Deutscher Presserat hat Beschwerde im Fall Mollath verschlampt

Zwei Eingaben eines Beschwerdeführers fanden keinen Eingang in Akte, Grund sei ein "Büroversehen"

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Warum fanden Nachträge zu einer Beschwerde zu dem Zeit-Online-Artikel "Ein Kranker wird Held" keinen Eingang in die entsprechende Akte beim Deutschen Presserat? Der Presserat spricht von einem "Büroversehen", aber weitere Fragen zum dem Vorfall hat der Presserat auch nach mehrmaligen Nachfragen seit Montag nicht beantwortet. Der Vorfall dürfte Wasser auf die Mühlen derjenigen sein, die im Fall Gustl Mollath Strippenzieher hinter den Kulissen vermuten. Was ist passiert?

Professor Andreas Wittmann hat am 7. Januar dieses Jahres Beschwerde wegen eines Artikels, der auf Zeit Online zum Fall Mollath erschienen ist, beim Presserat eingelegt. Der Artikel, so sieht es Wittmann, verstoße gleich gegen mehrere Ziffern des Pressecodex, wie ihn der Deutsche Presserat und mehrere Presseverbände ausgearbeitet haben. Anbei ein Ausszug aus der Beschwerde von Herrn Wittmann:

1. Verstoß gegen Ziffer 1 der Charta (Wahrhaftigkeit und Achtung der Menschenwürde) und gegen Ziffer 2 (Sorgfalt): "Zur Veröffentlichung bestimmte Informationen in Wort, Bild und Grafik sind mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und wahrheitsgetreu wiederzugeben." Im letzten Absatz des Artikels schreiben die Autorinnen

"Florian Streibl von den Freien Wählern hat den Hamburger Rechtsanwalt Gerhard Strate akquiriert. Der hat Gustl Mollath in der Psychiatrie besucht, drei Vollmachten hatte er dabei - Mollath hat nicht unterschrieben. Dabei hätte Strate nicht einmal Geld verlangt. Will Mollath etwa gar keine Wiederaufnahme? Hat er sich in der Rolle des Märtyrers der bayerischen Strafjustiz eingerichtet?"

Wie Herr RA Strate klarstellt: "Der Hinweis von Frau Rückert [Anm.: Sabine Rückert, Journalistin und Mitglied der ZEIT-Chefredaktion] auf die nicht unterschriebenen Vollmachten ist besonders deshalb anstößig, weil sie mir in dem mit ihr fünf Tage vor der Veröffentlichung in der ZEIT geführten persönlichen Gespräch zugesagt hatte, alle Zitate durch mich autorisieren zu lassen. Indem sie mich nicht als Quelle zitierte, schien sie sich offenbar der Verpflichtung zur Autorisierung enthoben zu fühlen. Ich hatte ihr lediglich deshalb von den Vollmachten erzählt, weil die Reaktion von Mollath, vor Unterzeichnung der Vollmachten zunächst noch mit der für ihn bisher tätigen Rechtsanwältin Rücksprache nehmen zu wollen, gerade ein Ausweis überlegten und auch moralisch gebundenen Handelns war. Ich bekomme im Jahr mindestens fünfzig/sechzig Briefe von tatsächlich oder angeblich Unschuldigen aus Deutschlands Knästen und geschlossenen Anstalten, von denen in vergleichbarer Situation bestimmt jeder sofort unterschrieben hätte. Gerade dass Mollath dies nicht sofort getan hat, zeichnete ihn für mich aus."

So Ursula Prem und die Süddeutsche Zeitung am 20.12.2012 berichten, war der eigentliche Ablauf wie folgt: "Alles Unsinn, erwidern nun sowohl Mollath als auch Strate - und wundern sich über Die Zeit, denn die Vollmacht wurde bereits Tage vor der Veröffentlichung erteilt. Mollath sagte der SZ, er habe nach einem Besuch Strates im Bezirkskrankenhaus Bayreuth lediglich zunächst mit seiner Anwältin - einer Münchnerin, die Mollath seit Monaten vertritt - über einen zusätzlichen Anwalt sprechen wollen. "So etwas gebietet, finde ich, der Anstand", sagte Mollath, denn die Anwältin habe sehr viel Arbeit in seinen Fall investiert; und das zu einer Zeit, in der ein Wiederaufnahmeverfahren nahezu unmöglich erschienen sei."

Hier wurde massiv gegen die Wahrhaftigkeit und gegen die Sorgfaltspflicht verstoßen!

Die falsch dargestellten Tatsachen zur Erteilung des Mandats an Herrn RA Strate sind deshalb so skandalös, weil diese den Autorinnen des Artikels bekannt sein mussten.

Das Problem: Sowohl die nachträgliche Eingabe vom 11. Januar als auch eine weitere Eingabe vom 17. Januar haben keinen Einzug in die entsprechende Akte beim Presserat gefunden. Und das ist verwunderlich, denn: Wittman gibt gegenüber Telepolis an, dass er zu allen Eingaben eine Lesebestätigung erhalten habe. Aus dem Emailverkehr zwischen Wittman und der Verantwortlichen für die Koordination der Beschwerden ergibt sich zudem, dass Beschwerden eingegangen sein müssen.

Die Nichtberücksichtigung der beiden am 11. und 17. Januar eingereichten Eingaben hatte Konsequenzen: Die Beschwerde von Wittmann wies der Presserat als "offensichtlich unbegründet" zurück.

Grundlage zur Entscheidung des Presserats war lediglich die inhaltlich stark komprimierte Beschwerde von Wittmann, die er am 7. Januar über das entsprechende Beschwerdeformular auf der Webseite des Presserats ausgefüllt hat.

Erst als Wittmann beim Deutschen Presserat nachhakte, stellte sich raus: Seine nachgereichten Ergänzungen zu der Beschwerde wurden nicht berücksichtigt.

In einer Email vom Presserat, die an Wittmann gerichtet ist, ergibt sich, dass die Ergänzungen seiner Beschwerde "aus bislang unerklärlichen Gründen...jedoch zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht in der Akte (waren), die dem Vorsitzenden des Beschwerdeausschusses und mir vorgelegen hat. Ich bitte Sie, diesen Fehler zu entschuldigen."

Auf eine Anfrage von Telepolis hieß es vonseiten des Presserats, es handele sich bei dem Vorfall um ein "Büroversehen". Auf die Fragen, wie es zu diesem "Büroversehen" gekommen ist und ob solch ein Büroversehen schon öfter vorgekommen ist, hat der Presserat auch nach mehrmaligen Nachfragen nicht geantwortet. Die Antworten stehen seit Montag aus. Auch wurde nicht darauf geantwortet, bis wann eine Antwort erfolgen kann. Vom Sekretariat des Presserats wurde am Telefon mitgeteilt, dass diese Woche Sitzungswoche sei und die Verantwortlichen den ganzen Tag in den Sitzungen verbringen würden.

Immerhin: Der Presserat hat unverzüglich, nach dem der Vorfall um die nichtbeachteten Eingaben angesprochen wurde, einen Einspruch von Wittmann gegen die Entscheidung aus dem Vorverfahren akzeptiert.

Wittmann sagte gegenüber Telepolis: "Zunächst wollte ich selbst nicht an ein "Büroversehen" glauben, neige aber heute dazu, dass es tatsächlich eines war. Immerhin hat diese dadurch zu Stande gekommene Verzögerung es ermöglicht, die Beschwerde gegen die ZEIT fundierter zu gestalten..."

Wittman sagte, er habe in einem Gespräch mit einem der Verantwortlichen beim Presserat offen gefragt, ob der Presserat "Beißhemmungen gegenüber den 'Qualitätsmedien' Zeit und Spiegel habe. Wittman schilderte, seine Frage sei verneint worden und der Verantwortliche habe ihm gesagt, dass vom Presserat alle Medien gleich behandelt würden.

Diese Woche setzt sich der Beschwerdeausschuss erneut mit der Beschwerde von Wittmann auseinander, die mittlerweile, auch durch die Hilfe von Mitstreitern, auf 17 Seiten angewachsen ist. Auch eine Beschwerde von Wittman und weiteren Beteiligten gegen den umstrittenen Artikel "Fall Gustl Mollath: Warum der Justizskandal doch keiner ist" wird vom Beschwerdeausschuss behandelt. Diese Beschwerde umfasst 22 Seiten.