9/11 - ein weiteres Fragezeichen im Zusammenhang mit der NSU-Mordserie

Die Aufklärung des NSU-Mordes 2001 in Hamburg wurde möglicherweise vernachlässigt, weil in der Hansestadt der Kampf gegen den Terror Vorrang hatte

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Ein Zusammenhang zwischen den Morden des Trios des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) und den Terroranschlägen vom 11. September 2001 liegt nicht unbedingt auf der Hand. Es gibt auch keinen direkten Zusammenhang. Wohl aber stellt sich die Frage, ob der derzeit in München im Rahmen des NSU-Prozesses verhandelte Mord an Süleyman Taşköprü in Hamburg im Juli 2001 hätte aufgeklärt – und damit eventuell weitere Morde hätten verhindert werden können –, wenn mehr Beamte für die Ermittlungen in diesem Fall eingesetzt worden wären, statt sich auf 9/11 und die so genannte Terrorzelle um Mohammed Atta zu konzentrieren?

Im Fall Taşköprü ermittelte streckenweise scheinbar nur ein Beamter, und der war laut Zeugenaussagen hoffnungslos überfordert.

Möglicherweise ist die nicht erfolgte Aufklärung also nicht nur dem Umstand geschuldet, dass einseitig in Richtung organisierte Kriminalität ermittelt, jeglicher Hinweis auf einen möglichen rechtsradikalen Hintergrund der Täter konsequent ignoriert wurde und die zuständigen Inlandsnachrichtendienste Erkenntnisse über Kontakte des NSU-Trios zu Hamburger Nazis, z.B. den inzwischen verstorbenen Neo-Nazi-Anwalt Jürgen Rieger, nicht übermitteln konnten oder wollten. Die Fehler bei der Fahndung könnten gegebenenfalls zudem damit zusammenhängen, dass offensichtlich alle verfügbaren Fahnder auf Atta und Co angesetzt waren und der Hamburger NSU-Mord personell nachrangig behandelt wurde.

Taşköprü wurde am 27. Juni 2006 in dem der Familie gehörenden Gemüseladen in Hamburg-Altona erschossen. Sein Vater, der wegen einer Erledigung des Ladens für etwa 30 Minuten verlassen hatte, fand seinen Sohn in einer Blutlache liegend vor. Bei der ersten Vernehmung sprach er von zwei jungen Deutschen, die er am Tatort gesehen habe. Im Laufe der Zeit war er sich dessen aber nicht mehr so sicher. Dieser möglichen Spur wurde nie nachgegangen.

Ziemlich schnell war klar, dass Taşköprü mit derselben Waffe, einer Česká 83, ermordet wurde wie der Blumenhändler Enver Şimşek am 9.9.2000 in Nürnberg und der Schneider Abdurrahim Özüdoğru am 13.6.2001, ebenfalls in Nürnberg. Bei den beiden Taten in Franken war die Polizei von einem Auftragsmord im Rahmen eines Bandenkrieges im türkischen Milieu ausgegangen. Diese These bekam durch den Hamburger Mord neue Nahrung.

Eine Beziehung der Opfer untereinander konnte nicht gefunden werden, stattdessen wurden Taşköprü Verbindungen ins Rotlichtmilieu angedichtet. Das schien den Fahndern in Hamburg nahe zu liegen, und auch die beiden Morde in Franken wurden damit erklärt. Später fanden sich auch noch niederländische Kleinkriminelle, die der Polizei diese Annahme bestätigten.

Vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) des Deutschen Bundestages sagte der damalige Leiter der Hamburger Sonderkommission (SOKO), Felix Schwarz, seines Zeichens stellvertretender Leiter der Abteilung für "organisierte Kriminalität", jedoch aus, sich von denen "verarscht gefühlt" zu haben, diese hätten bloß eine Strafverkürzung oder Hafterleichterungen erreichen wollen.

Kriminalhauptkommissar Werner Störzer, ebenfalls zuständig für das Sachgebiet "organisierte Kriminalität", der drei Tage nach dem ersten Mord an Enver Şimşek der Nürnberger SOKO beigeordnet wurde, sagte vor dem PUA in Berlin, aufgrund der Terroranschläge in New York sei Hamburg einen Mindestpersonaleinsatz gefahren. Er habe zu diesem Zeitpunkt nur noch mit einem Beamten der Mordkommission in der Hansestadt Kontakt gehabt, der nach seiner Auffassung mit dem Mordfall Tasköprü völlig überfordert gewesen sei. Die Mordkommission in Hamburg sei zu diesem Zeitpunkt ziemlich unterbesetzt gewesen.

Später lief die Hamburger SOKO allerdings ermittlungstechnisch sozusagen zur Höchstform auf: Es wurde ein männliches "Medium" aus dem Iran eingeflogen, dem es angeblich gelang, mit dem Mordopfer im Jenseits Kontakt aufzunehmen. Diese Kaffeesatzleserei, wie die Kritischen Polizisten das in einer Pressemitteilung nannten, wurde zwar nicht gerichtsrelevant, dennoch als Aktennotiz vermerkt.