Wie ein Mensch wirklich stirbt

Peng - das Opfer greift sich ans Herz und fällt tot um. Ein Krimi-Klischee - aber falsch. Was passiert wirklich beim Sterben? Welche biologischen und chemischen Veränderungen vollziehen sich?

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Der Mensch ist nicht von einer Sekunde auf die andere tot. Sterben ist ein langsamer Prozess, dessen Erscheinungen und “Nebenwirkungen” bereits beginnen, wenn das Herz-Kreislauf-System noch nicht abschließend versagt hat. Dass auch der Herzstillstand nicht unbedingt das Ende des Lebens bedeutet, wissen Forscher bereits seit dem 18. Jahrhundert, als erstmals Ertrunkene erfolgreich wiederbelebt werden konnten.

Insbesondere die Entdeckung der Elektrizität half den damaligen Ärzten dabei, den Herzen vermeintlich Toter wieder auf die Sprünge zu helfen. Heute weiß man, dass bis zu 50 Stunden nach dem Kreislaufstillstand einzelne Muskelgruppen noch elektrisch erregbar sind, also durch Stromeinfluss zu Bewegungen animiert werden können. Erst bis zu 100 Stunden nach dem Todeseintritt des Menschen sind auch sämtliche Zellen seines Körpers abgestorben – der so genannte biologische Tod ist eingetreten.

Mit der Einführung der Transplantationsmedizin in der Mitte des vorigen Jahrhunderts hat sich allerdings das Bedürfnis nach einer sicheren Definition des Todes ergeben. Hier bot sich der Hirntod an: Wenn die Gesamtfunktion des Gehirns unwiderruflich erloschen ist, können Maschinen den Körper des Betroffenen zwar noch fast beliebig lange funktionsfähig halten werden. Doch der Zustand ist irreversibel, eine Rückkehr ins Leben, wie wir es kennen, ist nicht mehr möglich.

Das Transplantationsgesetz definiert deshalb den Hirntod als Voraussetzung zur Entnahme von Organen. Zur Diagnose des Hirntodes müssen mehrere Kriterien erfüllt sein. Dazu gehören der Verlust des Bewusstseins, das Ausbleiben von Reaktionen des Hirnstamms auf verschiedene Reize und eine erloschene Spontanatmung. Diese ohne maschinelle Hilfe überprüfbaren Befunde sind nach bestimmter Zeit (12 bis 72 Stunden) durch eine erneute Untersuchung zu bestätigen.

Da bei einer beabsichtigten Organentnahme das Abwarten dieser Zeit nicht praktikabel ist, lässt sich die fehlende Hirnfunktion auch messtechnisch beweisen – etwa via Elektroenzephalogramm (EEG), das 30 Minuten lang Nullaktivität der Hirnströme zeigen muss. Auch die fehlende Durchblutung des Gehirns ist ein sicheres Todeszeichen, die sich nuklearmedizinisch (Szintigrafie) oder via Ultraschall (Sonografie) nachweisen lässt. Diese Untersuchungen müssen Ärzte durchführen, die nicht an der Organentnahme beteiligt sind.

Totenflecken und Totenstarre

Der Gerichtsmediziner steht allerdings selten vor dem Problem, den Tod eines Menschen beweisen zu müssen. Denn er wird dann gerufen, wenn die Polizei oder ein anderer Arzt bereits festgestellt hat, dass ein Mensch unter ungeklärten Umständen gestorben ist. Entscheidend ist hier, dass (etwa bei der Leichenschau) ein nichtnatürlicher Tod diagnostiziert wurde.

Ausgeprägte Aussparungen der Totenflecken an den Auflagestellen an der Unterseite des Körpers. Darunter: für gewisse Zeit lassen sich die Totenflecken noch mit dem Daumen wegdrücken.

Eine solche Feststellung führt automatisch zur Einschaltung der Ermittlungsbehörden, die dann den Rechtsmediziner hinzuziehen. Das Sterben eines Menschen gilt dabei nur dann als natürlich, wenn es eine klare Ursache dafür gibt, bei der Dritte keinerlei Verantwortung tragen. Altersschwäche ist zum Beispiel keine natürliche Todesursache – ein Mensch stirbt immer an einem konkreten Organausfall. Ersticken am Erbrochenen nach vorangehender Alkohol- oder Medikamentenvergiftung darf nicht als natürlicher Tod diagnostiziert werden.

Was immer der genaue Grund für das Einschalten der Behörden war – der Gerichtsmediziner ist jetzt am Tatort. Die Spurensicherung hat diesen bereits abgesperrt, damit keine Hinweise verlorengehen können. Auch die Auffindesituation der Leiche wurde schon dokumentiert. War sie bekleidet? Lag sie unter einer Decke? Temperatur und Luftfeuchtigkeit sind für die weitere Beurteilung ebenso wichtig wie deren Verlauf über die bisherige Liegezeit des Toten (was ein Anruf bei den Meteorologen und beim Vermieter – der die Heizkostenabrechnung kennt – klären kann).

Die erste Untersuchung der Leiche beurteilt nun Totenflecken und Totenstarre. Wenn das Herz aufhört, das Blut durch Venen und Arterien zu pumpen, kommt es zur so genannten Hypostase. Durch den Einfluss der Schwerkraft sinken das Blut und alle anderen Körperflüssigkeiten nach unten.

Dieser Prozess kann bereits vor dem endgültigen Tod beginnen, wenn der Blutdruck stark sinkt. Das Ergebnis sind die so genannten Kirchhofrosen, hellrötliche Verfärbungen der Haut, die vor allem hinter den Ohren und an den am Kopf unten liegenden Wangenteilen zu beobachten sind. Die Bezeichnung geht tatsächlich auf den Friedhof (der früher oft im Kirchhof lag) zurück.

Nach dem Herztod beschleunigt sich das Absinken des Blutes. Es sammelt sich in den feinen Blutgefäßen der Haut, und zwar immer an der Unterseite des Leichnams. Die Totenflecken sind zunächst noch klein und von hellroter Farbe. Allmählich verbinden sie sich zu größeren Bereichen. Wenn einzelne Äderchen das Blut nicht mehr aufnehmen können, kommt es zu kleineren, etwa reiskorngroßen Blutungen unter der Hautoberfläche, die man Vibex (Mehrzahl: Vibices) nennt.

Tod beim Aquarienputzen?

Zunächst enthält das Blut noch Sauerstoff, deshalb die rötliche Farbe. Doch dieser wird relativ schnell verbraucht. Die Totenflecken nehmen dann eine blauviolette Farbe an. Allerdings gibt es Ausnahmen: Befindet sich die Leiche in einer kalten Umgebung, kann Sauerstoff in die Haut eindringen und die Umfärbung aufhalten.

Hellrot bleiben die Totenflecken ebenfalls, wenn das Opfer eine Kohlenmonoxid-Vergiftung hat. Das geruchlose Gas, das zum Beispiel aus defekten Öfen austreten kann, wird von den roten Blutkörperchen bevorzugt aufgenommen, sodass der Mensch erstickt, obwohl eigentlich noch genug atembarer Sauerstoff in der Luft vorhanden wäre.

Falls sich keine Quelle für Kohlenmonoxid in der Umgebung findet und auch die Umgebung nicht besonders kalt ist, könnte eine Vergiftung mit Blausäureverbindungen (Cyaniden) oder Natriumfluoracetat vorliegen. Die Giftigkeit der Blausäure sollte Krimilesern bekannt sein – nur das Klischee des Bittermandelgeruchs passt nicht, denn die meisten Menschen können den angeblichen Bittermandelgeruch gar nicht wahrnehmen.

Das farb- und geruchlose sowie leicht wasserlösliche Natriumfluoracetat hingegen ist unter Krimiautoren noch ein Geheimtipp, ist es doch nur in Pflanzenarten der südlichen Halbkugel enthalten (dort auch teilweise als Schädlungsbekämpfungsmittel zugelassen) und gleichzeitig hoch giftig. Die Vergiftung kann bereits durch Hautkontakt oder Einatmen erfolgen. Die tödliche Dosis liegt beim Menschen bei 5 bis 10 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht. Eine Behandlung ist so gut wie unmöglich, der Tod tritt binnen weniger Stunden ein. Fische sind für Natriumfluoracetat übrigens weitgehend unempfindlich. Ein Aquarien-Liebhaber könnte also durchaus bei der Reinigung des Fischbehälters umkommen, während seine beschuppten Haustiere quicklebendig ihre Bahnen ziehen.

Wenn die Totenflecken weder blauviolett noch hellrot sind, sind ebenfalls Vergiftungen die Ursache. Natriumchlorat sowie Nitrate und Nitrite (Salze der Salpeter-Säure beziehungsweise der Salpetrigen Säure) geben den Flecken eine bräunliche Färbung. Natriumchlorat fand sich früher in Pflanzenschutzmitteln, ist dort jedoch nicht mehr zugelassen. Falls Ihnen in einem Krimi je eine Stewardess als Mörderin oder Verdächtige begegnet, könnte diese Natriumchlorat aus den Sauerstoffgeneratoren gewonnen haben, die im Notfall die Atemmasken der Passagiere mit Luft versorgen.

Eine grüne Färbung der Totenflecke schließlich deutet auf eine Vergiftung mit Schwefelwasserstoff hin. Der typische Geruch nach fauligen Eiern verhindert zwar, dass das Opfer unbemerkt damit in Kontakt gekommen sein kann. Allerdings betäubt Schwefelwasserstoff auch die Geruchsnerven, so dass man eine Erhöhung seiner Konzentration in gefährliche Bereiche nicht mehr wahrnimmt. Zudem sammelt es sich in Bodennähe, da es schwerer ist als Luft.

Die Leiche wurde bewegt!

Totenflecken bilden sich überall dort, wo kein Druck auf die Haut ausgeübt wird. Deshalb sind die Stellen, an denen der Leichnam auf dem Boden aufliegt, von ihnen meist ausgespart und vom Gerichtsmediziner gut erkennbar. Der Arzt wird den Körper also anheben oder umdrehen. Befinden sich die Totenflecken an den richtigen Stellen? Typisch sind bei Rückenlage der Leiche schmetterlingsförmige Aussparungen über den Schulterblättern, am Gesäß und an den Waden. Auch Kleidung, insbesondere eng anliegende, kann dazu führen, dass sich in einem Bereich keine Flecken bilden. Bei Bauch- oder Seitenlage kehren sich die Verhältnisse entsprechend um.

Es mag ein seltsamer Anblick sein, doch dass der Rechtsmediziner die Haut der Leiche im nächsten Schritt scheinbar massiert, hat einen guten Grund. Je nach Liegezeit sind die Totenflecken nämlich mehr oder weniger wegdrückbar. Etwa fünfeinhalb bis sechs Stunden nach dem Tod lassen sich die Flecken durch mehr oder weniger starken Druck mit dem Daumen noch auflösen. Mit der Zeit ist immer mehr Druck nötig. Bis zu 17 Stunden nach dem Tod braucht man dann schon sehr starken Druck mit einem Werkzeug, um noch eine wenigstens teilweise Verlagerung zu erreichen. Wenn der Zellverfall weiter fortschreitet, tritt das Blut dann aber aus den Gefäßen in das Gewebe und lässt sich dann nicht mehr wegdrücken.

Ob und wann der Leichnam nach dem Todeszeitpunkt bewegt wurde, lässt sich anhand der Totenflecken ebenfalls beurteilen. Solange der Zellverfall noch nicht weit fortgeschritten ist, bilden sich die Totenflecken an der richtigen Stelle neu, wenn man den Körper dreht oder sich auch nur die Auflageflächen verändern. Das ist bis etwa sechs Stunden nach dem Tod komplett der Fall. Weitere etwa sechs Stunden lang verlagern sich die Flecken noch teilweise, danach bleiben sie an Ort und Stelle.

Eine Leiche in Rückenlage, die am Bauch Totenflecken aufweist, am Rücken jedoch gar nicht, ist also vermutlich mindestens zwölf Stunden nach der Tat bewegt worden. Fehlen andere Spuren der Tat (Blut etc.), wo die Leiche gefunden wurde, befinden sich die Totenflecken jedoch genau dort, wo sie hingehören, muss sich der Mörder beeilt und den toten Körper höchstens sechs Stunden nach der Tat an einen anderen Ort gebracht haben.

Trat der Tod in einer gefüllten Badewanne ein, ist anhand der Totenflecke übrigens oft die Wasserlinie erkennbar.

Kompliziert wird die Auswertung, wenn das Opfer wegen zahlreicher Verletzungen innerlich oder äußerlich verblutet ist. Dann bleibt eventuell nicht mehr genug Blut für die Totenflecken. Bei einem Versagen der rechten Herzkammer staut sich das Blut in den Körpervenen mit der Folge, dass die Flecken trotz Rückenlage auch vorn am Hals und im Gesicht auftreten können.

Totenflecken sind auch im Körperinneren festzustellen. Das kann beim Tod durch Erhängen wichtig sein: In diesem Fall sollten sie sich bei der Obduktion an den unten liegenden Teilen des Darms nachweisen lassen.

Wenn das Auge offen bleibt

Es gehört zu den bewegenden Szenen eines Krimis, wenn die Kommissarin die Augen des getöteten Mädchens schließen will, ihr das jedoch nicht mehr gelingt. Das liegt am Eintreten der Totenstarre. Stirbt ein Mensch, erschlaffen zunächst all seine Muskeln. Die Muskelzellen versuchen jedoch, ihren Lebenszyklus beizubehalten. Das gelingt für maximal drei bis vier Stunden, in denen die Glieder des Toten noch leicht beweglich sind. Danach jedoch verschmelzen die beiden Proteingruppen, Aktine und Myosine, die bei einer Muskelkontraktion normalerweise wie die beiden Seiten eines Reißverschlusses ineinander gleiten, derart miteinander, dass der Muskel zu keinerlei Bewegung mehr fähig ist. Meist passiert das zunächst bei den Muskeln von Unterkiefer und Nacken, danach folgen obere Glieder, Rumpf und schließlich die unteren Glieder (Nysten-Regel).

Die Totenstarre objektiv zu prüfen, ist schwierig: Der untersuchende Arzt versucht, möglichst viele verschiedene Gelenke zu bewegen, und beurteilt den Kraftaufwand, den er dafür braucht. Nach gewisser Zeit, etwa acht Stunden, ist die Totenstarre voll ausgeprägt. Dann bricht das Gelenk eher, als dass es sich bewegt. Vorher jedoch ist nicht nur der Kraftaufwand je nach Liegezeit der Leiche unterschiedlich, sondern auch ein weiteres Phänomen: der Wiedereintritt der Totenstarre.

Ist die Totenstarre noch nicht vollständig, kann der Gerichtsmediziner die eingeschränkte Beweglichkeit eines Gelenks in der Regel noch brechen. Es wird dann wieder leichtgängig, da noch nicht alle Fasern des Muskels von der Starre betroffen sind. Nun dauert es eine gewisse Zeit, die ebenfalls von der Liegezeit der Leiche abhängt, bis das Gelenk wieder völlig steif ist. Dieser Effekt tritt höchstens sechs bis acht Stunden nach dem Tod ein.

Die miteinander verschmolzenen Eiweiße lösen sich mit der Zeit komplett in ihre Bestandteile auf. Das ist der Moment, in dem die Ermittlerin auch die Lider des ermordeten Mädchens endlich schließen kann, denn nun löst sich auch die Totenstarre wieder auf. Wie viel Zeit bis dahin vergeht, hängt allerdings extrem von den Umgebungstemperaturen ab. Während bei Zimmertemperatur nach etwa 2,5 Tagen die Lösung beginnt und nach drei Tagen vollständig sein sollte, kann die Starre bei winterlichen Verhältnissen wochenlang andauern. Das passiert aus demselben Grund, aus dem sie verderbliche Lebensmittel im Kühlschrank aufbewahren: Kälte verhindert Zersetzungsprozesse.

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