"Der Papst hätte Hunderttausende retten können"

Dirk Verhofstadt über die Rolle der katholischen Kirche bei der Vernichtung der Juden. Teil 2

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In seinem Buch Pius XII. und die Vernichtung der Juden weist Dirk Verhofstadt nach, dass sich die katholische Kirche, anders als die offizielle Version, nicht in den Widerstand begeben hat, sondern Faschisten und Nazis tatkräftig unterstützte. Der Vatikan war die wichtigste innenpolitische und außenpolitische Stütze der Nazis.

Zu Teil 1: Die katholische Kirche und der Holocaust

Am kroatischen Genozid an den orthodoxen Serben und serbischen Juden während des Zweiten Weltkrieges, als 750000 Serben umgebracht wurden war die katholische Kirche sogar direkt beteiligt. Katholische Priester (vor allem Franziskaner-Pater) waren als Täter am Massenmord beteiligt. Diese waren so grausam, dass sogar die Deutschen dagegen Protest einlegten.

Später half die katholische Kirche mehreren Massenmördern zur Flucht. Im Jahr 2009 wurde Pius XII. von Papst Benedikt wegen seiner heroischen Tugenden für "ehrwürdig" erklärt, womit eine erste Hürde in Richtung Heiligsprechung genommen wurde.

Was wusste der Vatikan überhaupt von den Massenmorden an Juden im Osten? Wurden diese Informationen genutzt um sie öffentlich zu machen oder sie an andere Regierungen weiterzuleiten?

Dirk Verhofstadt: Der Vatikan wusste sehr gut, was im Osten mit den Juden geschah: Zum Beispiel beschreibt der griechisch-katholische Vertreter in Lwów, Andrzej Szeptycki, in einem Brief an den Papst vom 31. August 1942 den Massenmord an den Juden und der lokalen Bevölkerung. "Schon mehr als ein Jahr ist kein Tag vergangen, wo nicht schreckliche Verbrechen begangen wurden. Die Juden sind die ersten Opfer. In unserem Land sind jetzt bereits mehr als 200.000 Juden ermordet. In dem Maße, wie die Armee weiter nach Osten zieht, steigt die Zahl der Todesopfer.

In Kiew wurden in einigen Tagen bis zu hundertdreißigtausend Männer, Frauen und Kinder getötet. Alle kleinen Städte in der Ukraine haben diese Massaker erlebt und dies läuft bereits ein Jahr lang. (...) Die brutale und kriminelle Weise, wie die Deutschen die Juden behandeln, wird von Tag zu Tag schlimmer. Es passiert, dass sie in den Straßen der Stadt nur so Juden erschießen unter den Augen der Passanten."

Am 18. September 1942 schrieb Giovanni Battista Montini, der Stellvertreter von Kardinal Maglione und spätere Papst Paul VI., an den Heiligen Stuhl: "Die Morde an den Juden haben schreckliche und beängstigende Ausmaße und Formen angenommen. Jeden Tag geschehen schreckliche Massaker, es scheint, dass man zu Mitte Oktober ganze Ghettos leer machen und die Hunderttausende von Unglücklichen, die dort schmachten, los werden will."

Am 5. Mai 1943 notiert Maglione selbst: "Juden. Schockierende Situation. 4,5 Millionen Juden in Polen vor dem Krieg, man erwartet nun, dass sogar weniger als 100.000 übrigbleiben (die aus anderen von den Deutschen besetzten Ländern eingeschlossen). In Warschau wurde ein Ghetto eingerichtet, das etwa 650.000 umfasste, heute sollen es 20 bis 25.000 sein.

Natürlich sind viele Juden der Kontrolle entwichen, aber es gibt keinen Zweifel, dass die meisten von ihnen vernichtet wurden. Nach monatelangen Transporten von Tausenden und Abertausenden von Menschen, von denen nichts mehr zu hören ist, kann das durch nichts anderes als durch den Tod erklärt werden (...). Spezielle Todeslager in Lublin (Treblinka) und Brest-Litowsk. Es wird gesagt, dass sie zu mehreren Hundert in Räumen eingesperrt und mit Gas umgebracht werden. Dorthin gebracht in Viehwagen, hermetisch abgeschlossen, auf dem Boden ungelöschter Kalk." - Der Vatikan hat mit diesen Informationen nichts gemacht.

"Die Bischöfe ließen alle Kirchenglocken für den Sieg des Deutschen Reiches läuten"

Wie reagierte die katholischen Kirchenführer in Deutschland auf den Polenfeldzug, während und nach dem ein Fünftel des polnischen Klerus ermordet wurde?

Dirk Verhofstadt: Hitler ging mit dem Krieg gegen Polen ein großes Risiko ein, denn es bestand die Gefahr, dass der Papst und die katholischen Bischöfe diesen missbilligen würden. Doch sie taten es nicht. Die deutschen katholischen Kirchenführer hießen diesen Überfall sogar gut, trotz der Tatsache, dass Zehntausende katholischer Polen, darunter Hunderte von Priestern, ermordet wurden. In einem gemeinsamen Hirtenbrief an die deutschen Soldaten erklärten sie: "In dieser entscheidenden Stunde ermuntern und ermahnen wir unsere katholischen Soldaten, in Gehorsam gegen den Führer, opferwillig unter Hingabe ihrer ganzen Persönlichkeit ihre Pflicht zu tun. Das gläubige Volk rufen wir auf zu heißem Gebet, dass Gottes Vorsehung den ausgebrochenen Krieg zu einem für Vaterland und Volk segensreichen Erfolg und Frieden führen möge."

Der Bischof von Hildesheim, Machens, hetzte die Gläubigen seiner Diözese sogar noch zusätzlich auf: "Ein Krieg ist ausgebrochen, der uns alle, Heimat und Front, Wehrmacht und Zivilbevölkerung, vor die gewaltigsten Aufgaben stellt. Darum rufe ich Euch auf: Erfüllt Eure Pflicht gegen Führer, Volk und Vaterland! Erfüllt sie im Felde und daheim! Erfüllt sie, wenn es sein muss, unter Einsatz der ganzen Persönlichkeit!"

Sein Kollege Konrad Gröber, Erzbischof von Freiburg, sprach von der Pflicht eines jeden deutschen Soldaten, sein Leben, wenn nötig, zu opfern: "Dienst aus Pflicht, vor Gott übernommen durch einen Eid; der Tod ist die letzte Hingabe an Vaterland und Volk. Soldatentod ist damit Opfertod, Opfertod ist Heldentod. Heldentod ist ehrenvoller Tod."

Mehr noch, die Bischöfe von Köln und Paderborn appellierten mit der "vollen Macht ihres heiligen Amtes" an die Gläubigen, ihre "patriotische Pflicht" zu erfüllen. Einige Tage nach dem Sieg am 30. September 1939 ließen die deutschen und österreichischen Bischöfe alle Kirchenglocken für den Sieg des Deutschen Reiches über Polen läuten, obwohl viele katholische Soldaten wie auch Zivilisten und Juden getötet worden waren. Der Papst protestierte nicht, trotz der wiederholten Aufforderungen der Alliierten an den Heiligen Stuhl - vor allem seitens Frankreichs und der polnischen Exilregierung -, die Aggression der Deutschen zu verurteilen.

Wie haben die französischen Bischöfe während der deutschen Besatzung auf antijüdische Maßnahmen reagiert?

Dirk Verhofstadt: Die Mehrheit des französischen Episkopats, etwa 70 der 76 Bischöfe, und der Vatikan begrüßte das neue Regime von Marschall Pétain. Unmittelbar nach der Niederlage fing im Mai 1940 die neue Regierung Pétain an, eigene Gesetze zur Diskriminierung der Juden zu erarbeiten, was in der Bevölkerung auf geringen oder keinen Widerstand stieß.

Der Vatikan habe keine grundsätzlichen Einwände gegen die "Beschlagnahme des Besitzes der Juden, die Wegnahme ihrer Lebensgrundlagen und ihre Marginalisierung in der französischen Gesellschaft". Ab 1942 wurden Juden aus Frankreich nach Auschwitz deportiert. Der Papst und die französischen Bischöfe schwiegen.

"Die Abscheu der christlichen Führer vor dem Bolschewismus war sehr tief verankert "

Wie haben sich Vatikan und Klerus zum Vernichtungsfeldzug der Nazis gegen die Sowjetunion verhalten? Welche Motivation kam hier zum tragen?

Dirk Verhofstadt: Die Unterstützung der Kirchen nahm nach dem Einmarsch der Wehrmacht in die Sowjetunion am 22. Juni 1941 noch zu. Bei ihrem Treffen in Fulda vom 24. bis 26. Juni 1941 riefen die Bischöfe die Gläubigen auf, ihre patriotische Pflicht zu erfüllen. Deutsche katholische Kirchenführer wie Bischof Michael Rackl von Eichstätt, Erzbischof Lorenz Jäger von Paderborn, Bischof Joseph Kumpfmüller von Augsburg, Kardinal Clemens August von Galen von Münster, Erzbischof Conrad Gröber von Freiburg und Kardinal Michael Faulhaber von München äußerten sich in Predigten und Hirtenbriefen positiv zu diesem Überfall.

Sie fanden ihn nutzbringend, "weil er dem heiligen Willen Gottes folgte". Die Invasion Russlands hatte zur Folge, dass selbst die konservativen und religiösen Kritiker des Regimes sich nun hinter die Nazis scharten, denn die Abscheu der christlichen Führer vor dem Bolschewismus war in der Tat sehr tief verankert.

Jedenfalls kam von den deutschen Bischöfen kein öffentliches Wort des Protestes gegen die monströsen Gräueltaten an der Ostfront, worüber sie sicherlich durch die Militärseelsorger informiert wurden. Es gab, im Gegenteil eine bemerkenswerte Richtlinie von Kardinal Faulhaber aus dem Jahr 1941, wie Proteste gegen die deutsche Regierung formuliert werden sollten.

Demnach sollten Pastoralbriefe keine Aussagen enthalten, welche das Ansehen des Volkes oder der Regierung schädigen könnten und Faulhaber fügte in Klammern einige Beispiele an: "(jüdische Frage, Behandlung der russischen Kriegsgefangenen, SS-Gräueltaten in Russland etcetera)". Die elf Punkte in Klammern, die der Brief erwähnt, sind von besonderem Interesse. Sie beweisen, dass Kardinal Faulhaber und durch diesen Brief alle deutschen Bischöfe im November 1941 Kenntnis von den Gräueltaten an der Ostfront hatten.

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