Obama allein zuhause?

Der Ex-UN-Waffeninspekteur Jan van Aken von der Linkspartei über die von den USA vorgelegten Beweise, die Möglichkeit eines Militärschlags und die Notwendigkeit einer politischen Lösung

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Der Plan des US-Präsidenten Barack Obama, Syrien zu bombardieren, findet wenig Unterstützung: Das britische Parlament hat dem Krieg eine Absage erteilt, überall auf der Welt gingen am vergangenen Wochenende Menschen für eine friedliche Lösung auf die Straße, nur eine Minderheit der US-Amerikaner befürwortet einen Militärschlag, die Abgeordneten haben eine Debatte im Kongress durchgesetzt, bevor Obama über die Bombardierung entscheidet, und nun meutert auch noch das Militär. 40.000 Soldaten sind insgesamt desertiert, einige von ihnen nahmen an einer öffentlichen Rückgabe ihrer Militärorden als Protestaktion gegen den Krieg teil. Laut Washington Post halten selbst hochrangige Militärs wenig von Obamas Plänen. Die Rede ist von einem "Abenteuer", das "wenig plausibel" sei.

Der breite Widerstand ist eine günstige Voraussetzung, eine friedliche Lösung mittels politischen Verhandlungen unter Beteiligung auch Russlands und des Iran anzustreben, sagt der Biologe und Ex-UN-Waffeninspekteur Jan van Aken, stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion der Linken und deren außenpolitischer Sprecher.

Nach wie vor gibt es Stimmen, die bezweifeln, dass es überhaupt einen Giftgaseinsatz in Syrien gegeben habe. Wieso sind Sie sich sicher, dass er tatsächlich stattgefunden hat?

Jan van Aken: Natürlich kann auch ich nicht mit Sicherheit behaupten, dass ein Giftgasanschlag stattgefunden hat, da müssen wir den Bericht der UN-Inspektoren abwarten. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass es so war. Außerdem hat der Sondergesandte der Vereinten Nationen und der Arabischen Liga für Syrien, Lakhdar Brahimi, bereits durchblicken lassen, dass Beweise gefunden wurden.

Welche Möglichkeiten gibt es, einen solchen Einsatz im Nachhinein festzustellen - oder eben auch verlässlich auszuschließen?

Jan van Aken: Das ist ganz einfach: Anhand von Enzymtests können Sie bei Überlebenden binnen Minuten feststellen, ob ein Nervengift eingesetzt wurde. Außerdem werden Blut- und Urintests sowie Bodenproben in einem solchen Untersuchungsverfahren, wie es jetzt in Syrien stattfindet, durchgeführt. Die Abbauprodukte chemischer Kampfstoffe halten sich eine Weile. Anhand der Untersuchungen der Patientinnen und Patienten lässt sich ziemlich genau feststellen, welches Giftgas eingesetzt wurde.

Die Beweislage der US-Regierung ist hauchdünn

Das Orakel von Delphi hat derzeit Hochkonjunktur: die einen - Politiker und Mainstream-Medien des Westens - scheinen sich einig darüber zu sein, dass Assad dafür verantwortlich ist, die anderen - die Linke - behauptet zu wissen, dass die Verantwortung bei den so genannten Rebellen liege. Gibt es überhaupt die Möglichkeit herauszufinden, wer dafür verantwortlich ist?

Jan van Aken: Unter den Bedingungen des Bürgerkriegs ganz klar: Nein! Das wird eine langwierige Aufklärung anhand von Zeugenaussagen und Dokumenten und der Auswertung des gefundenen Materials, also z.B. Munition und Granaten. Allerdings sind letztere eher mit Vorsicht zu genießen: Selbst wenn z.B. Granaten gefunden würden, die eindeutig aus Armee-Bestand stammen, heißt das noch lange nicht, dass die Armee sie auch eingesetzt hat. Diese Waffen können von Überläufern von der Armee zu den Rebellengruppen mitgebracht worden sein oder aus einem Überfall auf ein Armee-Depot stammen. Wie gesagt, die Wahrheitsfindung wird ein langwieriger Prozess sein, aber am Ende werden wir es wissen. Irgendwann werden wir verlässliche Informationen bekommen.

Was ist von den Beweisen zu halten, die Obama jetzt angeblich hat?

Jan van Aken: Das ist nichts anderes als Kaffeesatz-Leserei. Ich habe mich sehr intensiv mit dem Papier beschäftigt, das US-Außenminister John Kerry vorgelegt hat. Die Beweislage ist hauchdünn, noch dünner, als 2003 in Bezug auf den Irak.

Die Bombardierung Syriens schien ja ziemlich sicher, nun hat der US-Präsident aufgrund des unerwartet starken Gegenwindes selbst im eigenen Land zurückgerudert. Ist Obama allein zuhause?

Jan van Aken: Ein paar Willige für eine mögliche Kriegskoalition gibt es ja schon noch. Der französische Präsident François Hollande sowie der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan stehen ihm ja weiterhin getreu zur Seite. Allerdings wird es für Obama vermutlich sehr schwer, die Mehrheit im Kongress für den Kriegseinsatz zu bekommen.