"100 Euro sind genug"

Wenn Richter nicht nur ein Urteil, sondern die Wahrheit verkünden

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Es gibt Unternehmer, die längst nicht mehr von ihrem eigentlichen Produkt leben, sondern vom Abmahnen von Internet-Newbies, die sich dieses unwissentlich unerlaubt kopiert haben. Ein solcher Massenabnahmer bekam nun von einem Berliner Amtsgericht einen Dämpfer verpasst, das von seinen fortlaufenden Prozessen offensichtlich genug hatte.

Neben dem Marken- und dem Wettbewerbsrecht ist auch das Urheberrecht ein beliebtes Feld für Abmahner. Zwar ist das Urheberrecht an sich eine wichtige Sache, da es ja auch Autoren wie unsereins davor schützt, dass jemand einfach diesen Text kopieren und damit beispielsweise seine Homepage schmücken kann. Übrigens generell nicht zu empfehlen, denn selbst wenn der Autor nicht klagt, kann man sich hier in die Nesseln setzen, wenn der ursprüngliche Text beispielsweise nach einem Gerichtsentscheid geändert werden muss und man dann noch weiter das Original online stehen hat: Der Kläger findet ebenso leicht wie der Autor über eine Suchmaschine jede legale oder illegale Textkopie und wird diese abmahnen.

Laien passieren gerade in diesem Bereich viele unbeabsichtigte Fehler und dies wird mitunter gnadenlos verfolgt – mehr als das eigentliche vermeintliche Kerngeschäft. So hat es sich zwar mittlerweile weitgehend herumgesprochen, dass es Ärger gibt, wenn man seine Lieblings-CDs für alle Freunde und auch den Rest der Welt als MP3 zum Download auf die eigene Homepage stellt. Dass dies bei Musiktexten ("Urheberrecht ist ein schweres Schaf…!") ebenso ist, doch weit teurer abgemahnt wird, ist schon weit weniger bekannt und dass ein den Kopierschutz Macrovision ignorierender Videosignalverbesserer (Musikindustrie mahnt Ebay ab) seit September 2003 ebenso wie alte Computerliteratur (Teurer Spaß) gegen das Urheberrecht verstößt, was noch wesentlich härter verfolgt wird und das Entrümpeln des Kellers so nicht zu einer Aufbesserung des Taschengelds führt, sondern zu einer verpfuschen Teenagerzeit, gehört ebenfalls bislang nicht zur Allgemeinbildung. Vorher den Urheber zu informieren, hilft übrigens auch nicht weiter: Der kann statt „nein“ zu sagen nämlich auch erst ruhig zugucken und dann doch den Anwalt beauftragen (Aus der Maulwurf), wenn ihm das Spaß macht.

Musik und Karten online sind die häufigsten Abmahngründe

So richtig teuer wird es beim Marken- und Domainrecht (Falschmünzer im wilden Domain-Westen), die Masse der Fälle läuft jedoch beim Urheberrecht im Auftrag der Musikindustrie (Das neue Geschäftsmodell der Plattenindustrie?) und bei Stadtplänen (Ihr Weg zu uns...erer Abmahnung): Hier werden seit einigen Jahren täglich -zig praktisch identisch lautende Abmahnungen verschickt. Das ist nach deutschem Recht leider erlaubt, nur das mehrfache Abmahnen ein- und derselben Person in ein- und derselben Sache ist nach einer BGH-Entscheidung als „Serienabmahnung“ verboten – früher hat der Media-Markt so über Abmahnungen kleiner unabhängiger Händler durch möglichst viele seiner Filialen diese in den Bankrott treiben wollen.

Dabei sind die Gebühren dieser Fließbandabmahnungen in Sachen Musikindustrie und Landkarten künstlich hochgetrieben und schaffen teils Millionenumsätze. Manche Abmahner ohne echtes Geschäft gehen allerdings auch pleite, so zuletzt ein Abmahner von Erotikseiten, der der Ansicht war, dass der Jugendschutz in Deutschland noch nicht sicher genug seien.

Die Abmahner drohen dabei zwar stets mit der Einschaltung eines Gerichts, welche die Kosten noch weiter in die Höhe treibt. Scheinbar eine sehr sichere Sache, da die Abmahner in den Fällen Musik und Landkarten in der Sache meist im Recht sind – seltene Ausnahmen sind die Abmahnung der falschen Website oder andere Verfahrensfehler. Doch auch wenn die Gerichte meist für die großen Firmen und gegen die kleinen Urheberrechtssünder entscheiden, ist dies keinesfalls garantiert. Und eine Entscheidung zu Ungunsten des Abmahners kann dessen Geschäftsmodell ruinieren: Ebenso wie die Entscheidungen zu seinen Gunsten, mit denen er üblicherweise in Folgefällen vor Gericht anrückt und diesem nahe legt, diese einfach 1:1 zu kopieren (nein, Copy &Paste-Rechtssprechung ist bedauerlicherweise keine Urheberrechtsverletzung!) können zukünftig Abgemahnte mit Abmahn-Fehlschlägen vor Gericht erscheinen und den Richter bitten, doch lieber diese als Vorlage für seine Entscheidung zu verwenden.

Gerichtsurteile werden oft nur aus Vor-Urteilen abgeschrieben

Deshalb vermeiden Fließbandabmahner – was man als Laie gar nicht erwartet – normalerweise gerichtliche Auseinandersetzungen, sofern sie nicht gerade die betreffende Kammer einst selbst ins Leben gerufen haben, wie es beispielsweise im Fall der Markenrechtskammer 33 am Landgericht Köln geschehen ist. Sie holen sich nur einmalig für sie günstige Entscheidungen an einer ihnen gewogenen Kammer und legen diese später Abgemahnten gleich zur Abschreckung vor. Lassen diese sich davon nicht beeindrucken oder sind sie einfach so unglaublich wütend oder unwissend, dass sie trotz schlechter Chancen bereit sind, vor Gericht zu gehen, so wird vom Abmahner, der in Internetdingen ja die freie Auswahl hat, wieder das bereits „bewährte“, ihm wohl gesonnene Gericht gewählt.

Und dies wurde einem Abmahner nun zum Verhängnis: Eins „seiner“ Gerichte, nämlich das Amtsgericht Charlottenburg in Berlin, hatte die ständigen Gerichtsverfahren um immer dieselben Dinge offensichtlich leid und sprach am 11. April 2005 in der Entscheidung mit dem Aktenzeichen 236 C 282/04 ungewohnten Klartext. Ein Berliner Stadtplananbieter hatte ein Kölner Unternehmen wegen des üblichen Vergehens abgemahnt, Anfahrtshinweise mit zwei „geliehenen“ Stadtplanausschnitten verziert zu haben und wollte dafür 1220 Euro und 1620 Euro „Straflizenz“ für die beiden Kartenausschnitte und 457,40 Euro Abmahngebühren für die beauftragte Hamburger Anwaltskanzlei, zusammen also knapp 3300 Euro plus Zinsen. Das Kölner Unternehmen war dagegen der Ansicht, der Stadtplandienst sei nicht Urheber und verlange zudem überhöhte Gebühren.

In punkto Urheberrechte korrigierte das Gericht zwar den Kölner und stellte fest, dass der Kläger über ein relativ kompliziertes Konstrukt tatsächlich die Rechte an den verwendeten Stadtplanausschnitten geltend machen könne. Doch seien ähnliche digitalisierte Pläne auch weit billiger legal zu erwerben, so für 35 Euro jährlich bei Tele-Shop-Info, bei Mapquest kann ein kostenloser Link gesetzt werden und selbst das klagende Unternehmen biete Karten-Software für PDAs bereits zwischen 7,90 und 14,90 Euro an, sodass die Verhältnismäßigkeit zu einem mehr als 200mal so hohen Tarif für die einjährige Online-Nutzung eines einzigen festen Ausschnitts nicht mehr gegeben sei.

Gericht brandmarkt überhöhte „Straflizenzen“

Deshalb sprach das AG Charlottenburg dem Stadtplananbieter lediglich 300 Euro Schadensersatz aus § 97 Ansatz 1 des Urheberrechtsgesetzes zu: 200 Euro für die größere, 100 Euro für die kleinere Kachel:

Das Gericht hat den Schaden gemäß § 287 Absatz 1 Satz 1 ZPO geschätzt. Denn der Klägerin ist es nicht gelungen, einen höheren Schadensersatz zur Überzeugung des Gerichts auch nur darzutun oder gar nachzuweisen. Die Höhe des Schadensersatzes aus § 97 Absatz 1 UrhG hat die Klägerin im Wege der Lizenzanalogie berechnet. Hierbei wird zugrunde gelegt, was die Klägerin im Falle des Abschlusses eines Lizenzvertrages durch die seitens der Beklagten erfolgte Nutzung hätte an Lizenzgebühren erzielen können […].

Das ist zwar eine grundsätzlich zulässige und praktisch zu vertretende Methode […]. Die Klägerin erzielt jedoch nicht die von ihr genannten Lizenzverträge in der freien Verhandlung mit Interessenten […].

AG Charlottenburg

Für die Abmahnkosten selbst stutzte das Gericht die Forderungen des Stadtplananbieters auf weitere 100 Euro. Insgesamt waren also statt 3297,40 Euro nur 400 Euro zu zahlen, ebenso hatte der klagende Stadtplananbieter 88% der Gerichtskosten zu zahlen und der beklagte Kartendieb nur 12%.

Nachdem die Beklagte die strafbewehrte Unterlassungserklärung wenn auch in modifizierter Form abgegeben hat, hat sie auch die Kosten dafür zu erstatten. Diese belaufen sich allerdings nicht auf die von der Klägerin geltend gemachten Rechtsanwaltsgebühren, sondern vielmehr auf eine angemessene Aufwandspauschale, die das Gericht gemäß § 287 ZPO auf € 100 schätzt. Denn zu ersetzen sind lediglich die erforderlichen Aufwendungen […].

Erforderlich ist das, was der verständige Abmahner aufwenden würde, um den Störer angemessen anzusprechen und von weiteren Verstößen abzuhalten, ohne dass gerichtliche Hilfe erforderlich ist. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin unstreitig eine Vielzahl von Abmahnungen verschickt, was sich auch an den Verfahrenszahlen alleine bei dem Amtsgericht Charlottenburg ablesen lässt – schließlich ist zu berücksichtigen, dass auch nur ein Bruchteil der Abgemahnten schließlich auf Zahlung von Schadensersatz verklagt werden muss, weil viele Störer alleine aufgrund der Abmahnung entweder einen Lizenzvertrag schließen oder den Schadensersatz zahlen.

Hinzu kommt, dass es sich um den immer gleichen, rechtlich einfach gelagerten Sachverhalt handelt – die Abmahnung betrifft jedes Mal das unberechtigte Herunterladen und Veröffentlichen von Kartenmaterial. Hierbei ist davon auszugehen, dass die Ermittlung der Verletzer im Internet vermutlich aufwändiger ist als die Erstellung der Abmahnung, die als reines Formschreiben auch von der Klägerin selbst zu dem genannten Aufwand, der bereits großzügig geschätzt worden ist, ausgedruckt und versandt werden kann. […]

Daher erfolgt die Beauftragung des Rechtsanwaltes nicht mehr im Interesse der beklagten Urheberrechtsstörerin und ist daher auch von dieser auch nicht mehr zu ersetzen, sondern alleine im Interesse der Klägerin […]. Die Klägerin ist auch aufgrund ihrer langjährigen, von ihr bereits in der Klageschrift beklagten Erfahrung mit Internetpiraterie selbst im Stande, die erforderliche Abmahnung zu erstellen. Hierfür ist lediglich die Erstellung eines entsprechenden Musterbriefs, die die Klägerin aus den ihr vorliegenden zahlreichen anwaltlichen Abmahnschreiben zusammenstellen und abspeichern kann, erforderlich.

Für die Erstellung eines einfachen Briefs unter Beifügung einer vorgefertigten strafbewehrten Unterlassungserklärung einschließlich der Ermittlung von dem Inhaber der entsprechenden Homepage und dessen ladungsfähiger Anschrift ist eine Pauschale von € 100 angemessen, aber auch ausreichend, denn hierbei handelt es sich in der Hauptsache um gehobene SekretärInnen-, allenfalls AssistentInnentätigkeit, die auch nicht länger als insgesamt 30 Minuten (eher deutlich weniger) in Anspruch nehmen sollte. Porto und Papier sind ebenfalls berücksichtigt. […]

AG Charlottenburg

Es ist zwar durchaus möglich und wahrscheinlich, dass der Stadtplanabmahner in Berufung geht und dieses schöne Urteil dabei möglicherweise wieder teilweise „kassiert“ wird. Doch ändert dies nichts daran, dass ein deutsches Gericht in klaren Worten einem Massenabmahner eine deutliche Abfuhr für sein Geschäftsmodell der überhöhten „Straflizenzen“ und des zusätzlichen Abkassierens durch eine externe Anwaltskanzlei erteilt hat, die auch für zukünftige Urheberrechtsstreits und Abmahnungen relevant bleiben wird.