Die Stimmberechtigten im Tessin votieren mit großer Mehrheit für ein Vermummungsverbot

Gemeint ist damit die Burka, aber über Ausnahmen wie Motorradhelme wurde mit der Volksabstimmung nicht entschieden

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Ob es im Tessin überhaupt Musliminnen gibt, die mit Burka herumlaufen oder ihr Gesicht ganz verhüllen, ist fraglich. Besonders häufig dürfte das nicht der Fall sein. Macht nichts, dachten sich die Tessiner und stimmten mit einer fast Zweidrittel-Mehrheit von 65,4 Prozent für die Verankerung eines Artikels in der Kantonsverfassung, "dass niemand auf öffentlichen Straßen und Plätzen das eigene Gesicht verschleiern oder verbergen kann".

Bild: Daderot/Public Domain

Eingebracht hatte den Vorschlag nach dem Vorbild von Frankreich der frühere Journalist und Lokalpolitiker Giorgio Ghiringhelli aus Losone, der der Partei Il Guastafeste angehört. Schon vor drei Jahren wollte er durch eine Petition in Schulen islamisches Kopftuch und Schleier verbieten lassen.

Nachdem er damit gescheitert ist, veränderte er die Formulierung und das Ziel und sammelte Stimmen für die Volksinitiative, in die Verfassung des Kantons ein allgemein formuliertes Vermummungsverbot für den öffentlichen Raum und öffentliche Verkehrsmittel, ausgenommen Religionsstätten, aufzunehmen - vorbeugend, wie er sagte, weil es im Tessin damit ja keine Probleme gibt, und trotzdem als Zeichen gegen den "militanten Islamismus" und die Unterdrückung der Frauen. Aufgrund des Geschlechts, so ein Zusatz, darf niemand gezwungen werden, das Gesicht zu verhüllen. Als Sanktion sind Geldstrafen vorgesehen.

Schnell hatte er dafür die notwendigen Unterstützer zusammen, weswegen gestern im Tessin, zusammen mit anderen Volksabstimmungen auch auf Bundesebene, über das Vermummungsverbot abgestimmt werden musste, das sich nicht explizit gegen Muslime richtet und das Kopftuch nicht einschließt. Ausnahmen werden allerdings nicht definiert, sondern sollen in einem Gesetz festgelegt werden.

Der Tessiner Staatsrat hatte 2013 einen Gegenvorschlag als Gesetzentwurf gemacht, weil man ahnte, dass die Initiative eine Mehrheit finden könnte. Aber man wollte versuchen, über ein Gesetz die Verankerung in die Verfassung zu vermeiden. Auch nach dem Gesetzentwurf wäre die Gesichtsbedeckung in der Öffentlichkeit verboten, Demonstrationen und Sportveranstaltungen inklusive, aber es wurden auch Ausnahmen festgelegt, da ein allgemeines Vermummungsverbot natürlich erhebliche Probleme bereiten würde. Als Ausnahmen wurden beispielsweise Helme von Motorradfahrern, Staubfilter für Arbeiter oder Masken beim Fasching definiert.

Die stimmberechtigte Tessiner Bevölkerung, immerhin mit einer Wahlbeteiligung von 46 Prozent dabei, votierte zwar auch mehrheitlich (59,83%) für den Gegenvorschlag. Bei der Entscheidungsfrage entschieden sich aber 52,42 Prozent für die Initiative und nur 36,75 Prozent für den Gegenvorschlag.

Jetzt also gibt es das Dilemma, dass zwar das Tragen einer Burka im öffentlichen Raum verboten wäre, aber auch Motorradfahrer trotz Helmpflicht eigentlich ohne Helm fahren müssten. Die Tessiner wollten halt ein Zeichen setzen, was der Initiator genauso sieht:

Damit schreiben wir Geschichte in der Schweiz und im Ausland." Er hofft, dass das Verbot auch anderswo in der Schweiz eingeführt wird, wo auch schon das Bauen von Minaretten 2009 über einen Volksentscheid verboten wurde. Für Amnesty läuft die Entscheidung "dem verfassungsmäßigen Recht auf freie Meinungsäußerung zuwider und setzt ein bedenkliches Zeichen der Intoleranz.

Allerdings muss in diesem Fall noch das Schweizer Parlament zustimmen, weil es sich um eine kantonale Verfassungsänderung handelt. Bislang wurden alle Versuche, eine Ganzgesichtsverhüllung durchzusetzen, vom Parlament und vom Bundesrat abgewiesen. Aber die Bürger in der Schweiz scheinen gegen Ausländer und vor allem Muslime zu sein, zumindest mehrheitlich diejenigen, die über derartige Initiativen direkt abstimmen.

Die rechte SVP macht so gegen "Masseneinwanderung" mobil: "Seit einigen Jahren erleben wir eine Masseneinwanderung in unser Land. Speziell die Einwanderung aus der EU ist für die Schweiz nicht mehr kontrollierbar. Diese Situation wird durch einen zu einfachen Familiennachzug aus Drittstaaten, zahlreiche illegale Aufenthalter und verschleppte Probleme im Asylwesen weiter verschärft."

Bundesweit wurde mit einer großen Mehrheit von 72 Prozent eine Abschaffung der Wehrpflicht in der Schweiz eine Absage erteilt. Auch der Zivildienst wird damit nicht freiwillig werden.