"Digital Natives" sehen Wirtschaft auf falschem Weg

Der Konzern Telefónica hat die Einstellung der Millennials ermittelt und propagiert zur Abhilfe der ermittelten Missstände individuelle Anpassung und Technik als Heilsbringer

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Die Einstellungen, Lebens- und Arbeitsweisen der jungen Generation werden die Entwicklung von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft in den nächsten Jahren und Jahrzehnten maßgeblich beeinflussen. Das wissen auch Wirtschaft und Industrie und investieren deshalb viel Geld, um Entwicklungen bei diesen "Millennials", wie sie sie nennen, nicht zu verschlafen.

So hat der Telekommunikationsriese Telefónica mit seiner Global Millennial Studie beispielsweise vor kurzem die bis dato größte und umfassendste Studie über die Generation junger Erwachsenen zwischen 18 und 30 Jahren weltweit vorgelegt. Die Vertreter dieser Generation sind dabei bereits mit Internet und mobiler Kommunikation aufgewachsen und deswegen für das Unternehmen besonders interessant.

Sie zu verstehen ist […] die Voraussetzung, um der kommenden Generation die Chancen der digitalen Technologie aufzuzeigen und sie zu befähigen, die Vorteile für sich zu nutzen - sei es um innovative Geschäftsideen voranzutreiben oder sich gesellschaftlich zu engagieren.

Telefónica

Man will rasch eigene Lösungen und neue Glaubenssätze anbieten, bevor die Sorgen der Menschen überhand nehmen. Hier wird dann auch der instrumentelle Blick der Studie unmittelbar sichtbar. Denn es geht zwar darum, auf Entwicklungen, besonders auch kritische, umgehend reagieren zu können. Nicht aber etwa im Sinne eines: "Wir tun verstärkt etwas gegen Jugendarbeitslosigkeit, zahlen höhere Steuern, bekämpfen Arbeitslosigkeit etc." Eher im Gegenteil: Die Studiendaten werden, das macht die Pressearbeit der Telefónica seit Veröffentlichung der Ergebnisse deutlich, dazu genutzt, derlei Fragen möglichst "systemimmanent" zu beantworten, um die jungen Menschen im Idealfall eben in dem Unternehmen genehme Denk- und Handlungswege zu lenken.

Deutlich wird das unter anderem bei den Handlungsempfehlungen in Bezug auf ein zentrales Ergebnis der Studie, das da lautet: "Jugend sieht Wirtschaft auf falschem Weg".

Wirtschaft größtes Sorgenkind für junge Erwachsene

Hier zeichnet die Studie folgendes Bild: Die befragten jungen Leute in Deutschland gaben an, dass sie sich mehrheitlich um die wirtschaftliche Entwicklung und besonders um ihre finanzielle Absicherung im Alter sorgen. Und dies, obwohl sie deutlich weniger von der Wirtschaftskrise betroffen sind, als Jugendliche in vielen anderen Ländern. 62 Prozent der Millennials in Deutschland sind davon überzeugt, dass die globale Wirtschaft auf dem falschen Weg ist. In Westeuropa, wo es mehrere Länder mit sehr hoher Jugendarbeitslosigkeit gibt, sind es sogar 74 Prozent. Derselben Meinung sind weltweit allerdings nur 52 Prozent der Millennials - doch auch das ist noch mehr als die Hälfte.

Überhaupt ist die Wirtschaft für die gesamte Millennial-Generation das größte Sorgenkind (23 Prozent in Deutschland, 27 Prozent weltweit). Als ebenso großes Problemfeld bewerten die Millennials in Deutschland die soziale Ungerechtigkeit (23 Prozent). Dieses folgt weltweit erst mit einigem Abstand (18 Prozent) auf Platz zwei. Außerdem sehen die jungen Erwachsenen in Deutschland ihre finanzielle Absicherung im Alter in Gefahr. Das verwundert nicht, empfinden doch über zwei Drittel der deutschen Millennials (67 Prozent) bereits den Einstieg ins Berufsleben als schwierig. In Westeuropa teilen diese Einschätzung sogar 74 Prozent.

62 Prozent der deutschen Millennials glauben gar, dass sie ewig weiterarbeiten müssen, weltweit sind nur 39 Prozent dieser Meinung. Über die Hälfte (53 Prozent) der deutschen Befragten sagt sogar, dass die besten Tage ihres Landes vorbei sind (verglichen mit 33 Prozent weltweit und 59 Prozent in Westeuropa).

Anpassung der Subjekte und ihrer Einstellungen anstelle von Gesellschaftskritik

Wer nun aber glaubt, hieraus folge dann die Konsequenz, gesellschaftlich grundlegende Fragen beispielsweise in Bezug auf Arbeit und Erwerbsleben neu zu stellen und zu beantworten, der irrt. Stattdessen leitet der Telefonriese aus diesen Ergebnissen seiner Untersuchung die Konsequenz ab, es sei nun dringend an der Zeit, das Vertrauen der jungen Leute in die Politik mehr zu stärken:

Vor diesem Hintergrund ist es entscheidend, einen Beitrag für die Stärkung des Vertrauens der jüngeren Generationen in die Zukunft zu leisten. Telefónica trägt dazu beispielsweise mit dem Jugendprogramm Think Big bei. Es begleitet bildungsbenachteiligte Jugendliche, damit sie ihre Potenziale erkennen und nutzen.

Und auch Dr. Heike Kahl, Geschäftsführerin der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, kommentiert die Studienergebnisse in diese Richtung:

Die Ergebnisse liefern […] wertvolle Anknüpfungspunkte für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Sie zeigen, dass wir gemeinsam dafür sorgen müssen, den Gestaltungwillen und Mut zu Veränderung dieser Generation zu nutzen. Das ist die zentrale Ressource für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft.

Gestaltet werden soll hier also weniger die Kluft zwischen Arm und Reich - etwa, indem Unternehmen mittels höherer Steuern oder einer Verpflichtung zur Schaffung von Ausbildungsplätzen wieder mehr in soziale Verantwortung genommen würden -, nein, umgestaltet werden soll die junge Generation selbst. Und zwar, indem man sie mittels ihrer positiven Überzeugungen und Interessen in eine Art "Marktanpassung" im Sinne von "Wenn Du nur willst, dann schaffst Du es schon!" hinein motiviert. Dies entspricht der schon seit langem beobachtbaren Tendenz politischer Diskurse zur Neoliberalisierung des Bürgers, wo strukturelle Problemstellungen individualisiert und den einzelnen Personen zugewiesen werden - frei nach dem Motto: Arbeitslosigkeit ist stets selbstverschuldet bzw. umgekehrt, Fortbildung hilft gegen Arbeitslosigkeit, was die Tatsache ignoriert, dass es auch eine zunehmende Prekarisierung im akademischen Bereich gibt.

Die "Marktanpassung" funktioniert, indem man die jungen Menschen bei ihrer Resignation abholt und in Richtung ihrer Hoffnung zu gehen motiviert. Konkret: Zwei Drittel der jungen Erwachsenen in Deutschland sind zwar der Ansicht, dass sie lokal etwas bewegen können, allerdings glaubt mehr als die Hälfte, dass das aktuelle politische System ihre Werte und Überzeugungen nicht ausreichend abbilde. Diese Lebenserfahrung geht dabei mit einer hohen Politikverdrossenheit einher. Ganze zwei Drittel der Befragten gaben beispielsweise an, nur "manchmal" oder "nie" an politischen Prozessen wie Wahlen teilzunehmen. Was also tun?

Angesichts dieser Zahlen sollten in Politik und Wirtschaft die Alarmglocken läuten: Schließlich lernt man nicht nur in Studiengängen wie Wirtschaftspsychologie, dass alles miteinander verbunden ist. Erst vor ein paar Tagen betonte ein hochrangiger Manager in einem Interview, dass in allen "Marktphasen immer Pro- und Gegenargumente gleichzeitig" wirken. Die Frage sei, wie man etwas bewerte. Die Psychologie der Märkte und Marktteilnehmer spiele dafür eine große Rolle. Womit wir wieder bei unserem Sprichwort am Anfang des Artikels wären: "Achte auf deine Gedanken…"

Hoffnung verkaufen. Mut machen. Neues Vertrauen gewinnen. Am besten mittels des ohnehin stark ausgeprägten Glaubens an die moderne Technologie. Und diese Werte, so wohl die Strategie, adressiert man dann am besten direkt an die "Millennial Elite", denn deren Vertreter sind optimistischer, karriereorientierter und engagierter als ihre Altersgenossen. "Sie sind die größten Treiber für Wandel in ihrer Generation und damit für die Zukunft der Gesellschaft", so Telefónica.

Technologie als Heilsbringer

Demokratie sähe nicht nur inhaltlich, sie sähe wohl auch formal anders aus. Statt Veränderungen der Menschen zu forcieren, wären Veränderungen des Marktes und seiner Regeln wohl nötiger und sinnvoller. Und statt die "Elite" als Motor des Wandels zu adressieren, würde ein demokratisches Vorgehen eben bedeuten, gerade und endlich einmal jene zu adressieren, die sonst nicht oder zu wenig gehört werden. Hierum aber geht es explizit nicht.

Stattdessen lautet, wo die Studie "Junge deutsche Erwachsene glauben an Technologie, zweifeln aber an Wirtschaft und Politik" ergibt, systemkonform offenbar schlicht: Wir, die technologieproduzierende Wirtschaft verkaufen Dir fortan die bessere Form von Politik, Smartphones etc., tolle Dinge also, mit denen Du Dich vor Ort einbringen und Gesellschaft gestalten kannst.

Dies entspricht dem schon seit langem beobachtbaren Trend, Technologie als Heilsbringer für Bildung und Politikbeteiligung zu bewerben. Hier ist es der IT-Branche bereits gelungen, mit ihren Produkten den Sektor zu überfluten, der die Generation der Zukunft nachhaltig prägen wird. Gerade im Bildungsbereich wird viel Geld für entsprechende "Forschung" investiert, die dann die Ergebnisse liefert, die die Branche wünscht - so dass noch nicht komplett verkabelte Schulen bereits als Bildungsdiaspora gewertet werden.

Dass diese Rechnung aufgehen könnte, belegen andere Studiendaten. Denn immerhin glaubt mit 81 Prozent die überwiegende Mehrheit der deutschen Millennials, dass Technologie bessere Chancen für alle statt nur für einige wenige offeriert.

Wie im Bildungsbereich ist auch in dem der politischen Partizipation ein Platzen der "Heilsbringer"-Blase zu erwarten. Erste Hinweise liefert eine aktuelle Studie der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung, die davor warnt, dass das Web 2.0 lediglich eine Pseudodemokratie vorgaukle, die als "Partizipationsmythos" zu entlarven sei.