Still, stark und stoisch

Auch unter Beschuss? No! The Times they are a-changing

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Die Zeitungen stecken in einer Krise (Schon wieder eine Revolution verschlafen?). Einerseits machen ihnen die kostenlosen Nachrichtenangebote im Netz zu schaffen, anderseits beklagen sie einen deutlichen Glaubwürdigkeitsverlust in den letzten beiden Jahren. Während "Online-Enthusiasten" einer Studie zufolge Nachrichtenquellen im Internet mehr vertrauen als Fernsehen und Zeitungen, bekundete die Hälfte der Zeitungsleser wenig oder gar kein Vertrauen in das, was sie in ihrer Lieblingszeitung lesen. Für die New York Times Anlass, um über neue Strategien zur Vertrauensbildung nachzudenken.

Die New York Times ist nicht einfach eine berühmte Zeitung. Sie ist vielleicht die berühmteste und gleichzeitig renommierteste Zeitung, Morgenpflichtlektüre für Hausfrauen, Wirtschaftsbosse, Journalisten, Taxifahrer, Politiker. Und das nicht nur in den Vereinigten Staaten: auch in Europa gilt die Times als DER Wegweiser durch die Wirren von Kunst, Kultur und Politik. Und selbst dieses ehrwürdige Schlachtross ist jetzt in Bedrängnis geraten.

Schon einmal hatte die NYT ein internes Komitee gebildet, um ihren angeschlagenen Ruf zu retten. Im Sommer 2003 setzen sich leitende Redakteure zusammen, um auf einen der größten Skandale in der Geschichte der New York Times (vgl. Nicht nur die New York Times in Not) zu reagieren. Ausgelöst hatte sie ein junger Reporter namens Jayson Blair mit erfundenen Reportagen und Stories (vgl. Der Fake-Journalismus). Ging es damals nach den Worten des neu eingesetzten Chefredakteurs Bill Keller vor allem darum, " das Haus in Ordnung zu bringen", sollte das jetzige Komitee Antworten "auf einen breiteren Angriff auf die Glaubwürdigkeit von seriösen Nachrichtenmedien" finden.

Im Herbst letzten Jahres wurde dafür von Keller ein Komitee aus leitenden Redakteuren, Reportern und anderen Mitarbeiter eingesetzt. Was sich die Mannschaft unter Leitung von Allan Siegal an Lösungen (PDF-File) ausdachte, verrät einiges darüber, wie sehr das Internet und die dadurch entstandenen neuen Kommunikationsformen Zeitungen unter Druck setzen.

Man will mehr Nähe zu den Lesern, so könnte man die Ratschläge des Komitees auf eine kurze Formel bringen. Kundenzentrierter arbeiten heißt das im Business-Jargon, umgesetzt werden soll die Nähe durch eine intensivere Nutzung von Möglichkeiten, die das Internet zur Verfügung stellt.

Die harte Kritik an der Zeitung, die während des amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfes besonders heftig und laut war, war für den Chefredakteur Keller ein besonders heikler Punkt: Zeigte sich an diesem Phänomen seiner Meinung nach, einmal wie die Kritik durch das Internet verstärkt, quasi mit einem Turbo aufgeladen wurde, zum anderen, dass die konservative Haltung " "Still, stark und stoisch auch unter Beschuss" " nicht länger die adäquate Reaktion dafür ist. Was schon bei Murdock's Rede über notwendige Entwicklungen der Zeitungen anklang (vgl. Schon wieder eine Revolution verschlafen?), findet sich als Haltung auch bei den Vorschlägen des NY-Times-Komitees wieder: Statt den Leser von oben herab zu belehren, sollen die Journalisten " wie es die "Citizen-Media"-Philosophie der Internetgeneration verlangt " "transparent" informieren und für Kritik erreichbar sein.

In der Praxis sieht das so aus: Die Times soll eine regelmäßige Kolumne einrichten, in der leitende Redakteure Einblick in die Arbeit der Zeitung geben; die Redakteure sollen für Leser viel leichter als bisher per Email zu erreichen sein; wichtige Dokumente für einen Artikel und Interview-Transskripte sollen per Link im Netz abrufbar sein und natürlich soll auf Blogs zurückgegriffen werden, um den journalistischen Service zu erweitern. Ein eigens dafür entwickeltes Bewertungssystem soll der Nachrichtenredaktion dabei helfen, ein Gespür dafür zu bekommen, wann es Zeit ist, auf Kritik zu reagieren. Man will die Zeitung und deren Leser in eine gesprächsähnliche Verbindung bringen, so resümiert das unermüdliche Sprachrohr der "Citizen-Media"- Maximen, Jeff Jarvis, die Vorschläge der NYTimes-Redakteure.

Doch das ist nur ein Aspekt der angestrebten Veränderungen: Die Zeitung soll künftig die Berichterstattung über regionale Belange " "cover the Country in a fuller way" " intensivieren (auch hier eine Parallele zu Murdock's Forderung "Local! Local!Local!") und mehr über Religion berichten. Außerdem soll, was in journalistischen Kreisen zu heftigen Debatten führen wird, die Nutzung von anonymen Quellen zurückgeschraubt werden. Dieser "Reform-Punkt" ist sicher im Zusammenhang mit einem schwebenden Gerichtsverfahren gegen die Pulitzer-Preis-Trägerin und NYT-Star-Reporterin Judith Miller zu sehen, deren unkritische Berichterstattung zum Irak-Krieg die Zeitung in Misskredit (vgl. Seltene Selbstanzeige) gebracht hatte; in einem anderen Fall, in dem es um die Aufdeckung einer CIA-Agentin ging, wollte Miller ihre anonyme Quelle nicht preisgeben, weshalb ihr eine Gefängnisstrafe angedroht wurde.

Ungefähr 3.200 Fehler musste man im letzten Jahr bei der Times nachträglich korrigieren, weswegen man ein ausgeklügeltes System schaffen will, das solchen Fehlern schneller, also vor der Veröffentlichung auf die Spur kommt.