Abschied vom Unschuldslamm

Der Kitschroman wendet sich von der Glorifizierung der weiblichen Charaktere ab

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Sexy, aufopfernd, geduldig, friedfertig - die Frau im Kitschroman

Die Romane des Cora Verlages bieten eine große Bandbreite an äußeren Begleitumständen bzw. Umgebungen für die im Mittelpunkt stehenden Liebesgeschichten. Neben den Geschichten, die im adeligen Mikrokosmos spielen, gibt es welche im 1001-Nacht-Milieu, im US-amerikanischen Reichenmilieu (meist mit Selfmade-Männern oder alteingesessenen Traditionsfamilien) sowie Grusel- und Mystery-Reihen, die sich größtenteils an Jugendliche richten, und historische Romane. Sie alle eint die Darstellung der Frau. Die muss nicht nur sexy und schön sein, sondern auch geduldig, friedfertig und aufopfernd.

Noch vor einiger Zeit mussten die Damen in den Geschichten quasi durch Tränenfluten waten und Hürden wie psychische und physische Demütigung oder sogar Vergewaltigung (wenn auch als "dein-Körper-sagt-mir,-dass-du-es-auch-willst"-Sex verbrämt) nehmen, bis sie die Ziellinie des Happy Ends mit Scheichs und anderen begüterten Männern erreichten.

Dem folgten die sich ebenfalls aufopfernden Alleinerziehenden, die nur bei akuter Gefahr für ihre Kinder beim Kindesvater auftauchten. Sie schlugen sich tapfer allein durchs Leben und schmolzen beim Mann der Träume sofort dahin wie Butter in der Sonne, nur um festzustellen, dass sie allzu oft an einen emotionalen Krüppel geraten waren, den es aufzupäppeln und zu retten galt.

Erst in den letzten Jahren tauchten dann die Frauen auf, die dem markigen "jetzt wird geheiratet" ein ebenso markiges "Nein" entgegensetzten. Zeitgleich wurden die bisher eher exotisch angehauchten Probleme etwas glaubwürdiger gestaltet - und neben der Homosexualität kam in In den Armen des Fremden sogar das Thema Legasthenie als Mittelpunkt auf. Ein Novum, vermied man in den Kitschromanen bisher doch eher Probleme, die (abgesehen von dramaturgisch wertvollen Szenarien wie diversen Erkrankungen samt Notwendigkeit für Organ- oder Knochenmarksspende oder Überschuldung durch Spielsucht etc.) die Geschichten eher mit unnötigem Ballast ausgestattet hätten.

Die ersten Kratzer in der schimmernden Frauenrüstung

In So heiß küsst nur ein Italiener bekam die bisher makellose Frauenrolle erste Flecken auf der Weste. Zwar war der heiß küssende Italiener auch ein emotionales Wrack, doch diesmal war es kein überbeschäftigter Vater, der zu hohe Ansprüche stellte oder gar zuschlug: Es war die Ehefrau, die die Rolle des Bösen einnahm, was umso erstaunlicher war, als es nicht etwa um Fremdgehen oder sonstige seelischen Verletzungen, sondern um handfeste körperliche Gewalt ging.

Dies war kein einmaliger Ausrutscher: Bei näherer Betrachtung zieht sich die Veränderung der Rolle der Frau wie ein roter Faden durch diverse Cora-Romane. So finden sich in letzter Zeit durchaus auch dem Alkohol zugeneigte Mütter, die die Hand gegen die Kinder erheben, in den Geschichten wieder. Vorher war eher eine Vernachlässigung durch Luxusgeschöpfe der Standard, wenn es überhaupt einmal vorkam, dass auch die Mütter ihren Teil an der emotionalen Schieflage der Protagonisten zu verantworten hatten.

Den Falschen geglaubt

Schon mit Falsch gewettet, Herzensbrecher? war die Rolle der unschuldigen Frau ins Wanken gekommen: Hier durfte sie nicht nur voller Vorurteile sein - nein, sie konnte auch noch dazulernen. Dies war ebenfalls ein Novum, denn bis dahin galt eher, dass die Frau, egal wie sie worauf reagierte, letztendlich ja stets so reagieren musste: Einerlei, ob die sexy Blondine im Arm, der Lippenstift auf dem Hemd oder das Haar auf dem Sakko - immer wurde das Schlimmste angenommen und es war am Herrn, seine wahlweise wütende oder verletzte (oder beides) Geliebte zurückzugewinnen, auch wenn er eigentlich ja gar nichts getan hatte.

Bei Falsch gewettet, Herzensbrecher? war dies erstmals anders: Hier entschuldigte sich die Frau sogar für ihre Vorurteile und ihre Voreingenommenheit. Zwar musste der Mann ihr großmütig verzeihen, dennoch war hiermit doch eine kleine Kehrwendung vollzogen worden, die auch weiterhin in den Romanen zu bemerken ist.

Der Preis der Vergeltung führt diese Linie konsequent fort. Doch während sich bei Falsch gewettet, Herzensbrecher? das Meiste eher im Onlinebereich abspielte, ist bei Der Preis der Vergeltung der Racheplan der Protagonistin auf eine gesellschaftliche Demütigung im realen Leben ausgerichtet. Der Roman ist auch insofern durchaus interessant gestaltet, weil er den Leser bis zuletzt glauben lässt, dass es sich bei dem reichen Caz Brandon um einen Mann handelt, der seine gutgläubige und verliebte Verlobte einfach fallen ließ wie eine heiße Kartoffel, so dass diese sich das Leben zu nehmen versuchte.

So wird der Leser in die Gefühlswelt von Tarn Desmond hineingezogen, die sich verpflichtet fühlt, ihre "Schwester" Evie (Tarn wurde als Pflegetochter aufgenommen und dann behalten, obgleich die Pflegeeltern doch noch ein leibliches Kind bekamen) zu rächen und dafür zunächst mit Caz Brandon anbandelt, sich in seine Firma einschleicht und ihn mehr oder minder direkt zu verführen versucht, sodass sie ihn dann kurz vor der Hochzeit stehenlassen kann.

Natürlich verliebt sich Tarn in Caz (die Namen des Cora-Universums wären einen Artikel für sich wert). Sie verlässt ihn zwar kurz vor der Hochzeit, gibt jedoch keine Information über die bevorstehende Trauung an die Presse weiter, um Caz nicht öffentlich zu demütigen. Dies allerdings erledigt ihre Mitbewohnerin, die ebenso wie Tarn von Cazs früherem miesen Verhalten überzeugt ist. Erst zu diesem späten Zeitpunkt muss Tarn dann erkennen, dass ihre "Schwester" krankhaft davon überzeugt war, dass Caz in sie verliebt sei, wegen Stalkings auffiel, Drogenprobleme hatte und schließlich versuchte, sich der Verfolgung wegen der Drogendelikte durch einen Krankenhausaufenthalt zu entziehen, was allerdings durch die Überdosis der Medikamente in der Psychiatrie endete.

Die Liebesgeschichte zwischen ihr und Caz war insofern eine komplette Wahnvorstellung und Lüge, die von Tarn jedoch bereitwillig akzeptiert wurde und ausreichte, um von ihrer Seite aus einen hasserfüllten Racheplan in Gang zu setzen, ohne in irgendeiner Form einmal den Wahrheitsgehalt der Anschuldigungen Evies zu prüfen.

Beim Gespräch mit dem Professor, der Evie behandelt, wird Tarn bewusst, was sie getan hat, wie sie bereitwillig alles glaubte, was ihr Evie erzählte und wie schnell sie bereit war, dafür ein Leben zwar nicht zu vernichten, aber nachhaltig zu beschädigen:

Ich habe in bestem Glauben gehandelt - und weil Evie mich angefleht hat, ihr zu helfen. Sie wollte, dass er bestraft wird. Sie brauchte es. Und ich habe zugestimmt, weil ich dachte, es würde ihr helfen, wieder gesund zu werden.

So verteidigt sie ihr Handeln bis der Professor sie über die Tatsachen aufklärt und damit ihr Kartenhaus zum Einsturz bringt.

Natürlich sind diese Aspekte auch der Dramaturgie geschuldet: Ein Kitschroman mit rein rational und direkt agierenden Personen würde ja zur Kurzgeschichte mutieren. Dennoch ist es interessant zu betrachten, welche Entwicklung die Frauenfiguren in letzter Zeit machen. Vom in jeder Hinsicht armen Lämmchen, der üblichen "Maid in Nöten" und den sich aufopfernden Aschenputteln bis hin zu den jetzigen Frauenfiguren war es ein langer Weg, an dessen bisherigem Ende ambivalente Personen stehen, die immer weniger den Schubladenfiguren entsprechen, die bisher vorherrschten. Zwar bietet Cora auch weiterhin jede Menge Stereotypen, doch die Zeit macht auch vor Kitschromanen nicht Halt. Selten wurde jedenfalls so schonungslos die selbstgerechte und hasserfüllte Seite der in Kitschromanen agierenden Frauen, die sich stets im Recht wähnen, in den Vordergrund gestellt. Die Unschuldslämmer werden geschlachtet.

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