Foundation über die Verurteilung des WikiLeaks-Informanten Bradley Manning, der künftig eine Frau sein will, durch ein Militärgericht

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Das Urteil gegen den WikiLeaks-Informanten Bradley Manning hat den Protest von Bürger- und Menschenrechtsorganisationen in den USA provoziert. Von ihnen wird das Strafmaß von 35 Jahren als Zeichen für ein politisch motiviertes Urteil interpretiert. "In seiner Anhörung nahm Bradley Manning Stellung und entschuldigte sich für den 'Schaden', den er den USA zugefügt habe", schrieb Rainey Reitman, Kampagnenleiterin der Electronic Frontier Foundation. Das Eingeständnis des Angeklagten sei vom Standpunkt der Verteidigung aus verständlich gewesen, weil es um eine Minderung des Strafmaßes gegangen sei. "Aber die Öffentlichkeit sollte wissen, dass Bradley Manning den Vereinigten Staaten tatsächlich nicht geschadet hat", so Reitman in einem Meinungsbeitrag für die Freedom of the Press Foundation.

Bradley, jetzt Chelsea Manning im April 2012 auf einer Aufnahme der US-Army. Bild: US-Army

Manning, der US-Präsident Barack Obama inzwischen um Begnadigung bat, teilte mit, dass er nun als Frau leben möchte. So habe er sich schon immer gefühlt. Er werde nun mit einer Hormontherapie beginnen und bittet darum, mit Chelsea Manning angesprochen zu werden.

Mannings Rechtsanwalt David Coombs gab der Hoffnung Ausdruck, dass er bzw. sie im Militärgefängnis auch die Möglichkeit erhält, die gewünschte Hormontherapie durchzuführen. Das Pentagon hat allerdings bereits erklärt, dass Soldaten keine Hormontherapie oder chirurgische Eingriffe für Störungen der Geschlechtsidentität anbiete. Mannings Probleme mit seiner Geschlechtsidentität waren auch Thema des Prozesses gewesen. Sie hätten aber nicht seine Entscheidung beeinflusst, so Coombs, die Geheimdokumente zu leaken.

Im Interview mit Telepolis sprach Reitman über das Urteil gegen Manning, die Auswirkungen auf Grundrechte in den USA sowie die Fälle Snowden und Assange.

Bradley Manning hatte eine maximal 90-jährige Haftstrafe erwartet. Am gestrigen Mittwoch ist er zu 35 Jahren verurteilt worden. Die Bewertung dieses Strafmaßes geht unter Beobachtern des Verfahrens weit auseinander. Ist es für Sie denn eine gute Nachricht?

Rainey Reitman: Nein. Die Regierung hatte in diesem Verfahren ursprünglich zwar einen sehr aggressiven Kurs verfolgt und ein Strafmaß gefordert, das Manning für den Rest seines Lebens hinter Gefängnismauern gebracht hätte. Dennoch ist auch das am Mittwoch gefällte Urteil außergewöhnlich hart. Es handelt sich schließlich um eine junge, idealistische Person, die ihre persönliche Freiheit dafür riskiert hat, die Öffentlichkeit über illegale Machenschaften der US-Regierung aufzuklären. Und die von ihm veröffentlichten Informationen waren ja ohne Zweifel unglaublich wertvoll für die Öffentlichkeit, weil sie zu unzähligen Medienberichten geführt und in einem erheblichen Maße dazu beigetragen haben, dass die Menschen die US-Außenpolitik und ihre Kriegsstrategien besser verstehen.

Dennoch wurde Manning zu einer jahrzehntelangen Haft verurteilt. Und es wurde in einer Art über ihn geurteilt, als ob er ein Spion im Dienste ausländischer Regierungen sei. Es besteht also kein Zweifel daran, dass die hohe Haftstrafe vor allem ein Warnschuss für etwaige künftige Geheimnisenthüller sein soll.

Rainey Reitman

Seine Verteidiger haben darauf verweisen, dass die meisten veröffentlichten Geheiminformationen in 25 Jahren wahrscheinlich ohnehin freigegeben worden wären. Bestätigt das Ihr Urteil?

Rainey Reitman: Tatsächlich hatten die meisten veröffentlichten Dokumente eine geringe Geheimhaltungsstufe, sie werden der Öffentlichkeit wohl also zugänglich sein, bevor Mannings Haftstrafe abgelaufen ist. Aber auch wenn es sich um brisantere Informationen gehandelt hätte, wäre das Urteil über 35 Jahre Freiheitsentzug nicht gerecht gewesen. Denn er hat sich zu der Veröffentlichung entschieden, um die Öffentlichkeit über Missstände der Regierungspolitik zu informieren. Und es ist kein nachweisbarer Schaden durch die Veröffentlichung entstanden.

Sie haben die abschreckende Wirkung des Urteils schon angesprochen. Was bedeutet die Entscheidung der Militärrichterin für künftige mögliche Whistleblower und die Pressefreiheit in den USA?

Rainey Reitman:Natürlich geht von diesem Urteil ein sehr gefährliches Signal für potentielle Whistleblower aus. Die Regierung der Vereinigten Staaten versucht Personen, die geheime Informationen über die Presse öffentlich machen, wie Spione oder Verräter zu bedrohen. All diese Jahrzehnte, die Manning wohl im Gefängnis verbringen wird, schrecken mögliche Geheimnisenthüller natürlich ab. Dadurch wird investigativer Journalismus schwieriger, der das Regierungshandeln kontrolliert und die Öffentlichkeit informiert.

Einige der mutmaßlichen Kriegsverbrechen, die Manning öffentlich gemacht hat, haben noch nicht einmal zu einem Verfahren geführt. Was sagt uns das über das US-amerikanische Justizsystem in Zeiten des Krieges gegen den Terrorismus?

Rainey Reitman: Zunächst einmal gibt es viele Fälle, in denen Soldaten wegen nachgewiesener Morde weniger Zeit im Gefängnis verbracht haben, als Manning inhaftiert sein wird. Dieser deutlich aggressivere Kurs der Regierung gegen Manning soll Nachahmer aufhalten - und er ist Teil des brutalen Drucks der Regierung von Präsident Barack Obama gegen Geheimnisenthüller. Es wäre doch ein feiner Zug, wenn die Regierung beginnen würde, Kriegsverbrecher mit dem gleichen Elan zu verfolgen, wie dies nun in Mannings Fall geschehen ist.

Mit dem Urteilsspruch befasst sich inzwischen auch die Bürgerrechtsbewegung in den USA. Wie typisch ist das Urteil gegen Manning für die US-Justiz?

Rainey Reitman: Zunächst ist es härter als in jedem anderen Prozess gegen einen Whistleblower in der US-amerikanischen Geschichte. Wenn er auch nur die Hälfte seiner Haftstrafe absitzen muss, wird er länger im Gefängnis gesessen haben als alle anderen bislang verurteilten Whistleblower zusammen.

Was sind also die Folgen für die anderen bekannten Enthüller: Edward Snowden und Julian Assange, die beide vor den US-Strafverfolgungsbehörden auf der Flucht sind?

Rainey Reitman: Nun, es dürfte einen kaum überraschen, wenn Snowden es ablehnt, in die USA zurückzukehren, um sich einem Prozess zu stellen. Denn nach allem, was geschehen ist, war ein fairer Prozess für Manning schlichtweg nicht möglich. Ich halte es aber jetzt noch für schwierig zu sagen, was für eine konkrete Auswirkung das Manning-Urteil auf Snowden und Assange haben wird.

Die Fälle Bradley Mannings und Edward Snowdens sind also nicht zu vergleichen?

Rainey Reitman: Doch, denn beide, Manning und Snowden, haben sich bewusst für die Veröffentlichung von Geheimnissen entschieden, um die Öffentlichkeit über unbekannte Seiten der Regierungspolitik zu informieren. Beide haben dafür erhebliche persönliche Risiken auf sich genommen. Beide haben sich zur Übermittlung der Daten technologischer Schutzmechanismen bedient - und sie haben dafür die volle Härte der US-Regierungspolitik zu spüren bekommen.