Das langsame Ende des Feindbilds Iran?

Präsident Rohani läutet mit Unterstützung des obersten Führers eine neue Realpolitik der Annäherung ein

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Was passiert, wenn das Feindbild nicht tut, was erwartet, sondern was eingefordert wird? Irans neuer Präsident Hassan Rohani erklärt in einem Interview mit einem amerikanischen Fernsehsender, dass sein Land keine Nuklearwaffe herstellen wird: "Under no circumstances we will seek any weapon of mass destruction, including nuclear weapons." Die Botschaft an das US-Publikum und die westliche Öffentlichkeit ist ein vertrauensuchendes Bekenntnis und Teil einer neuen politischen Haltung, die auf mehr Offenheit und Annäherung setzt.

Iran will die Verbindungen zum Westen verbessern, ist vom obersten Führer Khamenei zu vernehmen. "Heroische Flexibilität" hat er als neue strategische Maxime ausgegeben. Vom führungsnahen Kommentatoren der Tehran Times, Hassan Hanizadeh, etwas näher umschrieben, ist mit der neuen Herangehensweise gemeint, dass man "den Paradigmen der islamischen Revolution" treu bleiben will, sich nicht davon distanziert und zugleich vermöge einer "artistischen Diplomatie" mit gegebenen Situationen umgeht.

Das klingt sehr nach Politbüroäußerungen, doch wird die Neuorientierung auf eine "artistisch-diplomatische Realpolitik" von Zeichen begleitet, die auf einen tatsächlichen Richtungswechsel gegenüber der Politik unter Präsident Ahmadinedschad verweisen.

Die Regierung unter Präsident Rohani erhielt vom obersten Führer die Vollmacht für direkte Gespräche mit den USA. Annähernde Schritte dafür werden schon unternommen, man tausche Briefe aus, heißt es von Rohani und von Obama. Beide Regierung senden Signale dafür, dass direkte Verhandlungen vorbereitet werden.

Auf Distanz zu den Revolutionären Garden

Sowohl das geistliche Oberhaupt Khamenei als auch Präsident Rohani äußerten sich zuletzt zur neuen Rolle der Revolutionären Garden, mit denen Ahmadinedschad ein enges Verhältnis pflegte, das sich im politischen Einfluss widerspiegelte.

Jetzt sollen sie sich nach Worten Rohanis von der Politik fernhalten. Zuvor hatte Khamenei eine ganz ähnliche Regieanweisung gegeben.

Hassan Rohani. Bild: www.president.ir

Das wird wahrscheinlich nicht verhindern, dass der ein oder andere Komandeur hingehaltetenen Mikrophonen weiter Feldherrenkram erzählt, der Hardliner in beiden Lagern entzückt, aber ihre Äußerungen weden nicht mehr das politische Gewicht haben wie unter dem Scharfmacher Ahmadinedschad. Von Journalisten, die das Land bereisen, hört man, dass die "Böser Satan-Rhetorik" verstummt sei, die neue Sprecherin des Außenministeriums halte andere Töne bereit.

Tritt nun Besonnenheit an die Stelle von Misstrauen und Schüren des Konflikts? Das hängt sehr von der Reaktion aus dem Westen, von Israel und den USA ab. Bislang war das Feindbild Iran der Nordpol für die Ausrichtung aggressiver, auf militärische Drohung basierender Politik in der Region. Das hat den israelischen Premierminister Netanjahu auch manches Mal dabei geholfen, über innenpolitische Schwierigkeiten hinwegzumanövrieren.

Die Politik des starken Mannes hilft, wie Israelis deutlich spüren, nichts, wenn es um Arbeitsplätze und knappe Kassen geht. Die Umfrageergebnisse für Netanjahu sehen schlecht aus. Der Anreiz für Ablenkungsmanöver in Richtung "der größten globalen Bedrohung" ist bei einem schablonenhaft agierenden neoliberalen Politiker wie Netanjahu immer gegeben. Was aber wird passieren, wenn sich das Feindbild nicht mehr aufrechterhalten lässt?

Wieviele Chancen werden Iran für eine neue Rolle eingeräumt?

Der Konflikt mit Iran ist, wie der scheidende israelische Botschafter in den USA, Michael Oren, kürzlich erklärte, konstituierend für regionale Bündnisse und Vereinbarungen:

With these Gulf States we have agreements on Syria, on Egypt, on the Palestinian issue. We certainly have agreements on Iran.

Die Frage wird sein, wieviel Chancen man Iran einräumt, eine neue Rolle zu spielen. Der Argwohn ist groß, dass von Staaten des arabisch-israelischen Blocks beim Stellvertreter-Kriegsschauplatz Syrien Manöver gefahren werden, die Iran im alten Licht, als aggressive Regionalmacht, präsentieren. So wäre zum Beispiel nicht weiter verwunderlich, wenn in der nächsten Zeit wieder vermehrt Meldungen über die Präsenz der Hisbullah oder der Revolutionären Garden in Syrien auftauchen.

Doch müsste den Hardlinern in der amerikanischen wie in der israelischen Regierung längst klar sein, was ihre Militärs wissen: mit militärischen Mitteln ist weder der syrische Krieg noch die Konfrontation über das iranische Nuklearprogramm zu gewinnen. Die Folgen wären unabsehbar und gewiss keine Verbesserung der gegenwärtigen Lage. Mit Iran als Verhandlungspartner könnte man die regionalen Konflikte aber wahrscheinlich besser lösen.

Zudem bekommen Staaten und Blöcke, die man bislang nur am Rand wahrnahm, neues politisches Gewicht, Brasilien etwa oder Indien, die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit. Diese ökonomisch und energiepolitisch wichtigen Staaten dürften genau hinschauen, wie der Westen die Frage nach der zivilen Nutzung von Atomenergie durch Iran behandelt.