"Ein Gottesgeschenk für Israel"

Reaktionen auf die amerikanisch-russische Vereinbarung zur Vernichtung der syrischen Chemiewaffen

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Wird die syrische Regierung ihren Verpflichtungen nachkommen? Skepis und Misstrauen sind durch die gestern vorgestellte Vereinbarung zum Abbau bzw. der Zerstörung der syrischen Chemiewaffen zwischen Russland und den USA nicht beiseite geräumt. Und Nachrichten, wie sie augenblicklich von Salim Idriss, dem Vorsitzenden des Obersten Rates der Freien Syrischen Armee gestreut werden, weisen darauf hin, dass die Syrienkrise weiterhin stark vom Informationskrieg geprägt sein wird.

Idriss behauptet, dass die syrische Regierung C-Waffen in den Iran und den Libanon verfrachtet. Schon am vergangenen Donnerstag, bevor Kerry und Lawrow ihre Vereinbarung zu den Chemiewaffen ausgearbeitet hatten, erhob ein Bericht des Wall Street Journals ähnliche Vorwürfe.

Eine geheime Eliteeinheit des syrischen Militärs habe "Lagerbestände an Giftgas und Munition" auf bis zu 50 Orte verteilt, um sie zu verstecken. Die Informationen stützen sich auf Angaben "amerikanischer Vertreter und Offizieller aus dem Mittleren Osten". Behauptet wird weiter, dass sowohl die amerikanischen wie die israelischen Geheimdienste kein genaues, vertrauenswürdiges Wissen mehr über die Chemiewaffendepots hätten, seit sechs Monaten nicht mehr.

Zu beweisen ist keine dieser Aussagen. Ob sie geglaubt werden, hängt allein davon ab, welche Plausibilität ihr der Leser bzw. die Öffentlichkeiten zuweisen. Das hängt, wie man seit Ausbruch der Kämpfe in Syrien erfahren hat, vor allem davon ab, welcher Seite sie zuneigen. Mit "Surprise, surprise" und drei Punkten, die "na ihr wisst schon, was das heißt" verstehen lassen, kommentierte John McCain den WSJ-Artikel. McCain war bekanntlich für einen US-Militärangriff auf syrische Ziele.

Die Umsetzung der Vereinbarung wird viele Gelegenheiten dafür liefern, um der jeweiligen Seite ein "na ihr wisst schon, was das heißt" zuzublinzeln - Hinweise darauf, wie Assad al Baschars Regierung trickst, wie die Rebellen tricksen, um mit False-Flag-Operationen Baschar als Betrüger hinzustellen, wie die USA versuchen, den Präsidenten wie Middle-East-Tyrannen zuvor (Gaddafi oder Saddam Hussein) mit Inspektoren, Auflagen und unterstellten Übertretungen aufs Kreuz zu legen oder wie Assads Verbündeter Russland die Öffentlichkeit täuscht, etc...

Neue Machtblöcke und Gespräche mit Iran

Dass die Chemiewaffenabrüstung in einem Land voller Kampfzonen geschehen soll, macht die Durchführung, wie überall herausgestellt wird, ohnehin schwierig. Wie vor kurzem die UN-Untersuchung der Giftgasangriffe vom August in der Ghouta bereits gezeigt hat, garantiert die Unübersichtlichkeit weiter das Manipulationspotential jedes Ereignisses in Syrien. Davon wird auch die Arbeit der OPCW-Inspektoren nicht ausgenommen sein.

Aber hinter der zugrundeliegenden Vereinbarung stehen diesmal nicht die USA und ihre Verbündeten, sondern die USA und Russland. Das hat bereits Wirkung gezeigt. Die aufgeheizte Kriegsrhetorik der letzten Wochen ist merklich abgekühlt. Der Verhandlungsweg hat erstmal die Priorität, dafür haben auch die Öffentlichkeiten im Westen gesorgt. Die Stimmung gegen eine Militärintervention in Syrien war offensichtlich, diesmal wagten es die Führungen der USA und Großbritannien nicht, sich darüber hinwegzusetzen.

Zu dieser Erleichterung kommt die Hoffung, dass die USA jetzt mit Russland einen traditionellen Gegenpart gefunden habe, was gestattet auf bilateraler Ebene Prozesse anzustoßen, die bisher von einer militarisierten Herangehensweise verhindert wurden. Ob die Hoffnung berechtigt ist, wird sich nicht nur in Syrien zeigen, sondern auch bei den Verhandlungen über den sogenannten Atomstreit mit Iran.

Die USA hat in ihrer offiziellen Politik die Machtkonstellationen, die sich in den letzten Jahren herausgebildet haben - mit dem Shanghai Cooperation Council als einem wichtigen Zentrum, lange ignoriert. Jetzt hat sich möglicherweise ein Umdenken Bahn gebrochen, vielleicht auch, weil die USA in Afghanistan gemerkt haben, wie wichtig die Unterstützung Russlands und Iran für die Region ist.

Momentan deutet einiges daraufhin, dass die neue Wahrnehmung auch direkte Gespräche mit Iran ermöglichen könnte. Solche Hoffungen stehen allerdings auf dünnen Boden, den das Spiel manipulierter bzw. organisierter Meinungen in der Öffentlichkeit an vielen Stellen brechen kann. Das Interesse daran, das Verhältnis zwischen den USA und Iran auf Konfliktkurs zu halten, der für Eskalationen offen bleibt, hat mit dem syrischen Proxy-Krieg ein Hauptschlachtfeld.

Israel: Wichtiges politisches Ziel erreicht

Wie sehr es auf die Perspektive ankommt, lässt sich an einem Artikel über die israelische Position ablesen. In Israels Regierung und wahrscheinlich auch in der Bevölkerung ist man gegenüber der US-russischen Abmachung skeptisch. Sollte das Abkommen scheitern, gebe es eine Menge von Nein-Sagern, die sich im Recht fühlen werden, heißt es im Artikel von Chemi Shalev.

Aber: Wenn der Plan gelingt, käme dies einem Lotteriegewinn für Israel gleich, ohne dass man dafür ein Los gekauft habe. Denn dann würde ein zentrales, jahrzehntelang verfolgtes Ziel der israelischen Politik erreicht, die Vernichtung des chemischen Waffenarsenals Syriens. Kerry und Lawrow hätten dies dann bewerkstelligt, ohne von Israel dafür eine Konzession zu verlangen, ein Geschenk.

Dass Assad die Verhandlungen als Triumpf feiern könnte, steht für Shalev nicht fest. Assad verzichte, in dem er sich auf den Deal eingelassen hat, auf etwas, was unter vielen Arabern als strategische Antwort auf Israels Nukleararsenal angesehen wurde, so Shalev, nur um seinen Job zu behalten. Was Shalev allerdings nicht anspricht, ist die Möglcihkeit, dass mit der Abrüstung in Syrien un auch das israelische Waffenarsenal neu in den Blick rückt. Russland hat die Zielvorstellung eines Nahen Osten ohne Massenvernichtungswaffen offen dargelegt.

Interesse daran, dass die Lawrow/Kerry-Vereinbarung scheitert, haben viele. Auch in der Türkei, in Katar und in Saudi-Arabien. Die Berichterstattung von Syriens umstrittenen Zonen bleibt Informations-Kriegsgelände. Das wird sich in Bälde zeigen, wenn die UN die Ergebnisse der Untersuchungen zu den Giftgasangriffen präsentiert.