Alle gegen Barbara Baumann

Das globale Kapital will freien Welthandel ohne Risiko

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Die Regierungen in Washington und Berlin wollen das Freihandelsabkommen besiegeln und die Regeln neu schreiben. Und dafür müssen sie vorher ein Problem aus dem Weg räumen. Es heisst: Barbara Baumann, Mutter eines ermordeten Gewerkschafters von Mercedes-Benz Argentina und Klägerin gegen Daimler vor einem Gericht in Kalifornien. Im April hatte der US Supreme Court entschieden, den Fall Daimler AG v. Baumann anzuhören. Es geht um die geographische Zuständigkeit: Darf das Gericht in San Francisco den Fall der verschwundenen Mercedes-Betriebsräte verhandeln? Die kalifornischen Richter bejahten dies, da der deutsche Autobauer astronomische Gewinne im Sonnenstaat einfahre und laut des "General Distributor Agreement" Mercedes-Benz USA kontrolliere (Daimler eingebrochen).

Für das globale Kapital steht das freie Unternehmertum auf dem Spiel. Es übt auf den Obersten Gerichthof massiven Druck aus. An den Gewerkschaften hingegen geht der Fall vorbei, sie tun so, als gehe er sie nichts an. Auch die Verbraucherschutzverbände haben sich noch nicht geäußert. Dabei geht es längst nicht mehr nur um einen Menschenrechtsfall vor 40 Jahren am anderen Ende der Welt. Es geht darum, ob multinationale Unternehmen auf allen Märkten der Welt frei agieren und risikolos Gewinne erwirtschaften können, weil sie sich nur an dem Ort juristisch zur Verantwortung ziehen lassen wollen, den sie zu ihrem Mutterhaus erklärt haben. Und dieser Ort kann Stuttgart, Palermo oder die Cayman Islands sein. Es müssen nur genügend Scheinfirmen und Strohmänner dazwischen geschaltet werden, um den Weg, wohin am Ende das Geld fließt, zu verwischen.

Zwei Fragen haben die Obersten Richter den Parteien aufgegeben:

  1. Kann die US-Niederlassung eines ausländischen Unternehmens allein dadurch zur Rechenschaft gezogen werden, weil es in einem US-Bundesstaat Geschäfte tätigt - ohne dass ein US-Bundesgericht ausdrücklich diese beiden Firmen als "Alter Ego" bezeichnet hat?
  2. Ist die Haftbarmachung eines ausländischen Konzerns für eine Handlung im Ausland per se verfassungswidrig, wenn die US-Niederlassung des Konzerns in diese Handlung nicht verwickelt war?

Eine wahre Amicus-Schlacht ist im Gang. Amicus-Curie Briefs sind Statements von Nicht-Verfahrensbeteiligten, die dem Gericht ihre Meinung zum Prozess darlegen. Lang ist die Liste der Amici, die sich auf die Seite Daimlers geschlagen haben. Da sind vor allem die Automobile Manufacturers Inc., die Association of Global Automakers, die Atlantic Legal Foundation, die New England Legal Foundation, die Associated Industries of Massachusetts (Zusammenschluss von Firmen, die im Commonwealth das freie Unternehmertum verteidigen), die US-Chamber of Commerce, der National Foreign Trade Council, die Organization for International Investment, die European Banking Federation, der Bundesverband der Deutschen Industrie, der Deutsche Industrie- und Handelskammertag, der Bundesverbank Deutscher Banken, die Schweizer Bankiervereinigung, der ICC Switzerland (schweizer Handelskammer) und die Economiesuisse. Letztere ist, so erklärt sie in ihrem Brief, Dachverband der eidgenössischen Industrie und steht für zwei Millionen schweizer Arbeitsplätze, sprich: Kontoinhaber. Die Amici führen nur wenige, rein juristische Argumente ist Feld: "Die Ereignisse sind über 30 Jahre vorbei, passierten am anderen Ende der Welt, in Argentinien, und haben nichts mit Kalifornien oder den USA zu tun. (Unter den Klägern) ist kein US-Staatsbürger und die USA haben keine Verbindung mit den Geschehenen" (Global Automakers). Das Gebot des Due Process, wonach jeder ein Recht auf ein gebührendes Gerichtsverfahren besitzt, werde verletzt, wenn sich Richter das Recht herausnehmen würden, über Dinge zu urteilen, die nicht in ihrer Zuständigkeit liegen. Und: Mercedes-Benz USA habe eine "separate legal identity" und unterhalte mit dem deutschen Mutterhaus nur lockere Verbindungen.

Das US-Handelsministerium habe gewarnt, so heißt es, dass sich die Gerichtskosten in den USA, doppelt so hoch wie in Japan oder Deutschland, negativ auf die Investitionsfreude auswirken, weil sie den Standort wenig kompetitiv machen. Würde das Baumann-Urteil bestätigt, drohe eine "explosion of worldwide forum shopping" (das willkürliche Ausnutzen lokaler Zuständigkeiten). Nicht nur deutsche Unternehmer würden Gefahr laufen, für irgendwelche Umstände vor US-Gerichten zu landen. Auch US-Händler liefen Gefahr, woanders haftbar gemacht zu werden, General Motors oder Ford etwa. Berbau- und Erdölunternehmen werden nicht genannt, sind aber wohl gemeint. So würden US-Firmen daran gehindert, neue Märkte zu erschliessen und die Segnungen des Freihandels in die ganze Welt zu tragen.

Das Weltrechtsprinzip gelte nur beim Strafrecht, meint Heiko Willems vom BDI: "Aus der Tatsache, dass deutsche Unternehmen ihre Tochtergesellschaften in den USA kontrollieren ist keine allgemeine Gerichtszuständigkeit für deutsche Mütterunternehmen in den USA gegeben". In den USA bestehe die Zuständigkeit gegen die US Corporation und in Deutschland gegen das Mutterhaus.