Das "Wundermittel" Kexxtone

Ein 2004 verbotenes Doping-Mittel erobert erneut den Kuhstall

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Mehrere Jahrzehnte lang wurde Mastbullen ein Futterzusatz verabreicht, der den Wirkstoff Monensin enthielt. 2004 wurde er als gesundheitsgefährdend verboten. Anfang 2013 kehrt der leistungssteigernde Wirkstoff in Form eines Prophylaxe-Medikamentes in die Ställe zurück.

Wohl eher "glücklichere" Kühe, die nicht industriell gehalten werden. Bild: Ramessos/public domain

Milch ist zum Abfallprodukt geworden: Es gibt viel zu viel davon. Erinnern wir uns an die streikenden Milchbauern 2008 und 2009. Zehntausende Bauern entleerten damals ihre Milchtanks auf die Felder. Die tagelangen Proteste wollten nicht enden. Seitdem ist äußerlich Ruhe eingekehrt, doch an der Situation hat sich nichts geändert: Tausende Landwirtschaftsbetriebe in der EU werden in den Ruin getrieben, weil sie von den paar Cent, die ihnen die Molkereien für den Liter zahlen, nicht leben können.

Den industriellen Strukturen sind kleinbäuerliche Betriebe ohnehin nicht gewachsen. Die Milchindustrie kümmert das Schicksal arbeitsloser Milchbauern wenig. Seite an Seite mit dem Deutschen Bauernverband setzt sie weiter auf Milchüberschüsse - um die Erzeugerpreise zu drücken und den billigen Rohstoff Milch "exportfähig" zu machen.

Woher kommen diese Unmengen an Milch? Wohl kaum von den drei Kühen, die wir beim Sonntagsspaziergang auf der Weide sehen. Die moderne Milchkuh geht im Normalfall gar nicht mehr auf die Weide. Sie steht zusammen mit ihren 500 bis 1000 Leidensgenossinnen im strohlosen Stall auf Spaltenboden mit einem Plastikband mit Nummer am Hals.

Den einzigen Weg, den sie täglich mehrmals geht, ist der zum computergesteuerten Melkroboter - oder bei Herden mit mehr als 100 Kühen - zum Melkkarussell. Mit dieser hochmodernen technischen Erfindung spart der Landwirt viel Arbeitszeit, denn der Roboter spendet das Kraftfutter, überwacht die Hygiene - und die Kuh steigert auch noch ihre Milchleistung. Gut für den Landwirt - schlecht für die Kuh. Die ist inzwischen zur reinen Milchproduktionsmaschine mutiert.

Mehr Krankheiten durch immer höhere Milchleistungen

"Leistungssteigerung" ist das Zauberwort in der modernen Milchkuhhaltung. Eine Hochleistungskuh gibt heute bis zu 12.000 Liter Milch im Jahr. Allein um 50 Liter Milch zu produzieren, muss sie täglich 30.000 Liter Blut durch Kreislauf, Organe und Gewebe pumpen. Das steckt die Kuh nicht so ohne weiteres weg: Das Euter nimmt immer größere Formen an. Fruchtbarkeits- und Stoffwechselerkrankungen sind an der Tagesordnung, von verletzten Klauen und Gliedmaßen ganz zu schweigen.

Die Kuh reagiert auf Überzüchtung und industrielle Haltung mit typischen Krankheitssymptomen: Labmagenverlagerungen, Fressunlust, sinkende Milchleistung - auch als Ketose bezeichnet. Häufig bleibt nur noch der "Abgang", das heißt der Tod des Tieres. Eine subklinische Ketose ist noch schlimmer: Die Kühe geben weniger Milch, leiden unter Energiemangel, neigen zu Euterentzündungen und Klauenproblemen und werden kaum noch tragend. Selbst in Beständen mit gutem Herdenmanagement und bei hochwertigem Futter litten 30 Prozent der Kühe unter Ketose.

Dabei geht dem modernen Milchbauern wohl weniger das Leid der Tiere zu Herzen, als vielmehr der Schaden, den die Krankheit in seinem Geldbeutel hinterlässt: 9000,- € kann eine von Ketose befallene 50köpfige Milchkuhherde schon mal kosten - wenn es in Deutschland überhaupt noch Haupterwerbsmilchbetriebe mit so wenigen Kühen gibt. Die meisten Herden dürften größer sein, denn der Zwang zum Wachstum durch sinkende Milchpreise hält an (siehe oben).

Anstatt die Ursachen der genannten Leiden in Wachstum und stetiger Leistungssteigerung zu suchen, bringt die Pharmaindustrie nun ein neues Medikament auf den Markt: Das Wundermittel Kexxtone soll die Krankheitsprobleme lösen - und steigert ganz nebenbei die Milchleistung. Neu ist das nicht: An der synthetischen Bekämpfung systembedingter Krankheiten verdient die Pharmaindustrie schon seit Jahrzehnten gutes Geld. Die Debatten um den übermäßigen Einsatz von Antibiotika in der Hähnchen- und Schweinemast sind uns noch in guter Erinnerung. Tiermedikamente waren und sind das tägliche Brot der Pharmaindustrie.