Forschung ohne Ende?

Smarte Pilotprojekteschwemme zum intelligenten Netz

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Obwohl in Europa schon über 350 Smart-Grid- und Smart-Metering-Projekte existieren, gehen die Meinungen, wozu die digitale Energieverbrauchserfassung gut sein könnte, noch immer sehr weit auseinander.

Fast alle Smart-Grid-Projekte wurden bisher in Stromnetzen betrieben. Im Gas-Bereich fängt die Entwicklung von Smart Grids gerade erst an. So wurde in Österreich im Rahmen des Projektes Smart Gas Grids erst eine Strategieentwicklung vorgenommen. Auch das in Deutschland verfolgte Smart-Gas-Grid-Projekt des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfachs bewegt sich bislang noch im theoretischen Rahmen ohne praktische Umsetzungen.

Das Joint Research Centre der Europäischen Kommission im italienischen Ispra führt in seiner aktuellen Aufstellung für die 28 EU-Mitgliedsstaaten sowie die EWR-Mitglieder Norwegen und Schweiz bis einschließlich 2012 schon 281 Smart-Grid- und 91 Smart-Metering-Pilotprojekte auf. Insgesamt wurden 1,8 Mrd. Euro für diese Pilotprojekte ausgegeben. Dabei waren Großbritannien, Deutschland, Frankreich und Italien die Hauptinvestoren. Dänemark wiederum investierte pro Kopf und Verbrauch den größten Betrag - und dies zudem in vielen kleinen Entwicklungsprojekten.

Insgesamt fällt jedoch auf, dass in Europa die Zahl der Großprojekte deutlich zugenommen hat. Lag der Anteil der Projekte mit einem Volumen von über 20 Millionen Euro 2006 noch bei 27 %, so hatte er sich bis 2011 mit einem Anteil von 61 % mehr als verdoppelt.

Obwohl sich - mit zuletzt 65 Projekten - eine zunehmende Anzahl der Pilotprojekte an Endverbraucher wendet, ist das Verbraucherinteresse an Smart Grids weiterhin eher gering. Dies wundert allerdings nicht wirklich, da sich für den privaten Endverbraucher kein wirklicher Nutzen feststellen lässt. Sicher mag es für den einen oder anderen Stromnutzer von Interesse sein, wie viel Strom seine Elektrogeräte verbrauchen. Dies ist jedoch ein nur kurzfristig spannendes Unterfangen und wird mit ziemlicher Sicherheit nicht über Jahre im Viertelstundenrhythmus wiederholt.

Mehrkosten größer als Einsparungen

Zudem konnte bislang bei privaten Endverbrauchern keine Einsparung der Stromkosten nachgewiesen werden, die größer ausgefallen wäre als die für den digitalen Zähler anfallenden Mehrkosten. In diesem Zusammenhang ist auch festzuhalten, dass sich an den Pilotprojekten nur technik- oder umweltaffine Freiwillige beteiligten. Die Teilnehmer stellen somit keinen repräsentativen Bevölkerungsquerschnitt dar. Der Zuwachs an Projekten, die sich direkt an Endverbraucher richten, war in Dänemark und Deutschland am größten.

So beabsichtigt der Regionalverbund E-DeMa (2009-214) in zwei verschiedenen Verteilnetzen im Rhein-Ruhr-Gebiet neben der Optimierung der Netzbetriebsführung in dezentralen Verteilnetzen eine Steigerung der Energieeffizienz durch Vernetzung im Haushalt zu erreichen. Kern des Projektes "Modellstadt Mannheim" (MoMa) war 2008 bis 2012 die Entwicklung eines spartenübergreifenden Ansatzes (Strom, Wärme, Gas, Wasser) zur Vernetzung der Verbrauchskomponenten mittels einer Breitband-Powerline-Infrastruktur. 200 Haushalten wurde dazu ein „Energy Butler“ zur Verfügung gestellt, sodass sie ihren Verbrauch in Abhängigkeit vom aktuellen Strompreis steuern konnten.

Beim abgeschlossenen Projekt "Minimum Emission Region" (MeRegio) (2008-2012) mit 1.000 teilnehmenden Stromverbrauchern im badischen Freiamt und im württembergischen Göppingen lag der Schwerpunkt im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik (IKT). Mithilfe einer Online-Plattform, die den gesamten Bereich von der Energieerzeugung bis zum Verbrauch umfasste, wollte man zur CO2-Minimierung und zum Klimaschutz beitragen. Bei SmartWatts (2008-2012) sollte in einem Verbund von 15 Stadtwerken im Raum Aachen ein "Internet der Energie" entstehen, in dem Haushaltgeräte ohne Komforteinschränkung selbstständig Strom verbrauchen, wenn er günstig zur Verfügung steht. Im Anschluss will das ab 2012 laufende Projekt Smart Area der Aachener STAWAG Komponenten, Betriebs- und Netzplanungskonzepte für ein Smart Grid entwickeln und im eigenen Netz testen.

Ziel des Projektes "Regenerative Modellregion Harz" (RegModHarz) (2008-12) im gleichnamigen Landkreis in Sachsen-Anhalt war die Erschließung erneuerbarer Energien mittels IKT und die Realisierung eines virtuellen Kraftwerks. Das in der ländlichen Region um Cuxhaven angesiedelte Projekt eTelligence (2009-12) betrachtete ein Gebiet mit geringer Versorgungsdichte und einem hohen Anteil erneuerbarer Energien. Im seit 2012 laufenden Projekt econnect Germany von sieben Stadtwerken (Aachen, Allgäu, Duisburg, Leipzig, Osnabrück, Sylt und Trier) sollen mit der Einbindung von Elektromobilitätslösungen die Möglichkeiten einer intelligenten Vernetzung von Energie- und Verkehrssystemen untersucht werden. Mit dem Projekt Smart Country (2008-2011) hatte RWE in einem rund 170 Quadratkilometer großen Netz im Kreis Bitburg-Prüm ein intelligentes Stromverteilnetz mit Biogasanlage als Stromspeicher und Blockheizkraftwerk in Betrieb genommen.

Im Zusammenhang mit dem Energieaufwand für den Datentransfer beabsichtigte das Projekt "Durchgängig Energiesensible IKT-Produktion" (DESI) (2011-2013) die Umsetzung eines lastabhängigen Netzbetriebs, in dem nur so viel Transportkapazität bereitgestellt wird, wie auch tatsächlich von den Anwendungen nachgefragt wird.

Bei den grenzüberschreitenden Pilotprojekten sind zwei teilweise in Deutschland angesiedelt. Das Projekt "Future Internet for Smart ENergY" (FINSENY) (2011-2013) umfasst 35 europäische Versorger sowie IKT-Netzbetreiber, Entwickler und Hersteller. Im Projekt geht es u.a. um die Einbindung von sogenannten Prosumern und Betreibern von Micro-Grids. Das Projekt Grid4EU (2011-2016) umfasst sechs europäische Energieverteiler (ERDF, Enel Distribuzione, Iberdrola, CEZ Distribuce, Vattenfall Eldistribution und RWE in Reken) mit jeweils einem Demonstrator und verfolgt die Integration von erneuerbaren Energien, E-Mobilität, Netzautomatisierung, Energiespeicher, Effizienz und Lastabsenkung.

"Intelligenter" Stromzähler. Foto: EVB Energie AG. Lizenz: CC BY-SA 3.0.

Zusammenfassend zeigt sich, dass die Verknüpfung industrieller und gewerblicher Energiekunden und der Verteilnetze über Smart Grids wirtschaftlich interessanter sein dürfte, als die Anbindung der je nach Bundesland gerade einmal 20-30 % ausmachenden privaten Stromkunden. Solange die Spreizung der Tarife keine signifikanten Preisunterschiede in Abhängigkeit von der Nutzungszeit bieten, wird kaum ein Kunde die Nutzung seiner Elektrogeräte verschieben wollen. Die Pilotprojekte zeigten ein Verschiebepotential von gerade einmal 8 %. Eine deutliche Verbrauchseinsparung ließ sich im Privatkundenbereich unter Marktbedingungen nicht nachweisen, auch wenn dies von der Politik immer wieder als der große erstrebenswerte Vorteil von Smart Grids hervorgehoben wird.

Im Bereich der industriellen und gewerblichen Kunden lässt sich der Nutzen von Smart Grids deutlich besser darstellen. Neben der zeitnahen Übertragung von Verbrauchsdaten und Möglichkeiten zum vertraglichen Lastabwurf lassen sich auch weitere Anwendungsmöglichkeiten realisieren. So ist es vorstellbar dass sich jenseits der Energieversorgung auch Zustandsdaten von technischen Komponenten zu Wartungszwecken aus der Ferne ablesen lassen oder dass die Effizienz von USV-Anlagen von der zuständigen Marktüberwachung aus der Ferne abgelesen wird.

Mit dem Start von Smart Grids im Bereich der dezentralen Stromerzeugung und in den Verteilnetzen könnte mit Sicherheit deutlich schneller mehr bewegt werden, als mit der gesetzlichen Verpflichtung der Endverbraucher, ein System installieren zu lassen, das ihnen keinen Nutzen, sondern nur zusätzliche Kosten und Abzocke-Risiken wie mit den Telefon-Dialern der frühen Nuller Jahre bringt. Ob sich der von den technischen Ausrüstern schon vor vielen Jahren aufgegleiste Zug noch in eine nützliche Richtung lenken lässt, werden die kommenden Monate zeigen.

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