Die Hölle, das ist der Einheitswein

"Mondovino" - Die Gleichschaltung des Geschmacks

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Auch Wein kann ein Opfer von plastischer Chirurgie werden. Denn in der Welt des Weins herrscht Krieg. Es ist, wieder einmal, ein Krieg zwischen Old Europe und der Neuen Welt des ungebremsten Kapitalismus. Und Weintrinken, auch das erfährt man in Jonathan Nossiters unterhaltsamer Dokumentation, kann ein Feld im Kampf um die Erhaltung der Kultur gegen die Ökonomisierung des Lebens sein. Im Gegensatz zum überschätzten Weinfilm "Sideways" ist "Mondovino" kein Erbauungstheater für die Toscana-Fraktion, weit entfernt von dem Versuch, mit Hilfe des Themas "Wein" dem US-Lifestyle etwas alteuropäische Kultur und intellektuelle Kennerschaft anzuschminken. Jonathan Nossiters "Mondovino" ist ein Lehrstück über Funktionsweise und Abgründe des Kapitalismus.

Pinot Grigio, Merlot und Chardonnay - ganz ehrlich: kennt man noch etwas anderes? Es handelt sich hier zwar nicht um Wein- sondern um Traubensorten, die an jedem Hang anders schmecken können, doch der gewöhnliche Weintrinker bestellt sie, als wäre damit sicher, was er bekommen wird. "Das ist es inzwischen auch", argumentiert Jonathan Nossiter. In seiner aufregenden, überaus kurzweiligen, ganz unsnobistischen Dokumentation "Mondovino" schildert der als Spielfilmregisseur bekannt gewordene Franko-Amerikaner, selbst Sommelier und Verwandter von Weinproduzenten und insofern Experte die Abgründe der zeitgenössischen Weinkultur, die längst Unkultur geworden ist.

Man darf, aber man muss kein Weinliebhaber sein, um diesem unprätentiösen, sehr klaren, aber nicht eifernden, über weite Strecken gelassen-humorvollen Film viel abzugewinnen. Nossiter beschreibt die Produktion des uralten Kulturguts und den zeitgenössischen internationalen Weinhandel. Mehrere Händler und Produzenten unterschiedlichster Art und Größe werden vorgestellt, manche von ihnen stellen seit Jahrhunderten Spitzenweine her. Sie arbeiten und handeln seit Jahrhunderten in Frankreich und Italien, oder sie sind Neuwinzer aus dem Napa Valley von Kalifornien oder aus Argentinien. So bekommt man in wenigen, sehr amüsanten Skizzen eine Ahnung von der Kultur des Weinproduzierens. Zugleich erlebt man - und dies steht im Zentrum -, wie diese Kultur in den letzten 20 Jahren allmählich zerstört wird.

Schuld ist tatsächlich wieder einmal die Globalisierung der Weltwirtschaft. Verkörpert wird sie in diesem Fall durch die kalifornischen Weinhändler, die heute die alten französischen Weine mit chemischen Tricks perfekt imitieren - im Film wird dieses Vorgehen mit "plastischer Chirurgie" verglichen - und zu billigeren Preisen verkaufen. Zudem - und das ist noch der größere Skandal - setzen sie bestimmte Geschmäcker mit recht rohen Mitteln weltweit durch. Alles was anders ist, wird Opfer der Napa-isation, der Globalisierung des Geschmacks der Napa-Valley-Weine. Vielfalt jeder Art, vor allem Weine, die nicht auf Anhieb munden, erst Gewöhnung und Erfahrung brauchen, um ihre Qualität zu entfalten, weil sie nicht konform mit dem globalen Einheitsgeschmack des trockenen "Vanille-Eichenholz-Aromas" sind, kommt da unter die Räder. Es geht insofern bei alldem auch um den kulturell-politischen Konflikt, zwischen den USA und Europa, einen Konflikt für den die Politik der derzeitigen US-Administration eher Katalysator, denn Auslöser ist.

Vorgestern Mussolini, heute die Amerikaner

Die Bad Guys in Nossiters Film sind die Amerikaner. Die Mondavis, eine Sippe italienischer Abstimmung, aus dem Napa-Valley, die durch den Wein zu Milliardären geworden sind, und direkt Coppolas "Paten" entsprungen scheinen. Sie arbeiten Hand in Hand mit dem Star-Önologen Michel Rolland. Mit Hilfe von hochspezialisierten Labors und dem von ihm perfektionierten Verfahren der Mikro-Oxydation "verbessert" er den Geschmack von über 400 Weingütern, vor allem in Europa. Sprich: er designed den Wein neu, bis kaum noch etwas von seinem alten Aroma übrig bleibt. Mit Hilfe von Robert Parker, dem sehr populären Papst der US-Weinkritiker, der die Marken, sofern sie einen Ruf besaßen, zuvor heruntergeredet hat, kann man dadurch sogar aus einem unbekannten Gesöff mit Nordhanglage einen "Spitzenwein" und eine "Marke" kreieren. Zugleich beschleunigt die Mikro-Oxydation auch den Reifungsprozess, was den Wein schneller verkaufbar macht.

Mehr als ein Hauch von Korruption liegt über dieser Beziehung, die für Kenner zwar seit Jahren offenkundig ist, der breiten Öffentlichkeit aber bislang verborgen blieb. Hinzu kommt: Parker ist auch persönlich so überaus unangenehm, dass man sich von so einem schon gar nichts über guten Geschmack erzählen möchte: Die Wohnung quillt über von Kitsch, der an seinem Geschmack zweifeln lässt, er und seine Frau überbieten einander an feister Hässlichkeit, am schlimmsten aber ist sein Hund, ein widerlicher Pinscher, ausgerechnet nach dem Faschisten im FBI-Chefsessel Edgar J. Hoover benannt, und "Fartie" genannt. Und wenn Parker dann grinsend von sich a la Caesar in der dritten Person redet, und erzählt, dass er über 10 000 Weine im Jahr verkostet, und trotzdem seine Traumnote 100 nur selten vergibt, dann kann einem das Weintrinken schon für kurze Zeit vergehen. Parker ist das hässliche Gesicht eines Kulturimperialismus, der im Namen eines "demokratischen Weinverständnis" die Weinlagen der Welt kolonialisiert und eine Gleichschaltung des Geschmacks vornimmt - die allerdings nicht bedeutet, dass sich auch unter den massenproduzierten Weinen nicht gute, wohlschmeckende Tropfen befinden können.

Es müssen übrigens nicht immer die Amerikaner sein: Die Lateinamerikaner sind auch nicht viel besser, klarer noch als im Kalifornienabschnitt wird hier, dass Weinproduktion auch auf gröbster Ausbeutung menschlicher Körper beruht. Und am korruptesten erscheinen die Italiener, die Grafen der Frescobaldi zum Beispiel, die bei Florenz in beneidenswert prächtigen Schlössern leben, seit dem Hochmittelalter kontinuierliche Familienarchive in ledergebundenen Bänden führen, und sich ebenso lang schon mit den Mächtigen aufs Geschmeidigsten zu arrangieren wissen. Immer saß man mit an der Tafel und bekam mehr als nur ein paar Krumen ab, irgendwann vorgestern war es mal Mussolini - "der hatte viel Respekt für Ordnung, und die Züge fuhren damals pünktlich" erfahren wir glücklicherweise nebenbei von einem der Grafen -, heute sind es eben die Amerikaner.

Resistance gegen Kollaborateure

Die Helden von "Mondovino" sind die Franzosen, genauer gesagt jene Winzer, wie Aimé Guibert. In seinem Dorf nahe Montpellier setzte sich der - politisch rechts stehende - Guibert für die Wahl eines globalisierungskritischen kommunistischen Bürgermeisters ein, um mit dessen Hilfe den Verkauf von Weinlagen an die Mondavis zu unterbinden. Oder Hubert de Montille, ein alter kauziger, über 70jähriger Winzer aus Burgund, der sich mit alten Anbaumethoden gegen den Stil von Mondavi und Rolland zur Wehr setzt. Für Montille sind Modavis Weine "charakterlose Wonneproppen". Er liebt "Weine mit Ecken und Kanten, die nicht jedem schmecken" und das Aroma des Bodens wiederspiegeln. Ein wenig denkt man dabei auch an jenes unbeugsame gallische Dorf aus den Asterix-Comics, das mit Hilfe seines Zaubertranks den übermächtigen Römern Widerstand leistet.

Wie dort ist das Bild ambivalent. So sympathisch die Franzosen sind, so emotional verständlich die melancholischen Seufzer Guiberts - "Wein ist eine quasi-religiöse Beziehung zwischen dem Mensch und den natürlichen Elementen, mit dem Immateriellen … Wein ist Blut, Poesie, Leidenschaft … aber Wein ist tot … und Käse … und Obst." - so wenig akzeptabel ist doch die platte Verklärung des "Terroir" (der Inbegriff für Klima, Boden und Mineralien, die einen Weinberg einmalig machen), von Herkunft und Vielfalt, der eindimensionale, letztlich reaktionäre Gegensatz von Tradition und Moderne, der dahintersteckt und die Franzosen in den Augen mancher Amerikaner als "ayatollahs of terroir" erscheinen lässt. Neal Rosenthal, ein New Yorker Weinimporteur und US-Gegner der "Napa-isierung" ist da klüger, präziser: "Es geht nicht um Traditionalisten gegen Modernisten", sondern um "Kollaborateure gegen die Resistance."

Es gibt natürlich Gegenpositionen. Auch sie kommen - wenn auch Nossiters eigene Ansichten immer außer Frage stehen - zu Wort: Wo er und das europäische Publikum nämlich darüber klagt, dass die Nuancen der örtlichen Weine von der Macht der amerikanischen Weintrusts und ihrem Drang zur Homogenisierung des Geschmacks zerstört werden, da spürt man den Stolz der Amerikaner innerhalb von 30 Jahren aus dem Nichts großartige Weine geschaffen zu haben, da sprechen sie über die Demokratisierung und die Arroganz der Europäer, über die objektiv feststellbare schlechtere Qualität des europäischen Weins. Bevor man über "Chemie im Wein" jammert, sollte man sich zumindest in Erinnerung rufen, dass jede Weinherstellung ein chemischer Prozeß ist, dass auch kleine Winzer nicht ohne "künstliche" (aber wo fängt das in diesem Fall an, wo darf man es noch natürlich nennen?) Zusätze auskommen. Den Gegensatz, den Nossiter schildert, findet man in anderem Zusammenhang auch innerhalb Europas wieder - zum Beispiel im Fall der Käsevorschriften innerhalb der Europäischen Union, bei der die Hersteller die Zerstörung des lokalen Geschmacks befürchten, die EU-Kommission aber mit Hygiene und Gesundheitspolitik argumentiert.

Und den gutgelaunten, ebenso intelligent wie charmant auftretenden Winzerberater Michel Rolland, kann man auch nicht so einfach als Totengräber der Weinanbautradition abtun. Er stammt wie Montille aus dem Burgund, und war für viele, gerade kleinere Winzerunternehmen der Retter aus wirtschaftlicher Not. Und Rollands Mikro-Oxydation ist nicht einfach nur eine Desindividualisierung des Weins, sie macht die Winzer auch unabhängiger von der Laune der Natur, hilft, die Folgen von Wetter und schlechten Ernten unter Kontrolle zu halten. Schließlich führt die Globalisierung des Weins auch zu einem allgemeinen Weinboom. Mit dem Interesse für das Getränk verbreiten sich Kenntnisse, verbreitet sich eine Differenzierung des Geschmackssinns. Es wäre zu einfach in alldem nichts zu sehen, als den Untergang des Abendlandes.

"Jeder Wein spiegelt seinen Schöpfer"

Letztendlich geht es daher weniger darum, wer recht hat, und ob man Nossiters francophiler Verklärung des "Terroir" teilt, die Feier von Tradition und Herkunft, von Vielfalt, die er, wenn man ehrlich ist, zumindest in dieser Allgemeinheit mit Le Pens "Front National" gemein hat. Viel mehr geht es um die Freiheit des Konsumenten, selbst zu entscheiden, möglichst unbeeinflusst von Kommissionen und der Macht der Marktführer. Das ist natürlich in dieser Einfachheit die reine Wunschvorstellung. Aber offensichtlich ist auch, dass man in Europa besser weiß, als in den USA: Nicht alles, was sich auf dem Markt durchsetzt, ist auch gut. Kleiner Trost am Rand und Ironie des Schicksals: eine der bösen Kulturvernichter-Firmen des Films, Weinkapitalist Robert Mondavi, der vielen kleinen Winzern den Garaus machte, ist inzwischen selbst bankrott gegangen, sein Imperium ein paar Dollarmilliarden verkauft worden - ausgerechnet an einen Schnapskonzern. Guter Wein hält eben länger als die Versprechen der "New Economy".

Um die geht es in dem Film nicht weniger. Im Grunde ist das eigentliche Thema von "Mondovino" die Zukunft der Zivilisation und der Kulturkampf zwischen zwei verschiedenen Formen von Zivilisation. Den mythischen Kern der einen bildet "Terroir", das mythische Herz der anderen die ebenso geheimnisvolle, behauptete "Mikro-Oxydation". Wein war, so argumentiert Nossiter, immer schon ein besonderes Elixier, dass die Gegensätze in sich vereinte: Naturverbunden und die kulturelle Veredelung von Natur, Verbindung von Rausch und Kontrolle, ein Symbol des Überflusses, in der Verbindung von Genuss, Spielerischem; ein magischer Trank, der zugleich hinter aller Magie auch spiegelt, was in einer Gesellschaft vor sich geht: Der Kampf zwischen den Zivilisationen, Ausbeutung und Technisierung, Kampf um Geld mit härtesten Bandagen, der Verfall der Qualität zugunsten von Quantität - was man als Kulturverfall beklagen, als Demokratisierung loben darf.

Es ist eine extrem inhaltsreiche, diskursive Dokumentation, die anhand der Geschichte des Weins eine Geschichte Europas skizziert - um den Portwein als Kulturgut und die Briten in Bordeaux geht es ebenso wie um den angeblich fehlenden Anti-Semitismus im Weinhandel und das "Verschwinden" einer franko-portugiesisch-jüdischen Winzers-Familie nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und darum, warum man den deutschen Besatzern Wein verkaufen musste - mit Kollaboration hatte das natürlich nichts zu tun.

Nossiter leistet es sich souverän, auf jede explizite Stellungnahme und Off-Kommentare zu verzichten. Stattdessen zeigt er Zwischentöne, kommentiert indirekt. Er gewinnt das Vertrauen lässt verschiedene Stimmen zu Wort kommen, lässt die Akteure sich gegenseitig kommentieren. "Mondovino" ist ein Lehrstück über Funktionsweise und Abgründe des Kapitalismus – dabei nie plumpes Pamphlet, und völlig frei von aller Moorerisierung des Dokumentarfilms. Die Botschaft ist viel einfacher: "Jeder Wein spiegelt seinen Schöpfer."