Eine bittere Bilanz: 25 Jahre Frauenquote in der SPD

Gastbeitrag von Klaus Funken, dem ehemaligen wirtschaftspolitischen Referenten der SPD-Bundestagsfraktion

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Vor 25 Jahren, am 30. August 1988, beschloss die SPD auf ihrem Bundesparteitag in Münster mit 362 der 416 abgegebenen Stimmen die verbindliche, in den Parteistatuten verankerte Frauenquote. Bei einem Frauenanteil von knapp 27% sollten nach einer Übergangszeit 40 % aller Spitzenpositionen mit Genossinnen besetzt werden.

Die Quotenregelung war als Angebot gedacht. Mit der Bevorzugung von weiblichen Mitgliedern bei der Besetzung der Führungsgremien in der Partei und bei der Aufstellung von Kandidatenlisten für die Parlamente in den Gemeinden, den Ländern und dem Bund sollte die Attraktivität erhöht und damit mehr Frauen zur SPD hingeführt werden. Diese Hoffnung der Parteiführung um Hans-Jochen Vogel ist allerdings gründlich enttäuscht worden. Kaum war die Quotenregelung installiert, verließen die Frauen in Scharen die Partei.

Klaus Funken

Nach 25 Jahren Frauenquote ist die Zahl der weiblichen Mitglieder um 35% gegenüber 1988 gesunken. Doch nicht nur deswegen fällt die Bilanz für die SPD bitter aus. Die Frauenquote war in Münster auf 25 Jahre befristet worden. Aus gutem Grund, denn eine Verletzung verfassungsrechtlicher Grundsätze und die Beschränkung demokratischer Regeln, wie es bei einer Quotenregelung zugunsten eines Geschlechts der Fall ist, können nur als zeitlich befristetes Mittel zur Erhöhung des Mitgliederanteils legitimiert und gerechtfertigt werden. Das war allgemeiner Konsens in Münster. Als der Fehlschlag der Quotenregelung sich abzeichnete, wurde dieser Konsens aufgekündigt - 2003 auf dem Parteitag in Bochum.

In diesen Wochen, genauer gesagt am 30. August 2013, wäre die Frauenquote in der SPD - vermutlich sang- und klanglos - ausgelaufen. So war die Beschlusslage des Parteitages von Münster, damals im Jahr 1988. 25 Jahre sollte sie gelten. Mehr nicht. Diejenigen, allen voran der Parteivorsitzende Hans-Jochen Vogel, die für die verbindliche Frauenquote, die "Pflicht- oder Mußquote", wie sie auch genannt wurde, gekämpft und dafür gesorgt hatten, dass sie in Münster durchkam, waren sich einig, dass eine dauerhafte, in den Parteistatuten verankerte Bevorzugung von weiblichen Mitgliedern, eben eine Frauenquote, juristisch keinen Bestand haben würde. Sie war auch politisch von niemand gewollt, auch nicht von den Antragstellerinnen, dem Vorstand der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen. Sie sollte und konnte nur für eine Übergangszeit gelten. Aus gutem Grund.

Eine Quote, so hatte der Staatsrechtler Ingwer Ebsen in seinem Gutachten für den SPD Vorstand 1988 geschrieben, könne "nur als zeitlich befristetes Mittel zur Erhöhung des Mitgliederanteils … legitimiert werden und kann auch nur insoweit eine Abweichung vom Grundsatz der Wahlgleichheit rechtfertigen." Und unmissverständlich fügte er hinzu, "daß eine Quotierung von 40% nach Ablauf einer Zeit … insoweit nicht mehr verfassungsmäßig wäre, als sie den Mitgliederanteil der Frauen deutlich überstiege." Deshalb sei es empfehlenswert, "im Interesse klarer Verhältnisse von vorneherein eine zeitliche Befristung vorzusehen, nach deren Ablauf die in der Satzung vorgesehene Quote durch den Mitgliederanteil begrenzt ist." Der Parteitag der SPD in Münster kam dieser Empfehlung nach. Die Quote wurde auf 25 Jahre begrenzt. Damals in Münster.

Trotz Frauenquote verließen viele Frauen die SPD

Das änderte sich im Jahre 2003 auf dem Parteitag in Bochum. Die Hoffnung, die die Partei in die Frauenquote gesetzt hatte, nämlich mehr Frauen für die SPD zu gewinnen, hatte getrogen. Gegenüber 1988, dem Jahr als die Quote eingeführt worden war, hatten 2003 mehr als 45.000 Frauen, das waren knapp 20% der weiblichen Mitglieder, die Partei 2003 schon wieder verlassen. Für die Führung der Partei unter Kanzler Schröder und Franz Müntefering kein Alarmzeichen. Mit Frauen und Gedöns konnte man dem Kanzler ohnehin nicht kommen.

Statt kritisch Bilanz zu ziehen, wurde der Weg in die Quotensackgasse verbissen weiter verfolgt. Auf der Basis eines Antrags, ebenfalls eingebracht vom Vorstand der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen, wurde auf dem Bochumer Parteitag ohne jede Debatte, gleichsam in einer "Nacht- und Nebelaktion", die zeitliche Begrenzung aufgehoben. Die Quotenregelung wurde mit der für Statutenänderungen notwendigen zwei Drittel Mehrheit - auf Dauer gestellt. Die "Frauenquote" war zuvor als "Geschlechterquote" aufgehübscht worden. Der Privilegierungscharakter einer Quotenregelung damit semantisch bereinigt. Verfassungsrechtliche Bedenken spielten in Bochum ohnehin keine Rolle mehr. Die "Schröder-SPD" des Jahres 2003 hatte andere Sorgen.

Seither ist das Thema Quote in der SPD kein Thema mehr. Eine Änderung, selbst eine Diskussion über eine Änderung, ist ein aussichtsloses Unterfangen. Diskutiert wird nur darüber, wie noch weiter drauf gesattelt werden kann. Fest steht jedenfalls: Eine Statutenänderung kann ohne die Zustimmung der Genossinnen nicht mehr beschlossen werden. Somit befinden die Privilegierten selber über ihre eigenen Privilegien. Eine ungewöhnliche und höchst komfortable Lage - für die Frauen.

Dabei hatten die Genossinnen von der AsF zunächst eine Frauenquote als frauenverachtend abgelehnt. Als Willy Brandt und der damalige Bundesgeschäftsführer Egon Bahr sie dennoch Mitte der siebziger Jahre ins Gespräch brachte, waren die Genossinnen entsetzt. "Egon, ich liebe dich! Aber, Egon, laß die Pfoten von den Quoten" kanzelte die Pressesprecherin der AsF, Karin Hempel Soos, auf einer Veranstaltung Bahr öffentlich ab. Die Frauenquote war vom Tisch.

Heute ist eine Diskussion über die Sinnhaftigkeit oder gar die Rechtmäßigkeit einer Frauenquote in der SPD nicht mehr möglich

Die Absicht, sie dennoch zu führen, kommt einem Tabubruch gleich. Der Karrierekiller schlechthin. Die Genossinnen und Genossen bestreiten zwischenzeitlich rundheraus, dass mit der in ihrem Parteistatut verankerten Quotenregelung Artikel 3 Grundgesetz, nach dem niemand wegen seines Geschlechtes benachteiligt oder bevorzugt werden darf, verletzt werde. Sie bestreiten zudem, dass es so etwas wie eine "Frauenquote" in der SPD überhaupt gibt.

Viel lieber sprechen sie von einer "Geschlechterquote", bei der die Rechte von Frauen und Männer gleichermaßen gewahrt blieben. Bei einem Frauenanteil von z.Z. 31% erweist sich die "Geschlechterquote", mit der zwischenzeitlich 50% aller Spitzenpositionen in der Partei und bei der Aufstellung der Listen für Wahlen an Frauen fallen, als ziemlich durchsichtiger Trick, der die wahren Sachverhalte vernebeln soll. Natürlich hat die SPD eine weibliche Mitglieder bevorzugende und männliche Mitglieder benachteiligende Quotenregelung, die jetzt seit 25 Jahren die innerparteiliche Ordnung beherrscht und alle Versuche, mehr innerparteiliche Demokratie zu praktizieren, zum Scheitern bringt.

Da war die Diskussion vor 25 Jahren in Münster ehrlicher und ernsthafter. Sozialdemokraten seien - so hatte der Bundestagsabgeordnete und spätere Justiziar der SPD-Bundestagsfraktion, Hermann Bachmaier, die Delegierten auf dem Parteitag beschworen - mit Recht stolz darauf, "daß wir unsere Ziele immer mit unbestreitbar demokratischen Mitteln verfochten und durchgesetzt haben." Die verbindliche Quote stelle aber einen bedenklichen Eingriff in die Entscheidungsfreiheit der Parteimitglieder dar und gerate damit zwangsläufig und notwendigerweise in Konflikt zur innerparteilichen Demokratie.

"Wer es mit der innerparteilichen Demokratie ernst meint, kann auch noch so herausragende Prinzipien wie das der Gleichstellung der Frauen in der Politik nur mit einwandfreien demokratischen Mitteln herbeiführen." Diesem Anspruch aber genüge, so Bachmeier weiter, die Pflichtquotierung nicht. Innerparteiliche Wahlen und Listenaufstellungen würden in nicht unwesentlichem Umfange vorfestgelegt und nicht mehr der souveränen Entscheidung der Parteimitglieder überlassen. Die Eigenschaft "Frau oder Mann" überlagere alle anderen bei Personalentscheidungen anstehenden Kriterien." Bachmeiers Appell ist in Münster folgenlos geblieben und seither vergessen worden.

Hans Jochen Vogel hatte in Münster die Erwartung ausgedrückt, dass die Quote "in der nächsten Zeit vielen Frauen den Weg zu uns erleichtern" werde. Das war ein großer Irrtum. 35% der Genossinnen haben seit dem Quotenbeschluss 1988 der SPD den Rücken gekehrt. Nur weil knapp die Hälfte der Genossen die Partei verlassen hat, ist der Frauenanteil in der SPD von 26 % im Jahr 1988 auf 31 % leicht gestiegen: eine bittere Bilanz nach 25 Jahren Frauenquote in der SPD.