Orgon, Ufos und Paranoia

"Der Fall Wilhelm Reich" Teil 4

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Die Bioenergetik des Reich-Schülers Alexander Lowen entwickelte Reichs Ideen über die Psychologie und Sexualökonomie des Orgasmus weiter. Seine "Vegetotherapie" findet heute in diversen Körpertherapien ihre Fortsetzung. Auf den ersten Blick phantastisch anmutende Erkenntnisse Reichs über die "Bione" wurden später von der Biologie erneut entdeckt und unter dem Namen "Mikrosphären" teilweise bestätigt. Auch die gerichtlich verfolgten und verbotenen Arbeiten aus der Reichschen Orgon-Forschung finden bis heute ihre Anhänger.

Teil 1: Reich, die CIA und MKULTRA
Teil 2: Psychoanalyse und Todestrieb
Teil 3: Vom Freudo-Marxismus zu Sexpol

Der wissenschaftliche Status der von der Schulmedizin nicht anerkannten Orgon-Therapien ähnelt dem der Homöopathie, der von einer vehementen Ablehnung über den Verweis auf ungeklärte Fragen bis hin zur Anwendung in der ärztlichen Praxis reicht. Die Behauptung von Reichs angeblicher Geisteskrankheit wird meist mit Verweis auf Orgon-Theorie und Ufo-Sichtungen kolportiert - unter unzulässiger Ausblendung des weithin anerkannten Praktizierens von "Alternativmedizin" sowie des zeitgeschichtlichen Hintergrundes der Ufo-Hysterie in den USA der 50er-Jahre.

Vom Orgasmus zur Orgonenergie

Heilung war für Reich eine Auflösung der Blockaden und ein freies Fließen der Libidoenergie in Bewegung, Atmung und vor allem: Orgasmus. Was aber war die Natur dieser Energie? Für physiologische Studien zur "orgasmischen Potenz" griff Reich zu neuen Methoden der Bioelektrizität - die Elektroenzephalografie war im Jahrzehnt davor erfunden worden.

Reich erforschte Hautpotentiale der Genitalien und schließlich das vegetative Nervensystem, wo Gefühle von Angst und Lust Reaktionen der An- bzw. Entspannung korrespondieren. Die Grundlagen dieser Prozesse der bioelektrischen Auf- und Entladung verfolgte Reich bis hinab auf die Zellebene und zur Beobachtung von Einzellern. Hier gelang Reich eine erstaunliche mikrobiologische Entdeckung: Die - von ihm so getauften - "Bione".

Zur Gewinnung von Einzellern machen Mikrobiologen Heuaufgüsse: In mit Wasser übergossenen Trockengras entwickeln sich Bazillen und Ciliaten - wie Glocken- und Pantoffeltierchen- aus ihren Sporen, um die Grasjauche zu bevölkern. Reich aber kochte den Heuaufguss ab, so dass die Sporen abstarben, und fand dennoch kleine, lebendig wirkende Objekte. Aus den zerkochten Zellbestandteilen fanden sich in spontaner Selbstorganisation blasige Strukturen zusammen, die scheinbar zu Wachstum, Fortbewegung und Teilung fähig waren.

Biologen haben später die Bione (für deren Beobachtung einige Zeitgenossen Reich schon für verrückt erklärten) noch einmal entdeckt und nennen sie heute "Mikrosphären": Von Zellmembran umschlossene vorbiologische Gebilde, die gewisse Stoffwechselvorgänge zeigen können, ohne dass eine Steuerung durch DNA bzw. RNA vorliegt (Lassek S.41). Reich konnte die Unterscheidung nicht so genau treffen, da die Funktion der DNA erst später enträtselt wurde.

Bei einigen Arten der Bione fand Reich ein blaues Leuchten, das Augenreizungen erzeugte: Die später "Orgon-Energie" genannte Strahlung. Nach zahlreichen Experimenten konnte sie in einer Art mehrfach geschachteltem Faradayschen Käfig, dem "Orgon-Akkumulator", konzentriert werden. In ihr sah Reich die universelle Lebensenergie, die sich im Körper als Libido oder blockiert und fehlgesteuert als Muskelpanzer äußert. Die Orgon-Strahlen erwiesen sich als psychisch und physisch heilsam, sogar bei einigen Krebskranken. Von seinem Orgonon-Institut in Maine aus begannen Vermietung und Verleih der "Orgon-Boxes".

Weitere Studien bezogen Radium bzw. Radioaktivität ein ("Oranur-Experimente"), deren schädliche Wirkung gesteigert wurde: Es kam zu einer Verstrahlung von Mitarbeitern und Reichs Tocher - Svobodas Film dokumentiert die Dramatik dieses Unfalls. Reich wurde zum erbitterten Gegner der US-Atomforschung, die seit den Bomben auf Hiroshima und Nagasaki 1945 stetig ausgeweitet wurde. Er begründete dies mit seiner Befürchtung, Orgon-Energie würde durch Radioaktivität zur "Oranur"-Strahlung übererregt, die ähnlich gefährlich sei wie blockierte Orgon-Energie vom Typ "DOR", kurz für "Deadly Orgon" (Bechmann S.47).

Alle historischen Elemente, die vorkommen, basieren auf wahren Begebenheiten. Ich wollte nicht versuchen, innerhalb der Forschung Reichs oder seiner politischen Verfolgung noch etwas zu erfinden. Die Geschichte an sich ist schon so fantastisch oder ungeheuerlich, dass es Grundlage genug für den Spielfilm war.

Interview mit dem Regisseur Antonin Svoboda

1952 trat Reich in eine neue Phase der Orgon-Forschung ein: Das Cosmic Orgone Engineering (CORE). Es war das Jahr, in dem der CIA-Wissenschaftler Frank Olson in Deutschland die unter Ägide von A.P.A.-Psychiater Dr.Cameron entwickelten Artischocke-Methoden an vermeintlichen sowjetischen Spionen erprobte. Viele Verdächtige wurden dabei zu Tode gefoltert, was bei Olson jene Gewissensbisse auslöste, die ihn für seine Auftraggeber zu einem Risiko werden ließen. Svobodas Film verknüpft das CIA-Programm mit Reichs Orgon-Forschung.

Screenshot aus dem Trailer zu Antonin Svobodas Film "Der Fall Wilhelm Reich"

CORE diente zur Beeinflussung von atmosphärischen Phänomenen, wobei es Reich 1952 tatsächlich gelang, eine Dürreperiode durch Regenmachen mit dem Orgon-Cloudbuster zu unterbrechen (Bechmann S.78). Dem Bild von Reich an seinem Cloudbuster widmete Kate Bush einen berühmten Videoclip, Svoboda beginnt damit seinen Spielfilm. Von vielen Biographen wird Reich in dieser Phase seiner letzten Lebensjahre für verrückt gehalten, vor allem, weil er sich ernsthaft mit Ufos befasste und vor ihren Gefahren warnte. Heute gilt "das Glauben an Ufos" als gleichbedeutend mit Wahnzuständen und wird, ähnlich wie das "Stimmenhören", reflexhaft mit einer spöttischen Haltung beantwortet.