Die geschlossenen Räume der Station F3

Die forensische Abteilung der Frauen-Psychiatrie von Taufkirchen/Vils steht in der Kritik

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In der oberbayerischen Kleinstadt Taufkirchen an der Vils befindet sich ein modernes, kaminrot gestrichenen Gebäude aus Beton. Es ist die geschlossene Abteilung der psychiatrischen Isar-Amper-Klinik, die vom Bezirk Oberbayern betrieben wird. Hier sind ausschließlich Frauen im sogenannten Maßregelvollzug untergebracht, die wegen einer Straftat vor Gericht standen, für psychisch krank befunden und hier eingewiesen wurden.

Geschlossene Abteilung heißt, dass fast alle Türen in dem 2011 eröffneten Neubau abgeschlossen sind. Angeboten werden Mal-, Musik- und Arbeitstherapie, in einer Werkstätte wird auf Bestellung Keramik hergestellt. Ein anderer Raum dient dem Korbflechten. "Die Beschäftigung wird den Möglichkeiten der Patientinnen angepasst", sagt Chefärztin Verena Klein, Leiterin der Forensischen Abteilung.

Von den rund 160 Insassinnen der Forensik sind 22 auf der Station F3 untergebracht, das ist die Station für Patientinnen mit chronischer psychischer Erkrankung. Wer die Station betritt, der findet zu rechter Hand das verglaste Stationszimmer mit Krankenschwestern und Pflegern. Vor ihm halten sich mehrere Patientinnen auf, warten auf den Arzt oder einen anderen Ansprechpartner. Die Station hat einen Aufenthaltsbereich, der mit seinem "Kicker"-Spielgerät ein wenig an ein Freizeitheim erinnert. Dahinter liegt der Speisesaal, eine Tür führt zu einem begrünten Innenhof. Im ersten Stock befinden sich die Patienten-Zimmer, mit Schloss versehen, aber in der Regel unverschlossen. Anstelle von Gittern vor den Fenstern ist dort ein perforiertes Metallschild, das sieht freundlicher aus. Aber forensische Abteilungen sind bei aller Freundlichkeit und Modernität noch immer ein Ort des menschlichen Leidens und Elends. Das zeigt sich auf der Station F3 in jenem Gang zur linken Hand, der zu den sogenannten Wachräumen führt. Hier sind die Türen massiv und mit Sichtfenstern versehen, jemand schreit laut. Am Ende des Ganges liegt das – unabgeschlossene - Zimmer von Ilona H. Sie ist hier alleine untergebracht und beschäftigt sich gerade mit Schreibarbeit. Wenn Mitarbeiter der Klinik den Raum betreten, werden sie von der 57-Jährigen demonstrativ ignoriert. Ilona H. führt einen Kampf gegen die Anstalt.

Mit dabei von außen ist die Künstlerin Nina Hagen. Sie engagiert sich als "Schirmfrau" für psychiatrisierte Frauen und setzt sich für deren Entlassung ein. Dazu telefoniert sie auch mit Insassinnen der geschlossenen Abteilungen und teilt den Frauen allerdings erst nach einer Viertelstunde mit, dass das Gespräch aufgezeichnet und veröffentlicht werde.

Und Nina Hagen nimmt in ihrer – militanten - Hilfsbereitschaft kein Blatt vor den Mund: Sie spricht von Taufkirchen als "Folterhölle", die Station müsse "sofort geschlossen werden", der Klinikleiter - Prof. Matthias Dose - sei ein "Stalinist" und "Schwerverbrecher". Die Ungeheuerlichkeit ihrer Vorwürfe (Körperbehinderten werde während der Mahlzeiten hinterrücks die Stühle wegzogen, um sich an der Hilflosigkeit der am "bodenliegenden Opfer zu ergötzen"; Blinde in obere Etagen verlegt und darauf gewartet, bis "sie die Treppen herunterstürzen") stößt sich auch nicht daran, dass eine Patientin ihr am Telefon erklärt: "Mir geht es gut", sie habe alle Freiheiten.

Ilona H. jedenfalls, die in einem dieser Telefonate erklärte, sie sei "total isoliert", will mit dem Pressevertreter nur sprechen, wenn ihr Anwalt dabei sei. Sie wirft der Klinik vor, ihr die Post nicht auszuhändigen, Patientinnen würden drei Tage lang gefesselt und gefüttert, ihr seien Bücher, Radio und andere Habseligkeiten weggenommen worden. Wegen der Vorwürfe, die von der Klinikleitung zurückgewiesen werden, wurde auch die Menschenrechtsbeauftragte der bayerischen Ärztekammer, die Ärztin Maria Fick, eingeschaltet. Doch deren Kontaktaufnahme scheiterte, sie sei mit einem "Raus!" begrüßt worden. Dann ist noch die Rede von rassistischen Beleidigungen einer schwarzen Krankenschwester durch Frau H. und von ihren Tritten in den Genitalbereich der Pfleger.

"Im fixierten Zustand ist der Patient zu entkleiden"

Deshalb wurde sie im August dieses Jahres zwangsfixiert und das ist eine der erschütterndsten Maßnahmen der Psychiatrie. "Beim Anlegen der Fixierung stets mindestens Fünf-Punkt-Fixierung: Bauchgurt, beide Füße und beide Hände fixieren", so eine Anleitung. Und: "Im fixierten Zustand ist der Patient zu entkleiden und ihm ein Nachthemd anzuziehen. Alle sonstigen Gegenstände wie Brille, Ketten, Ringe, Armbanduhr etc. sind zu entfernen."

Überwacht werden die Fixierten auch durch Monitore: Im Stationszimmer der Station F3 ist auf einem Bildschirm eine fixierte Frau zu sehen, die nur noch den Kopf bewegen kann. Der Stationsarzt ist anwesend, nur er kann eine Fixierung anordnen. "Manchmal müssen die Patienten davor geschützt werden, sich selbst oder andere zu gefährden", sagt Chefärztin Verena Klein.

Ilona H. ist seit 2007 zwangsweise in der Psychiatrie. Vorangegangen war eine dreimonatige Freiheitsstrafe wegen Körperverletzung. Nach einem erneuten Vorfall, bei dem sie im Supermarkt einen Einkaufswagen mit erheblicher Wucht gegen das Opfer gestoßen hatte, wird bei ihr eine wahnhafte Störung diagnostiziert.

Freilich, es stellt sich die Frage nach der Verhältnismäßigkeit des Freiheitsentzugs. Dafür, sagt Klinikleiter Dose, sei letztendlich das Gericht zuständig. Und die Psychiatrie stelle auch keinen rechtsfreien Raum dar. Es gebe ein klinikinternes "Beschwerdemanagement", bei dem Vorwürfen nachgegangen werde, einen unabhängigen Patientenfürsprecher, die beiden Klinikgeistlichen, eine "Unterbringungskommission" der Regierung von Oberbayern, die mindestens einmal jährlich die Klinik aufsuche und zu der alle Patientinnen Zugang hätten, schließlich den Anspruch auf regelmäßige Überprüfung der Fortdauer der Unterbringung durch die zuständigen Strafvollstreckungskammern. Dose: "An Instrumenten fehlt es nicht."

Was allerdings fehle, so der Facharzt für Psychiatrie, sei ein eigenes "Maßregelvollzugsgesetz", das die bisherigen "Grauzonen" wie Postkontrolle, Überwachung oder Zwangsmedikation eindeutig regele.