"Bin ich jetzt reaktionär? Bekenntnisse eines Altlinken"

Reinhard Mohr über Rot-Grün, Jugendwahn im Prenzlauer Berg, Gender-Theorie, "Schwanzficken", den Islam und die 68er

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

In seinem Buch Bin ich jetzt reaktionär - Bekenntnisse eines Altlinken rechnet Reinhard Mohr nicht nur mit seiner eigenen Vergangenheit, sondern auch mit sämtlichen linken Positionen ab, an welchen nach Meinung des Journalisten der Zahn der Zeit zu sehr genagt hat. Telepolis klopfte bei ihm auf den Busch.

Herr Mohr, was ist Ihrer Ansicht nach links und was reaktionär?

Reinhard Mohr: Im normalen Verständnis ist der Begriff "Links" antikapitalistisch und staatskritisch mit dem Ziel einer Gesellschaft jenseits der kapitalistischen Logik besetzt, wobei es hier natürlich unendlich viele Schattierungen gibt. In Deutschland sind die meisten linken Gruppen mittlerweile reformistisch geworden. Auch Sahra Wagenknecht und Dieter Dehm sind, was die Frage der Verstaatlichung der Banken betrifft, nicht mehr linksradikal, sondern argumentieren innerhalb des Systems.

Der Begriff "Reaktionär" hat sich heutzutage ebenfalls verflüchtigt. Im Wortsinn gibt es niemanden mehr, der beispielsweise, wie in der Weimarer Republik, den Kaiser wiederhaben wollte oder revanchistisch eingestellt wäre. Heutzutage wäre es allenfalls jemand, der etwa die Frau wieder hinter den Herd verbannen möchte, Homosexualität verurteilt und generell den gesellschaftlichen Fortschritt zurückdrehen will.

Ich denke, man muss heutzutage lange suchen, um eine reaktionäre Haltung in diesem Sinne zu finden, wobei ich hier nicht von Faschisten und Neo-Nazis spreche. Selbst in der CDU findet sich nur noch ein versprengtes Häuflein, das sich gegen die Homo-Ehe sträubt.

"Die Diskussion hat sich mittlerweile auf Talkshow-Niveau eingepegelt"

Wie haben sich diese Begriffe seit den letzten 30 Jahren verändert?

Reinhard Mohr: In den 80er Jahren hat Jürgen Habermas in seinem Buch "Die neue Unübersichtlichkeit" beschrieben, dass sich mit dem Zeitgeist die klare Frontenstellung auflöst. Schon damals war klar, dass die Klassengesellschaft nach dem 2. Weltkrieg immer weiter erodiert und sich diese Auflösung auf die politischen Konfrontationen auswirkt. Damals stand die Mauer noch, es war also politisch viel mehr Dampf im Kessel: Strauß, Wehner und Barzel stritten sich heftig über die Ost-Verträge. Zuweilen schien es so, als ginge es um Sein oder Nichtsein, um den Untergang des Vaterlandes. Spätestens seit dem Mauerfall hat sich diese Dramatik des Politischen aufgelöst. So erleben wir heutzutage einen Wahlkampf, bei dem die Kontrahenten Probleme haben, ihre Positionen überhaupt als konträr darzustellen.

Vieles hat sich hier in Richtung der diffusen "neuen Mitte" entwickelt, und die Diskussion, die vor 30 Jahren noch mit harten Bandagen geführt wurde, hat sich mittlerweile auf ein Talkshow-Niveau eingepegelt: Vielleicht beleidigt man sich einmal, aber die Positionen sind unterdessen beliebig geworden. Weil das Linksradikale total marginalisiert ist, ist es auch immer schwerer zu sagen, was links ist – genauso wie das Reaktionäre, weil es heutzutage niemanden mehr gibt, der das Frauenwahlrecht abschaffen möchte. Sicher gibt es in der CSU noch Leute wie Wilfried Scharnagl, den ich übrigens für ziemlich intelligent halte, die für ein unabhängiges Bayern plädieren, aber das ist nicht wirklich ernst zu nehmen. Die Ecken haben sich hier ganz gewaltig abgeschliffen.

Reinhard Mohr. Foto: ©Petra Kossmann

Sie regen sich in Ihrem Buch mehr über Petra Gerster als über Marietta Slomka auf. Was haben diese Damen mit dem gegenwärtigen Zeitgeist gemein und was hat die Schwester des ehemaligen obersten Hartz-IV-Kommissars der Frau mit dem computergeneriert freundlich dreinblickendem Gesicht in negativer Hinsicht voraus?

Reinhard Mohr: Ich halte Petra Gerster und auch ihren Kollegen Matthias Fornoff für Extrem-Figuren einer medialen Verbiederung: Sie zeigen ihre tatsächlich wie von einem Computer generierten, völlig indifferenten Gesichter, egal was sie gerade an-, um- oder wegmoderieren. Alles wird präsentiert wie in einer Märchenstunde. Diese unfassbare Perfektion und Gleichgültigkeit bringt mich zum Wahnsinn. Marietta Slomka halte ich für einen kleinen Tick reflektierter, aber das ist kein prinzipieller Unterschied. Der Zeitgeist hat hier ebenfalls alles abgeschliffen. Es darf nichts mitgeteilt werden, was einem das Abendbrot verderben könnte: Alles ist wohltemperiert und vorgekaut. Das ist Essen-Auf-Rädern als Nachrichten.

Wir werden wie große Kinder behandelt, denen man mal ganz kurz erklärt, was draußen passiert ist. Da sehne ich mich immer mehr nach der alten Tagesschau zurück: Knochentrocken, aber informativ und sachlich.

"Es gibt das Recht auf Revolte"

Ich habe den Eindruck, dass Sie Ihre eigenen Tage als Polit-Jüngling bei den Linksradikalen als eine im Grunde recht unreflektierte und infantile Angelegenheit beschreiben. Was geht Ihnen daran im Nachhinein am meisten auf den Senkel und was finden Sie immer noch sympathisch?

Reinhard Mohr: Ich würde nicht sagen, dass ich infantil war, zumindest nicht schlimmer als die meisten Zwanzigjährigen in ihrem Alter. Wir hatten damals eben diese naive Gläubigkeit, eine totale Utopieseligkeit und das Gefühl, die Welt verstanden, beziehungsweise marxistisch durchdrungen zu haben. Es ging nur noch darum, die Welt zu verändern. Ich habe in Abstraktionen gedacht und auch gefühlt, die sich hinterher als falsch herausgestellt haben und die ich heute auch als unterkomplex empfinde. Wir wollten die Tauschwertproduktion abschaffen und stattdessen eine Gebrauchswertorientierung einführen: Das Kollektiv sollte bestimmen, was produziert wird, aber es wurde nicht darüber nachgedacht, wie man das genau organisiert. Diesen Glauben habe ich schon seit Jahrzehnten aufgegeben.

Was ich aber immer noch sympathisch finde, ist der Gedanke, dass man sich wehren muss, wenn man das Gefühl hat, es reicht. Wenn man heute wieder einen starken Grund findet zu revoltieren, soll man es machen. Es gibt das Recht auf Revolte, nur sollte man sich beizeiten darüber Gedanken machen, in welchem Rahmen das stattfinden soll.

Sie schreiben: "Immer häufiger findet man sich in der Nähe von Positionen, die man einst erbittert bekämpft, ja, verachtet hat." Welche Positionen sind das und was ist in Ihrem Alltagskonservatismus der Umwelt und was Ihrem Alter geschuldet?

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.