Al-Qaida-Prozess in Madrid

Die Beweislage ist dürftig, ein Angeklagter wurde schon freigelassen

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Seit einer Woche wird in Madrid ein Indizienprozess gegen Al Kaida geführt. Es ist das zweite Verfahren weltweit im Zusammenhang mit den Anschlägen am 11. September 2001. Zum Teil sollen die 24 Angeklagten sie mitorganisiert haben. Insgesamt werden 200.000 Jahre Haft gefordert. Ob das Verfahren anders als die in Hamburg ausgeht, wird sich zeigen, denn die Beweislage ist auch hier dürftig (Never Ending Story Al Qaida). Doch der Nationale Gerichtshof, ein Sondergericht schaut gern über Feinheiten hinweg, wenn es um Terrorbekämpfung geht. Der zuständige Ermittlungsrichter Baltasar Garzón ist zwar für großspurige Anklagen bekannt, doch die verlieren sich nicht selten im Nichts.

Durchgeführt wird der Prozess nicht im eigentlichen Gebäude des Sondergerichts, denn das ist für Monate oder Jahre mit Prozessen gegen baskische Organisationen belegt (Spanien: Wieder Verbot baskischer Organisationen), die Garzón "vorläufig" verboten hat. Sie warten zum Teil seit sieben Jahren auf einen Prozess (Baskische Zeitung und Website geschlossen). Daher wird das Verfahren gegen al-Qaida in einen umgebauten Messepavillon in einem Park im Westen der Hauptstadt zelebriert. Wie im Nationalen Gerichtshof üblich, sitzen auch hier die Angeklagten in einer Art Aquarium aus kugelsicherem Panzerglas. Schwer bewaffnete Polizisten überwachen mit Hubschraubern und Spürhunden das hermetisch abgeriegelte Gelände.

Die Mehrzahl der 24 Angeklagten ließ Garzón im Rahmen der "Operation Dattel" am 13. November 2001 verhaften, zwei Monate nach den Anschlägen in der USA. Weitere 17 hätte er gerne auf die Parkbank gesetzt, darunter auch Osama bin Laden. Hauptbeschuldigter ist der in Syrien geborene Imad Eddin Barakat, der als spanischer al-Qaida-Chef gilt. Dazu kommen der aus Marokko stammende Driss Chebli und der aus Syrien stammende Ghasoub Al Abrash Ghayoun. Die drei seien direkt in die Anschläge verwickelt, deshalb werden für sie Haftstrafen von jeweils mehr als 62.000 Jahren gefordert.

Der Staatsanwalt Pedro Rubira schreibt in der Anklageschrift: Barakat, Chebli und der noch gesuchte Amer el Azizi hätten das Kommando unterstützt, das die Flugzeuge ins Pentagon und die Twin Towers gelenkt hätten. Konkret sollen Barakat und Chebli ein Treffen vorbereitet haben: "Am 16 Juli 2001 trafen sich die Terroristen Mohammed Atta und die in Abwesenheit angeklagten Ramzi Binalshibh und Mohamed Belfatmi in Tarragona (Spanien), um möglicherweise die Anschläge gegen die USA beschließen."

Schon hier fällt auf, dass die Staatsanwaltschaft Genaues nicht weiß. Damit hängt auch dieser Prozess offenbar von den Aussagen Binalshibhs ab, der an einem unbekannten Ort von den USA gefangen gehalten wird. Belfatmi soll sich angeblich in Afghanistan aufhalten. Da Binalshibh nicht befragt werden kann, scheiterten schon die bisherigen Verfahren in Hamburg gegen Mounir El Motassadeq und Abdelghani Mzoudi (Motassadeq zum Zweiten). Auch die Auslieferung des Hamburger Kaufmanns syrischer Abstammung Mamoun Darkazanli an Spanien kommt nicht voran, der eigentlich auch auf der Anklagebank sitzen sollte (Dürfen sie oder dürfen sie nicht?).

Der Versuch der Anwälte, den Prozess scheitern zu lassen, wurde vom Sondergericht abgelehnt. Der Vorsitzende des Gerichts, Javier Gómez Bermúdez, weigerte sich, Anträge auf Einstellung des Verfahrens zu berücksichtigen. Darüber würde man im Urteil sprechen, erklärte er. Jacobo Teijelo, Verteidiger von Barakat, argumentierte, Spanien habe keine Zuständigkeit für den Prozess, weil auch die USA ein Verfahren gegen al-Qaida anstrengten. Zudem habe gäbe es Anomalien in der Beweiserhebung, weil Telefonate seines Mandanten illegal abgehört worden seien.

Bei den Vernehmungen haben bisher alle Angeklagten geleugnet, etwas mit al-Qaida zu tun zu haben. So auch Barakat: "Ich war kein Anhänger der Theorien von Bin Laden. Deshalb habe ich ihn weder getroffen, noch war ich in Afghanistan, um ihn zu besuchen", wie die Anklage behauptet. Der Koran verbiete es zudem, "Frauen, Kinder und wehrlose Männer umzubringen und ihre Häuser zu zerstören". Der Sohn einer tschetschenischen Mutter verteidigte aber das "Recht der Völker", sich gegen "Angriffe zur Wehr zu setzen". Er habe deshalb "Bosnien, Tschetschenirn oder Palästina" unterstützt, aber keine Freiwilligen dorthin geschickt, wie ihm vorgeworfen wird. Die Anklage hat es offenbar schwer, Beweise für ihre Vorwürfe beizubringen. So musste sie dem Hauptangeklagten den Besitz von Zeitungsartikeln und den legalen Kauf eines Buchs des palästinensischen Journalisten Jamal Abdullatif Ismail über den TV-Sender al-Dschasira und Bin Laden vorwerfen.

Grotesk ging es auch auf der letzten Sitzung dieser Woche am Mittwoch zu. Da wurden 30 Minuten eines Amateurfilmers vorgeführt, der im Urlaub erstmals eine Filmkamera bedient hat. Verwackelte und unscharfe Bilder von Gebäuden in den USA hatte der zweite Hauptangeklagte Ghayoun bei seinem Besuch 1997 gedreht. Neben den Twin Towers, der Freiheitsstatue, dem Empire State Building und der Wall Street hatte er auch die typischen Buchstaben am Berghang von Hollywood, die Golden Gate Bridge in San Fransisco oder den Sears Tower in Chicago gefilmt: typisches Material einer USA-Rundreise. Dass er Kopien davon über den ebenfalls angeklagten Mohamad Khair al Saqqa an al-Qaida weiter gegeben habe, wie die Staatsanwaltschaft sagt, bestritt er. Beweise für Vorwürfe hat sie nicht vorgelegt.

Ähnlich verhielt es sich auch bei dem einzigen angeklagten Spanier. Der zum Islam konvertierte Yusuf Galán dementierte jede Verbindung zu al-Qaida und verurteilte "jede Form des Terrorismus". Im Prozess stellte sich heraus, dass er für alle bei ihm gefundenen Waffen einen Waffenschein hat, weil er Sportschütze ist.

Bisher sieht es so aus, als handelte es sich erneut um eines der Verfahren, mit denen der Ermittlungsrichter Garzón sich wirksam in der Öffentlichkeit als Terrorbekämpfer präsentieren konnte, das am Tag der Wahrheit aber keine Substanz vorweist. Schon vor zwei Jahren hatte er sich mit der "Operation Lago" blamiert. Kurz vor der Invasion des Iraks wollte er im Januar 2003 eine al-Qaida-Zelle ausgehoben haben, die angeblich dabei war, Chemiewaffen für einen Anschlag herzustellen. Tatsächlich fand man bei den 16 verhafteten "Islamisten" Waschmittel. Sie wurden später frei gelassen und gingen als "Kommando Dixan" in die Geschichte ein. Die damalige konservative Regierung unter José María Aznar hatte ausgerechnet sie als Beleg für angebliche Verstrickungen zwischen Saddam Hussein und al-Qaida genannt. Stets warnte Aznar, dass Husseins Waffen in die Hände von Terroristen fallen könnten. Damit begründete er auch die spanische Teilnahme an der Irak-Invasion (Spanien auf Kriegskurs).

Auf freien Fuß wurde am Montag schon der Starreporter des arabischen TV-Senders al-Dschasira gesetzt. Dies wurde mit der Herzschwäche von Taisir Aluni begründet, da aber nicht einmal eine Kaution gestellt wurde, glaubt wohl niemand ernsthaft, ihn wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu neun Jahren Haft verurteilen zu können. Er soll auch nach dem 11. September noch Kontakt zu Bin Laden gehabt haben. Das bestreitet er ohnehin nicht, schließlich wurde er für ein Interview mit diesem weltbekannt (Reporter unter Verdacht).