Kommunikationsprobleme beim US-Militär

Der volle Text des vom Pentagon stark geschwärzten Berichts über den Vorfall, bei dem der italienische Agent Calipari getötet und die Journalistin Sgrena verletzt wurde, verrät einige interessante Einzelheiten

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Das Pentagon hat den Bericht über die Schießerei am 4. März an einer Kontrollstelle in Bagdad, bei der der italienische Geheimdienstagent Calipari getötet und die eben aus den Händen von Geiselnehmern befreite Journalistin Giuliana Sgrena sowie der Fahrer verletzt wurden, mit vielen geschwärzten Stellen veröffentlicht. Wie zu erwarten, werden die US-Soldaten in dem Bericht von jeder Schuld freigesprochen. Von italienischer Seite wird diese Darstellung bestritten. Mit einem einfachen Trick können jedoch bei dem in Word geschwärzten und dann in PDF exportierten Dokument die zensierten Stellen wieder gelesen werden. Die italienischen Medien haben den geschwärzten und den unzensierten Bericht veröffentlicht.

Nach der offiziellen Untersuchung der US-Armee wurden die an dem Vorfall beteiligten US-Soldaten entlastet. Empfohlen wurde von Brigadegeneral Peter Vangjel, der die Untersuchung leitete, keine disziplinarischen Maßnahmen zu ergreifen, da es sich um einen "tragischen Unfall" gehandelt habe, bei dem weder eine Absicht noch Unachtsamkeit vorlag. Der italienische Fahrer sei mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren und habe auf Warnsignale an der Straßensperre nicht reagiert. Die Operation sei auch nicht mit dem US-Militär abgesprochen worden.

Die Soldaten des Kontrollpostens CP 541 seien in solchen Aufgaben erfahren gewesen, ihre Einheit hatte schon viele solcher Kontrollen durchgeführt. Der Bericht verweist darauf, dass die Situation im Irak alles andere als im Griff ist und zahlreiche Angriffe und Anschläge erfolgen. Vom Juni 2004 bis März 2005 habe es über 15.000 Anschläge auf Koalitionstruppen im Irak gegeben. Das ganze Land werde als "Kampfzone" eingestuft. Und in Bagdad mit seinen sechs Millionen Einwohnern würde "eine große Zahl von Aufständischen und Terroristen" operieren. Besonders die Straße von Bagdad zum Flughafen, an dem die Sperre auf der Zufahrt (Route Vernon) zur Flughafenstraße (Route Irish) am 4. März kurzfristig zum Schutz eines Konvois mit dem amerikanischen Botschafter errichtet wurde, wird als sehr gefährlich geschildert, sie sei bekannt als die "tödlichste Straße Iraks", von den Soldaten werde sie als "IED Alley" bezeichnet (IED – improvisierte Sprengsätze): ". It is a road filled with dangers that can kill, maim, and injure Soldiers and civilians." Erst zwei Tage zuvor sind zwei Soldaten der Einheit bei einem Anschlag ums Leben gekommen, die den Kontrollposten am 4. März errichtet hatte.

Zensiert wurden in dem Bericht nicht nur die Namen von beteiligten Soldaten, sondern auch manche anderen Details beispielsweise über die Situation im Irak. So wird zwar die Gefährlichkeit der Situation für die US-Soldaten im Irak und besonders in Bagdad beschrieben, um das Verhalten des Kontrollpostens verständlich zu machen. Aber man wollte im Pentagon wohl auch nicht, dass die Öffentlichkeit bemerkt, wie angespannt die Situation in Wahrheit ist.

Ganz Irak ist eine Kampfzone

Zensiert wurde in dem Bericht so beispielsweise, dass in Bagdad vom 1.11.2004 bis 12.3.2005 3.306 Angriffe von Aufständischen erfolgt sind, davon 2.400 gegen Koalitionstruppen. Und wissen soll die Öffentlichkeit offenbar auch nicht, dass es keine Alternative für die Straße zum Flughafen gibt, wenn man aus der Innenstadt und der "Green Zone" kommt oder dorthin will. Da hier, so der Bericht, viele Militärkonvois fahren müssen, sei die Straße ein "lukratives Gebiet", um Sprengsätze zu zünden und Opfer zu verursachen. Am meisten Vorfälle gebe es um 10 Uhr sowie um 16 Uhr, wenn Konvois vom oder zum Flughafen fahren. Vom November bis März seien an der Straße 135 Angriffe – ein Angriff pro Tag - ausgeführt worden, wobei nicht nur Sprengsätze eingesetzt wurden, sondern auch Selbstmordattentäter sich in Autos in die Luft sprengten, Beschuss mit Gewehren und Granaten erfolgte oder mehrere Waffen gleichzeitig verwendet wurden.

Neuere und effektive Anschlagsformen seien u.a. das Einpacken von Sprengsätzen in braune Papiertüten oder in Plastiktüten, Sprengsätze mit Zeitzünder, Verbergen der Sprengsätze mit Erde oder Tiermist im breiten Mittelstreifen, aber auch deren Anbringen unter dem Teer, Abwerfen von Sprengsätzen, die Sekunden später explodieren, von einem Fahrzeug oder einer Brücke. Weiter entwickeln würde sich auch der Einsatz von Vehicle-Borne Improvised Explosive Devices (VBIEDs), also von meist ferngezündeten Sprengsätzen in parkenden Fahrzeugen oder von Selbstmordattentätern ausgelösten Sprengladungen in fahrenden Fahrzeugen. Es sei praktisch unmöglich, solche mit Sprengstoff gefüllte Fahrzeuge zu erkennen, wenn sie gefahren werden. So würden vermehrt zwei Fahrzeugen eingesetzt, das erste öffnet die Bahn, das zweite wird von einem Selbstmordattentäter zur Explosion gebracht, wenn die Menschen zur Hilfe eilen. Beliebtes Ziel von Selbstmordattentätern seien die Konvois und Kontrollposten. Manchmal käme ein Fahrer an einen Kontrollposten und würde behaupten, er habe Verletzte dabei. Kämen dann die Soldaten, bringt er den Sprengsatz zur Explosion.

Warum viele dieser Details geschwärzt wurden, ist nur zu vermuten. Die Aufständischen und Terroristen dürften daraus nichts lernen, denn sie kennen ja die Taktiken, die wirksam sind und entwickeln sie weiter. Bleibt also eher die (heimische) Öffentlichkeit, die möglicherweise nicht erfahren soll, wie unsicher die Lage ist und wie wenig sich die Soldaten vor manchen Angriffen schützen können. So wird zwar nicht zensiert, dass sich die Zahl der Anschläge mit Sprengsätzen (IEDs) kontinuierlich seit Juni 2003 erhöht habe, gestrichen wurde jedoch, dass pro Anschlag ein Todesopfer zu beklagen ist, obwohl die Effizienz der Sprengladungen abgenommen habe. In der Woche vom 4. März habe es alleine 166 Vorfälle mit Sprengsätzen gegeben, 131 sind explodiert und haben 82 Todesopfer gefordert. Es gab zudem 12 Autobomben.

Aufgrund von Problemen mit VOIP funktionierte die Kommunikation zwischen Einsatzzentrale und den Soldaten an den Straßensperren nicht

Unkenntlich gemacht wurde auch, dass die meisten Angriffe in der Nacht zwischen 19 Uhr und 21 Uhr erfolgen. In der Zeit ereignete sich auch der Vorfall mit dem italienischen Fahrzeug. Von den sechs Kontrollposten gehört CP 541 zu den stärker gefährdeten. So habe es kurz vor dem Vorfall mit dem italienischen Fahrzeug zwei Schießereien in der Nähe des Kontrollpostens gegeben, der zudem stets von Aufständischen überwacht werden, wenn er besetzt ist. Auch als das Untersuchungsteam die Unfallstelle inspizierte, landete eine Granate in der Nähe. Die Gefährdung dient auch zur Begründung, warum der Tatort nicht gesichert wurde. Die beiden beteiligten Humvees, aus denen auf das Auto geschossen wurde, transportierten die verletzte Journalistin zu einem Krankenhaus. Da die Soldaten davon ausgingen, dass es sich um keinen Tatort handelte, wurde die Straße schnell geräumt. Daher ist nicht genau bekannt, wo das Fahrzeug zum Halten kam, auch die Entfernung vom Kontrollpunkt, Geschwindigkeit und Bremsspuren sind nicht mehr ausmachbar. Erst nachträglich wurde das Fahrzeug aufgrund von Zeugenaussagen an dem Ort abgestellt, an dem es gewesen sein soll, und dann fotografiert. Und zudem habe man die Szene nicht genau rekonstruieren können, weil der Aufenthalt dort eben so gefährlich war.

Die Straßenblockade zum Schutz des Konvois mit dem US-Botschafter musste unvorhergesehen eingerichtet werden, da dieser normalerweise mit dem Hubschrauber geflogen wäre. Schlechtes Wetter aber machte dies unmöglich, weswegen der Botschafter von der Green Zone über die Flughafenstraße zum Camp Victory gefahren werden musste. Dazu wurde an vier Kontrollposten Sperren für Auffahrten eingerichtet, die kurzfristig kein Fahrzeug passieren durfte. Angeblich wurde am CP 541 eine "Alarmlinie" 120 Meter vor der Sperre eingerichtet, an der Fahrzeuge durch einen Scheinwerfer und einen blendenden grünen Laserstrahl zum Stoppen gebracht werden sollten. 80 Meter vor der Sperre gab es die Warnlinie. Überfährt ein Fahrzeug diese Linie darf geschossen werden, zunächst in die Luft, dann auf den Motorblock.

Während der Blockade gab es offenbar technische Kommunikationsschwierigkeiten zwischen dem Kommando und den Soldaten an den Kontrollposten. Der VIP-Konvoi fuhr um 19 Uhr 45 von der Green Zone los und erreichte um 20 Uhr 10 Camp Victory. Auch als der Konvoi schon passiert war, fragten die Soldaten von CP 541 an, ob sie kurz die Sperre aufheben und ihre Fahrzeuge umstellen dürften. Länger als 15 Minuten in einer Stellung zu bleiben, so heißt es in dem Bericht, sei wegen möglicher Angriffe zu gefährlich. Das wurde aber selbst um 20 Uhr 30 noch nicht gestattet. Da hieß es, der Konvoi passiere die Stelle in 20 Minuten.

Seltsamerweise ohne Kommentar wird dann beschrieben, dass die Information über die Beendigung des VIP-Konvois vom Kommando nicht an die Einheiten gelangte. Funk wurde nicht benutzt, da dies zu gefährlich ist. Dadurch könnte ein Sprengsatz zufällig gezündet werden. Und die zweite Kommunikationsverbindung, Voice Over Internet Protocol (VOIP), hat offenbar nicht funktioniert. Das wurde im Dokument eingeschwärzt. Hier könnte auch der Grund dafür liegen, dass die Soldaten an den Kontrollposten nicht über das Fahrzeug mit den Italienern unterrichtet werden konnten. Von italienischer Seite wird bekanntlich behauptet, dass das US-Militär von dem Fahrzeug mit der befeiten Geisel unterrichtet worden war. Der fatale communication breakdown liest sich im Bericht so:

The 1-76 TOC had two means of communicating with 4th Brigade, its higher headquarters: Voice Over Internet Protocol (VOIP) and FM. The 1-76 FA Battle Captain was using only VOIP to communicate with 1-69 IN, but experienced problems with VOIP, therefore losing its only communication link with 1-69 IN, other than going through 4th Brigade. (Annex 97C). As a result, the Battle Captain was unable to pass updated information about the blocking mission either directly to 1-69 IN, or to 4th Brigade. He did not attempt to contact 4th Brigade via FM communications. (Annex 63C). Fourth Brigade, in turn, could not pass updated information to its major command, 3ID. (Annex 57C). Likewise, 3ID had no new information to pass to its subordinate command, 2/10 MTN. Finally, 2/10 MTN was thus unable to pass updated information to its subordinate command, 1-69 IN. (Annexes 51C, 52C).

(U) There is no evidence to indicate that 1-76 FA passed on the information about the VIP departure and arrival times to any unit. (Annexes 59C, 63C). As a result, A Company, 1-69 IN’s Soldiers were directed to remain in their blocking positions.

Multitasking als Problem

Von 19 Uhr 30 bis 20 Uhr 45 hatten die Soldaten an der Blockade "erfolgreich zwischen 15 und 30 Fahrzeuge" zum Stoppen und zur Umkehr veranlasst. Weil sie ihre Position nicht verändern durften, da die 4. Brigade von der Kommunikation mit dem Kommando abgeschnitten war, dürften sie hoch nervös gewesen sein. Der italienische Fahrer stand war ebenso wie Calipari über sein Handy in Kontakt mit einem italienischen Geheimdienstkollegen, der sie am Flughafen erwartete. Von der Blockade wussten die Italiener nichts, wie auch im Bericht steht. Angeblich soll der Fahrer mit 70-80 Stundenkilometer auf die Zufahrt zur Flughafenstraße gefahren sein.

Um 20 Uhr 50 sei der Wagen mit überhöhter Geschwindigkeit über die Alarmlinie gefahren, obgleich gewarnt durch das Scheinwerferlicht und den Laserstrahl. Nach dem Überqueren der Warnlinie hatte ein Soldat zuerst ein paar Warnschüsse abgegeben und dann mit beiden Händen vom Boden über den Beifahrersitz auf den Motorblock gezielt. Der Fahrer habe gerufen: "Sie greifen uns an", ohne zu wissen, wer schießt. Er habe gebremst, sich auf die Seite geworfen, das Fahrzeug kam kurz darauf zum Stillstand. Alles habe sich innerhalb von sieben Sekunden abgespielt. Nicht mehr als 40 Schuss seien abgefeuert worden, 11 hätten das Fahrzeug getroffen. Der Soldat, der geschossen hat, habe richtig gehandelt, heißt es im Bericht. Der Fahrer hingegen sei nicht nur zu schnell, noch dazu auf nasser Straße und in einer Kurve, gefahren, sondern wahrscheinlich auch durch Multitasking abgelenkt gewesen, was seine Reaktionszeit beeinträchtigt habe. Er telefonierte beim Fahren mit dem Handy, hinten unterhielten sich seine Passagiere, die Atmosphäre war aufgeregt, er wollte möglichst schnell zum Flughafen und versuchte, auf Gefahren zu lauschen. Ob er deswegen das Scheinwerferlicht und den Laser übersehen hat?

Bis zu dem Vorfall sei niemand beim US-Militär von den Italienern über die Befreiung der Journalistin und die Fahrt zum Flughafen informiert gewesen: "Not coordinating with U.S. personnel was a conscious decision on the part of the Italians as they considered the hostage recovery an Intelligence mission and a national issue."