Anarchist im Fell chilenischer Putschisten

Migueal Herbert im Gijon. Bild: R. Streck

Miguel Herberg infiltrierte 1972 die Reihen chilenischer Putschisten, informierte Allende über den anstehenden Staatsstreich am 11. September und deckte mit seiner Kamera vor der Weltöffentlichkeit die Existenz der Konzentrationslager auf

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Im weißen Sommeranzug, auf einen Stock gestützt, steht der 70-Jährige an der Theke des Künstlercafés "Gijón". Das altehrwürdige Café im Herzen der Stadt, trägt den Namen der Stadt in Asturien, in der Miguel Herberg einst geboren wurde. Der "Anarchist", "Filmemacher" und "Journalist" bestellt ein kühles Bier. "Alkoholfrei, leider", sagt der Mann, für den "nichts unmöglich" erscheint. Eine schwere Krankheit hat ihm zwar den Alkohol geraubt, doch nicht die Schläue. Und so infiltrierte er 1972 in die Reihen chilenischer Putschisten. Mit deren ungewollten Hilfe konnte er später ihre schweren Verbrechen nach dem Putsch anklagen und mit seinen Aufnahmen aus den Konzentrationslagern rettete er viele Menschenleben.

Es ist ein heißer Sommermorgen in der spanischen Hauptstadt. Auf dem Weg nach Rom und in seine Wahlheimat China, wo er heute eine Firma leitet, die Zeichentrickfilme produziert, hält sich der Mann wieder einmal in Madrid auf, der - fast vergessen - den chilenischen Präsidenten Salvador Allende vor 40 Jahren vor dem sich anbahnenden Militärputsch warnte, der am 11. September 1973 die Volksfront-Regierung stürzte und Chile eine blutige Diktatur brachte. Vor der braunen Holztäfelung sitzt der Anarchist und spricht im kühlen Gijón von seinen Kampf gegen das Vergessen.

"Es geht um die Rückgewinnung des historischen Gedächtnisses, denn das sollen wir weder hier in Spanien noch in Chile haben", sagt Herberg. Um Vorgänge dem Vergessen zu entreißen, geht er auch außergewöhnliche Wege, die er in seinem gesamten Leben eingeschlagen hat. Er beschreibt seine "offene Provokation", denn im März 2012 verbrannte er Filmmaterial und zahlreiche Dokumente im spanischen Morille. Die Asche und Filmrollen wurden feierlich auf dem dortigen "Friedhof der Kunst und Kultur" bestattet, "weil niemand sich dafür interessiert". Damit sei bei Salamanca ein "Mahnmal" entstanden, benutzt er das deutsche Wort. Er benutzt dabei die Sprache seines Großvaters, die er gut beherrscht, "weil es auf Spanisch dafür keinen Ausdruck gibt".

Erst die Bestattung von Material, das auch die USA, die Bundesrepublik und Chile für den Sturz und Ermordung Allendes verantwortlich macht, hat sie dem Vergessen entrissen. "Ich habe es ihnen vorgelesen, ja sogar schriftlich gegeben", erklärt der Mann mit dem grauen strubbeligen Haaren, dass mit seiner "Provokation gegen die Gleichgültigkeit" nur "Reste" von Aufnahmen verbrannt wurden, die er zuvor ausgestellt hatte. "Ich bin nicht so verrückt, wie man mich darstellt", sagt er verschmitzt. Verschwiegen wurde in den Artikeln zum Thema meist seine Erklärung, dass "Sicherheitskopien all meiner Materialien in Tresoren bei Notaren liegen", die nur legitime Erben "ausgraben" dürfen.

"Nur mit Provokationen kann man seine Ziele erreichen"

Herberg lacht listig, weil Ignoranz erneut seiner Sache diente. Vor allem war in Chile die Empörung über die Verbrennung groß. Besorgt hatten sich zahlreiche Intellektuelle zur Verbrennung geäußert und gefordert, alle Maßnahmen zu ergreifen, "um diesen Akt zu verhindern". Intellektuelle in Chile seien wie "Hyänen" nach der Ankündigung der Verbrennung über Herberg hergefallen, erklärt er und bezichtigt sie, dass sie sich nach dem Ende der Diktatur mit dem System arrangiert hätten. Sie versuchten, "ihre Kollaboration mit einem repressiven System und ihre Privilegien zu verteidigen".

In dem offenen Brief war gefordert worden, dass Material dürfe nicht verbrannt werden, sondern müsse in die Hände "chilenischer Institutionen" gelangen, damit es der Gesellschaft und den Kulturschaffenden zur Verfügung stehe. Dabei, so bekräftigt Herberg, habe er sein wertvolles Material längst auch der Stiftung Salvador Allende und anderen Institutionen des Landes angeboten, die aber nie ein Interesse daran gezeigt hätten. Trotz allem habe die Aktion bewirkt, dass "plötzlich über das historische Gedächtnis geredet wurde". Und Opfer der Diktatur dankten ihm dafür, auch wenn sein großes Anliegen scheiterte, sie Jahrzehnte später erneut vor die Kamera zu bekommen. "Ich glaube, das ist der große Triumph, den ich mit der Aktion erreicht habe." Die Provokation hat gewirkt, sagt er dazu, " dass man nur mit Provokationen seine Ziele erreichen kann".

Er hatte ein Buch mit einem beiliegenden Dokumentarfilm angekündigt, um über alle "Wahrheiten und Lügen" zu berichten. Das "Diario de un anarchista infiltrado en las filas de Pinochet 1972/1974" (Tagebuch eines Anarchisten, der 1972-1974 in die Reihen Pinochets infiltrierte) ist nun im Verlag 7E erschienen. Mit Dokumenten spricht er über die Vorgänge, die einst auch zum Bruch mit der DDR führten. Denn die habe sich die Früchte seiner Arbeit angeeignet und versucht, zum angeblichen "Helfer" oder "Übersetzer" bei Aufnahmen:www.youtube.com/watch?v=OGk6m7tcT7g aus den Konzentrationslagern "Chacabuco" und "Pisagua" zu machen, die um die ganze Welt gingen.

Das Unternehmen, auf das er sich 1972 in Rom einließ, schien wie für ihn geschaffen. Denn schon als 13-Jähriger war er der franquistischen Diktatur in Spanien entwischt, um per Anhalter zum Nordkap zu reisen. Er zeigte, dass möglich war, was seine Freunde als "unmöglich" bezeichnet hatten. In Rom war er gelandete, weil sein vorheriges Exilland Frankreich ihn ausgewiesen hatte, nachdem auch er im Mai 1968 auf Pariser Barrikaden war.

Und aus Italien schrieb er als "miguel" für das Neue Deutschland und wurde 1970 Korrespondent für den DDR-Auslandspressedienst. Für staatliche italienische Fernsehen RAI, in der die starke Kommunistische Partei (PCI) Einfluss hatte, drehte er auch Filme über die DDR. Und in der italienischen Hauptstadt traf er einst auf Roberto Rosselini, einem der bedeutendsten Regisseure der Filmgeschichte. Der hatte 1971 ein Interview mit Allende geführt und sah einen Putsch in Chile heraufziehen. Rosselini überzeugte schließlich Herberg davon, in dem Land die Recherchen unter den Putschisten aufzunehmen.

"Ich schlug das Projekt der DDR vor", denn zuvor wurde schon am Film "Vietnam 1973" zusammengearbeitet, erklärt Herberg. Berlin sagte technische und finanzielle Hilfe zu. Ein Vertrag wurde zwischen der Herberg, der italienischen PCI und der DDR geschlossen. "Die Rechte der Verwertung in der kapitalistischen Welt bekam alleine ich", sagt Herberg. Die DDR sollte nur für den "sozialistischen Block" zuständig sein. Damals seien ihm auch Walter Heynowsky und Gerhard Scheumann von H&S vorgestellt worden, die für Montage des Materials für die sozialistischen Staaten zuständig sein sollten.

"Mit Faschisten feiern und saufen"

Mit Rosselinis Kontakten in die Oberschicht Chiles begann er 1972 schließlich seine getarnte Aufgabe. "Eine Tür öffnete die nächste", sagte er. "Doch dafür musste ich mit Faschisten feiern und saufen", beschreibt er, wie er sich langsam vorarbeitete. Bis 1974 unternahm er insgesamt sieben Reisen und fotografierte aus einem Hotel schließlich auch am 11. September 1973, wie die Bomben der Putschisten in Santiago den Regierungspalast Moneda zerstörten. Seinen Freund Allende hatte er zuvor mehrfach gewarnt. "Wir sind nicht in Spanien, Miguel, das Militär steht hier treu an der Seite der Institutionen", habe der ihm aber erwidert.

Pinochet im Interview mit Herberg. Bild: Miguel Herberg

Ein "Freund" von Großgrundbesitzern, Militärs und CIA-Agenten in Chile zu sein, sei hart gewesen, berichtet Herberg über seine Zeit der Infiltration. "Ich musste alles kontrollieren, meine Gesten, Worte, Reaktionen". Er war dabei aber so überzeugend, dass er das erste Interview mit dem Diktator Pinochet vor der Kamera führen durfte. Der erklärte ihm auf Nachfragen, nach dem Staatsstreich seien "Marxisten verschwunden", schlicht "untergetaucht". Doch in einem weiteren Interview gab schließlich General Joaquín Lagos vor der Kamera zu, dass es auch "Gefangenenlager" gäbe, es den Insassen gut ginge. Angeblich, um diesen Nachweis für die Putschisten zu führen und den Anschuldigung in der Welt zu begegnen, stimmte Lagos den Besuchen zu. Herberg wurde auserkoren, um vor der Welt zu zeigen, dass Konzentrationslager die "Erfindung der Marxisten" seien, wie Lagos erklärt hatte.

Das Aufnahmeteam Hellmich und Berger mit Militärs. Foto: Miguel Herberg

Der General ließ Herbergs Team, zu dem der deutsche Kameramann Peter Hellmich und der Österreicher Manfred Berger (Ton) gehörte, in die Atacamawüste fliegen. Dort befanden sich an einem der unwirtlichsten Orte dieser Welt die Lager Chacabuco und Pisagua, wo tausende Regimegegner konzentriert, gefoltert und ermordet wurden. Herberg sammelte mit seiner Kamera so viele Gesichter und mit dem Mikrofon so viele Namen wie möglich. "Nach der Veröffentlichung konnte niemand mehr behaupten, sie seien verschwunden oder untergetaucht", und erbrachte den Beweis, dass Diktatur sie verschwinden ließ.

Miguel Herberg im Konzentrationslager Chababuco vor Militärhubschrauber des chilenischen Militärs.

Mies plagiiert

Heinkowsky und Scheumann, denen das Filmmaterial bis heute in Deutschland zugeschrieben wird und die auch in Chile dafür geehrt wurden, hätten dagegen "Berlin nie verlassen", klagt Herberg. Und es gelang ihm 1975 schließlich in Italien, die Uraufführung ihres Films "Ich war, ich bin, ich werde sein" zu verhindern. Die Kopie wurde beschlagnahmt und im Verfahren wurde ihm in Rom schließlich die alleinige Autorenschaft für das Material zugesprochen und die Aushändigung verfügt. Der DDR-Anwalt Kaul konnte nicht einmal erklären, warum nur Herberg im Filmmaterial zu sehen und auch dessen Stimme zu hören ist. "Sie haben sogar mies plagiiert", sagt Herberg. Geschickt hätten dagegen H&S stets nur von "wir" von "unserem Team" gesprochen worden, um vorzumachen, dass nicht Herberg für die Aufnahmen verantwortlich war. Bis heute wird er in den Credits trotz des Urteils in Rom in Deutschland nicht genannt.

Dabei betätigen auch Lagerinsassen, dass es Herberg war, der sie interviewte. Freddy Alonso Oyanadel unterstützte auch die Verbrennung des Materials. Er verdanke es dem "Genossen Miguel", Pisagua überlebt zu haben. "Mit Klagen bei Menschenrechtsorganisationen und den Vereinten Nationen" habe er auch dafür gesorgt, dass die Lager aufgelöst werden mussten. Dass er ein "Betrüger" sei, wie behauptet wird, weist der Ex-Gefangene zurück. "MAN MUSS VERDAMMT VIEL MUT HABEN, die chilenische Diktatur hereingelegt und sich mit ihr konfrontiert zu haben", schreibt das Mitglied der "Kommission Historischer Zeugnisse" in einem Brief.

Herberg hofft, dass in einer "intelligenteren Zukunft" die schließlich das Material wieder ausgraben, die "Spitzhacken und Schaufeln" zu benutzen wissen. Die historische Erinnerung ist für ihn die Voraussetzung für den "offenen Kampf gegen alle Systeme", die Menschen die Freiheit nehmen. Als Erben seines Materials hat er das "chilenische Volk" und nicht die Regierung bestimmt, der bis heute "alte Putschisten vorstehen", meint er auch mit Blick auf Staatspräsident Sebastián Piñera (Chiles Berlusconi bringt die Rechte zurück).

Das Volk wird für ihn von den Komitees ehemaliger Konzentrationslagerinsassen vertreten. Und Bedingung, das Material wieder auszugraben, ist: Dass das Los aller 3000 Verschwundenen in Chile geklärt sein müsse und auch die 150.000 Opfer der Franquisten, die bis heute in Massengräbern liegen, exhumiert und rehabilitiert sein (65 Jahre auf der Suche nach Gerechtigkeit). Denn in seinem Heimatland sind die Probleme mit der Straffreiheit für Putschisten und der Erinnerung an die Opfer vielleicht noch größer als in Chile. Zudem regiert in Spanien wieder eine Partei, die sogar von früheren Ministern der Franco-Diktatur gegründet wurde und sich vom Putsch 1936 und der blutigen Diktatur nie distanziert hat.