Schluss mit Knöllchen dank Intelligent Speed Adaptation?

Geschwindigkeitsübertretungen könnten der Vergangenheit angehören, wenn sich eine automatische Begrenzung durchsetzt

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Derzeit erregt die britische Öffentlichkeit ein neues Thema: Intelligent Speed Adaptation. Auslöser war ein Bericht des Telegraph. Die Zeitung hatte gemeldet, dass die EU plane, alle Autos mit Geschwindigkeitsbegrenzern auszustatten, die verhindern sollen, dass schneller als 70 mph (etwa 113 km/h) gefahren werde. Damit solle die Zahl der Verkehrstoten um ein Drittel reduziert werden.

Der Vorschlag der Generaldirektion Mobilität und Transport (DG MOVE) solle beinhalten, dass alle Neuwagen mit Kameras ausgestattet werden, welche Verkehrszeichen lesen, Geschwindigkeitsbegrenzungen erkennen und dann automatisch bremsen können, wenn die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit überschritten wird. Möglicherweise müssten Bestandsfahrzeuge sogar zur Nachrüstung in die Werkstatt.

Außerdem diskutiere Brüssel, ob man für PKWs Geschwindigkeitsbegrenzer einführe, wie sie bei LKWs (HGVs in EU-Terminologie) und Bussen heute schon eingesetzt werden. Doch mit dieser Idee waren die Briten ganz und gar nicht einverstanden. Durch derartige Maßnahmen würde die Freiheit der Autofahrer verletzt. Zudem habe das Vereinigte Königreich im vergangen Jahr mit 1.754 Verkehrstoten deutlich weniger als Deutschland mit 3.657 und damit keinen Anlass zur Einführung eines solchen Big-Brother-Systems.

Bild: Amtliches Werk nach § 5 Abs.1 UrhG

Für den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel, der kürzlich ein generelles Tempolimit von 120 km/h gefordert hatte und dessen Fahrer auf der Autobahn vor Osnabrück mit Tempo 180 unterwegs war, hätte ein System, das lokale Geschwindigkeitslimits überwacht, wenig gebracht. Er hatte nur seine persönliche Höchstgeschwindigkeit überschritten und keine örtliche Geschwindigkeitsbegrenzung.

Dagegen hätte sich ein südbadischer Richter, der dieser Tage in Freiburg vor Gericht stand, mit einem automatischen Geschwindigkeitsbegrenzer einige Unannehmlichen erspart. Der war in einer Tempo-30-Zone mit 37 km/h geblitzt worden und wollte die Strafe von 25 Euro nicht bezahlen, weil er nicht gleichzeitig auf Straße und Tacho schauen könne. Er sah sogar ein besonderes Unfallrisiko darin, "das kleine rote Tacho-Strichlein wie eine Schlange zu fixieren" und gleichzeitig auf die Straße zu schauen wo "stets mit Kleinkindern und Omas mit Rollatoren zu rechnen sei".

Derzeit ist das Verfahren unterbrochen, weil erst ein Gutachten eines Diplomphysikers angefordert werden soll, der untersuchen soll, ob die Argumente des betroffenen Richters stichhaltig sind. So mancher Leserkommentar in der Badischen Zeitung hielt es für angebracht den offensichtlich nicht multitaskingfähigen Geschwindigkeitsüberschreiter unverzüglich zur MPU zu schicken. Falls mit dem Gutachten jedoch aktenkundig werden sollte, dass Autofahrer mit dem gleichzeitigen Beobachten der Tachometernadel und der Verkehrssituation (möglicherweise auch altersbedingt) überfordert sein könnten, wird dies Wasser auf die Mühlen der Verfechter einer Intelligent Speed Adaptation (ISA) spülen.

Selbst der deutsche ADAC ist nicht grundsätzlich gegen ISA. Er hält Systeme für sinnvoll, die den Fahrer durch eine akustische und/oder visuelle Warnung auf die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit hinweisen (was manche Navigationssysteme schon heute machen). Ebenfalls begrüßt werden unterstützende Systeme, die mit einem "aktiven" Gaspedal (AAP oder "haptic throttle") ausgestattet sind, welches einen erhöhten Gegendruck ausübt, sobald die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten wird. Beide Systeme lassen dem Fahrer die Option, weiter zu beschleunigen.

Eingreifende Systeme, die von sich aus die Kraftstoffzufuhr drosseln oder gar selbst einen Bremsvorgang einleiten, wie dies Sicherheitssysteme der Eisenbahn bewerkstelligen, verstoßen nach Ansicht des ADAC gegen die Anforderungen des Wiener Übereinkommens über den Straßenverkehr von 1968, nach welchen der Fahrer jederzeit die volle Kontrolle über sein Fahrzeug behalten muss.

Auch wenn die englische Horrorgeschichte mit den Kameras, die Verkehrsschilder lesen, wohl überzogen ist und die EU-Kommission trotz zahlreicher von ihr finanzierter Forschungsprojekte zu diesem Thema derzeit keine entsprechenden Maßnahmen planen sollte ist die Überwachung des Fahrverhaltens damit keineswegs vom Tisch. So führte die österreichische Versicherung Uniqa schon 2007 mit dem Tarif SafeLine eine Kfz-Versicherung mit Notfallautomatik, GPS-basiertem Unfall-/Notfall-Service, Carfinder und fahrleistungsabhängiger Prämie ein.

Auch die italienische Allianz-Tochter Telematics hat inzwischen schon über 80.000 Fahrzeuge in Europa mit elektronischen, GPS-basierten Fahrtenschreibern bestückt, welche die gefahrene Strecke protokollieren und an die Versicherung senden. Wer zu unfallträchtigen Tageszeiten sein Fahrzeug stehen lässt, soll einen Rabatt auf seinen Tarif bekommen. Wenn das europäische Notrufsystem eCall ab 2015 Pflicht wird und die entsprechende Tracking-Technik in allen Neufahrzeugen vorhanden ist, dürfte damit zu rechnen sein, dass Versicherungstarife, die das Fahrverhalten berücksichtigen, flächendeckend angeboten werden.

Dann ist der Wunsch der DG MOVE, dass man jederzeit wissen sollte, wer sich wo aufhält, in Erfüllung gegangen. Sollten in 5-15 Jahren autonome Fahrzeuge auf den Markt kommen, die dem Fahrer die ganze Arbeit abnehmen, wird das Thema der von außen induzierten Zwangsbremsung kein Thema mehr sein. Die Frage bleibt dann nur: Was machen andere Verkehrsteilnehmer wie Radfahrer, Fußgänger und Fahrer von museumsreifen Oldtimern, die nicht digital gesteuert werden?

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