"Das Parlament soll nicht bestimmen dürfen, was der Wirtschaft erlaubt ist"

Fritz Glunk zu Gefahren des geplanten Freihandelsabkommens EU-USA

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Der Name hört sich harmlos an: Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP). Aber was das von US-Präsident Obama, der Bundesregierung und dem EU-Ministerrat befürwortete Freihandelsabkommen zwischen EU und den USA beinhaltet, hätte enorm weitreichende Folgen. Das Abkommen ist nicht nur Attac und 21 deutsche Nichtregierungsorganisationen sowie den Österreichischen Gewerkschaftsbund alarmierend. Fritz Glunk, Herausgeber der Kulturzeitschrift "Die Gazette", schrieb eine vielbeachtete kritische Analyse, die die "Süddeutsche Zeitung" als Gastbeitrag veröffentlichte. Rolf-Henning Hintze befragte Glunk zu dem umstrittenen Vorhaben.

Wenn in den Medien Kritisches über das geplante Freihandelsabkommen EU-USA geschrieben wird, dann geht es zumeist um Gefahren für Umweltstandards. Von einer ganz anderen Gefahr, nämlich den Schiedsgerichten, die in diesem Abkommen vorgesehen sind, wird nur wenig gesprochen. Warum sind sie so gefährlich?

Fritz Glunk: Es wird wenig darüber gesprochen, weil es sich um eine etwas sperrige Materie handelt, das hindert, dass über die Schiedsgerichte in ihrer ganzen Gefährlichkeit berichtet wird. Schiedsgerichte sind, kurz gesagt, dazu da, Klagen von ausländischen Investoren gegen ihr Gastland entgegenzunehmen und zu entscheiden. Ein Investor in einem Land kann gegen das Gastland klagen, das Gastland kann gegen den Investor nicht klagen. Die Urteile der Schiedsgerichte sind verbindlich, müssen von den Beteiligten angenommen werden, also der Staat muss, wenn er verliert, zahlen. Dieses ganze Verfahren stellt ein Rechtssystem dar, das neben unserem nationalen und demokratischen Rechtswesen steht, und dieses parallele Rechtssystem macht die Gefährlichkeit aus.

Gibt es gegen die Entscheidungen der Schiedsgerichte keine Berufungsmöglichkeit?

Fritz Glunk: Es gibt keine Kontroll- oder Revisionsinstanz, bei der man den Rechtsstreit weitertragen könnte, sondern dieses Urteil ist verbindlich, das wird in Freihandelsabkommen so festgelegt. Die "Unterwerfung", wie es ganz ausdrücklich heißt, der klagenden Parteien unter das Urteil ist definitiv und endgültig.

Was für Personen sind es, die da als Schiedsrichter fungieren? Sind es Richter?

Fritz Glunk: Nein. Das ist eine weitere Unüblichkeit gegenüber den ordentlichen Gerichten, es sind Anwälte. Es gibt eine Reihe von Anwaltsfirmen, die sich ausschließlich mit Streitigkeiten zu Freihandelsabkommen befassen, "Investor state disputes" heißt das. Die Kanzleien sind sehr stark besetzt, manchmal mit 60 Anwälten, und verdienen, weil es hier um große Summen geht, viel Geld. Diese Schiedsrichter haben keine Befähigung zum Richteramt, jedenfalls ist das nicht die Regel. Noch schlimmer ist, dass die gleichen Personen mal Investoren vertreten und mal einen Staat, man weiß also nicht genau, in wessen Interessen sie eigentlich besser zuhause sind. Und auch die dritte Person, auf die sich klagende Partei und die beklagte einigen müssen, ist wiederum nur ein Anwalt. Diese drei entscheiden dann, wer zu zahlen hat oder abgewiesen wird.

Schwere Bedenken haben Sie auch gegenüber einem zweiten Punkt des geplanten Freihandelsabkommens geäußert, das betrifft die Standstill-Klausel. Was hat es damit auf sich?

Fritz Glunk: Es gibt einen deutlichen und immer weiter gehenden Trend zur Liberalisierung auf der Welt . Wir führen das zurück auf Maggie Thatcher und die Reagonomics, auch auf den Zusammenbruch des kommunistischen Systems, nachdem nicht mehr irgendeine soziale Marktwirtschaft im Vordergrund steht, sondern wo man jetzt rücksichtslos liberalisieren kann.

Was ich selbst bis vor kurzem auch nur für einen politischen Trend hielt, ist aber seit langem in Vereinbarungen festgelegt: Seit wenigstens 50 Jahren gibt es bei der OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, ein Papier, das die sogenannten OECD-Kodizes enthält. Dort ist niedergeschrieben, dass es zur Liberalisierung keine Alternative geben kann, dass die wirtschaftliche Entwicklung nur in einer Richtung gehen darf , nämlich zu immer weitergehender Liberalisierung. Alles, was im Wege steht, muss beseitigt werden, und wenn es beseitigt ist, kann es nicht wieder auf den vorherigen Stand zurückgeführt werden.

Alle Länder, die dieses Abkommen unterschrieben haben, verpflichten sich, diese Prinzipien einzuhalten. Diese Prinzipien sind, wenn man jetzt Völkerrechtler fragen würde, erst einmal nur "soft law", d.h. sie haben keine unmittelbar rechtliche Bindungswirkung. Jetzt fangen diese Klauseln an, in völkerrechtlichen Verträgen drin zu stehen, und die schlimmste davon ist die Stillstands-Klausel (standstill clause). Sie besagt, dass keine gesetzlichen Regelungen beschlossen werden dürfen, die den Freihandelsaustausch von Waren, Dienstleistungen, Kapital und allem, was handelbar ist, behindern dürfen, und dass die Gesetze, die diesen freien Austausch noch behindern, nur in ihrer einschränkenden Wirkung gemindert, aber nicht erhöht werden können. Und wenn sie einmal vermindert worden sind, dürfen sie nicht wieder neu erhöht werden.

Das bedeutet, unsere Parlamente haben gar nicht mehr die Möglichkeit, bestimmte Gemeinwohlgüter stärker schützen als früher, wenn dem ein Freihandelsabkommen mit so einer Standstill-Klausel entgegensteht, weil das nun weitgehend schon liberalisiert ist. Das heißt, unsere Parlamente werden damit entmachtet.

Würde sich das z. B. auch auf die Wasserprivatisierung beziehen?

Fritz Glunk: Da werden Ihnen jetzt die Liberalisierungsfreunde sagen: Nein. In jedem Freihandelsabkommen steht auch drin, dass bestehende Regelungen nicht angetastet werden. Ich habe sogar dem EU-Handelskommissar Karel de Gucht geschrieben, und der hat mir geantwortet, die werden nicht angetastet. Das ist allerdings nicht glaubhaft, wenn der gleiche Mann, der Chefunterhändler der EU bei den TTIP-Verhandlungen, sagt, wir wollen auch in diesem Bereich der Wasserversorgung oder wie das generell heißt, Public Procurement Agreements, also öffentliche Beschaffungsvereinbarungen, um neue Marktmöglichkeiten zu eröffnen. Es mag nun sein, dass er nicht die Absicht hat, diese Regelungen, die die Grundversorgungen betreffen wie das Wasser, direkt durch ein Freihandelsabkommen anzutasten, aber es würde dann die Möglichkeit nicht mehr gegeben sein, diese Wasserversorgung durch schärfere Wasserschutzgesetze oder andere, die freie Marktbetätigung behindernde Maßnahmen zu erhöhen - diese Möglichkeit ist dann weg. Also die Beruhigung, dass bestehende Regelungen nicht angetastet werden, beinhaltet auch, dass neue nicht erlaubt sein werden.

Aber es gibt doch private Wasserunternehmen, die z.B. in französischen und portugiesischen Städten, wahrscheinlich auch in griechischen, die Wasserversorgung übernommen haben. Könnte das, wenn das Freihandelsabkommen in Kraft träte, wieder rückgängig gemacht werden?

Fritz Glunk: Wenn die Standstill-Klausel nicht auf den Kapitalverkehr eingeschränkt bleibt: Nein. In vielen anderen Freihandelsabkommen gilt sie für jede Tätigkeit des Investors. In diesem Fall wäre das dann eine sehr deutliche Beschränkung seiner Tätigkeit. Und der Investor kann, wenn er befürchten muß, daß seine Gewinne beschränkt werden oder gar, wenn er das absehen kann, den Staat verklagen. Man könnte also Veolia die Wasserversorgung wegnehmen, aber dann müßte der Staat damit rechnen, daß er auf Schadensersatz von ein paar Milliarden verklagt wird.

Auf wessen Betreiben geht dieses weitgehende Freihandelsabkommen Ihrer Ansicht nach zurück?

Fritz Glunk: Wir müssen nicht spekulieren über das, was die Wirtschaft für Interessen an einem solchen Abkommen hat. Sie stehen nicht in der "Süddeutschen" oder in anderen Zeitungen, sondern sie stehen in Briefen, die große Verbände an ihre Regierungen geschrieben haben.

Und dort geht es dann so zu: Der Verband der US-Weizenproduzenten klagt, die EU argumentiere nicht wissenschaftlich, sondern sei "politisch beeinflusst". Zwei Verbände der Getreideexporteure beschweren sich, dass die Genehmigungen bestimmter Getreideexporteure in der EU langwierig und nur politisch argumentiert seien. Die Rindfleischexporteure in den USA und der Verband der Milchproduktehersteller missbilligen, dass Produktstandards, also Anforderungen an die Produkte, in der EU nur auf politischen oder populären, statt auf wissenschaftlichen Gründen beruhen. Und auch europäische Spielzeugproduzenten und andere Verbände singen dieses Klagelied, es werde zu viel politisch entschieden und nicht technisch.

Man muss sich fragen, was bedeutet in all diesen Briefen das Wort "politisch"? Es kann nichts anderes bedeuten, als dass damit Regelungen gemeint sind, die auf demokratische Weise zustande gekommen sind, d.h. ein Parlament hat eine Vorschrift erlassen, eine Beschränkung eingeführt. Das wird, obwohl es demokratisch zustande gekommen ist, von diesen Industrieverbänden als "politisch motiviert" bezeichnet und deshalb abgelehnt. Mit anderen Worten: Das Parlament soll nicht bestimmen dürfen, was der Wirtschaft erlaubt ist und was nicht.