Bildermaschine für den Krieg

Über Geschichte, Ziele und Kritik der Pentagon-Filmarbeit

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Aktuell werben die Litfasssäulen in unseren Städten für ein Spiel, das 10.000 Jahre der Zivilisationsgeschichte als "Battlefield Earth" rekonstruieren will. Bereits 1988 konstatierte Georg Seeßlen1: "Noch nie in der Geschichte der Menschheit ... war die Wahrnehmung, war alle Information und alle Kommunikation so sehr vom Kriegerischen bestimmt, noch nie gab es eine solche Allgegenwärtigkeit von Militär und Krieg." Mehr als 15 Jahre später haben wir allen Anlass zu fragen: Wer produziert eigentlich die uferlosen Bildszenarien, die bis hin zum äußersten Universum das Programm "Krieg" als Problemlösung anpreisen?

Vom Krieg, so meinte auch ein Francis Ford Coppola, soll eine immerwährende Faszination ausgehen. An sich wäre das hinreichender Erklärungsgrund für die entsprechende Bedürfnisbefriedigung durch den "freien Markt". Doch Medienmonopole sind in einem Konzerngeflecht angesiedelt, in dem auch Rüstungsproduzenten und andere Kriegsprofiteure den Ton angeben.2 Zumal wenn das Militär selbst ganz am Ende eines Filmabspanns auftaucht, sollte der Zuschauer Verdacht hinsichtlich des "freien" Medienmarktangebotes schöpfen.

Full Metal Jacket

Dass es speziell bei den Kooperationen zwischen Hollywood und dem Pentagon keineswegs um harmlose Gefälligkeiten an die Filmindustrie geht, hat sich inzwischen herumgesprochen ("Militäroperation Hollywood"). Bereits Ende 2001 diagnostizierten bei uns Filmrezensenten und Feuilletonschreiber, das sonst eher "liberale" Hollywood befinde sich auf Kriegskurs. Anlass war die Berichterstattung über Treffen zwischen Mitarbeitern der US-Administration und führenden Vertretern der Unterhaltungsindustrie, in deren Zusammenhang das "Komitee Hollywood 9/11" und der Plan einer "Arts and Entertainment Task Force" genannt wurden. Zum Teil illustrierten Autoren eine neue kriegerische Tendenz mit Filmtiteln, deren Produktion durchweg in die Zeit vor dem 11.9.2001 fällt.

Im letzten Jahr sorgten gleich zwei Fernsehdokumentationen für mehr Aufklärung.3 Die Filmbüros des Pentagon sind keine neuen Erfindungen des Antiterror-Krieges. Die Symbiose zwischen US-Militär und US-Filmindustrie, die beide zu den weltweit einflussreichsten Komplexen zählen, kann auf eine hundertjährige Geschichte zurückblicken.4 Neu ist lediglich das gesteigerte Interesse der Weltöffentlichkeit an dieser Liaison.

Die Anfänge: Haubitzen und Filmkurbel

Die Indienstnahme von Wort, Musik und Bild für Kriegspropaganda ist so alt wie das jeweils benutzte Medium: Rede und Dichtung, Theater, Architektur, Bildkunst in Skulptur, Ölgemälde oder Karikatur, schließlich Buch, Flugschrift bzw. Zeitung, Foto, Film, Radio, TV, Internet usw. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts findet die Kriegsfotografie ihre ersten Schauplätze: Texas-Krieg (1846/48), Krim-Krieg, US-amerikanischer Bürgerkrieg, deutsche Reichseinigungskriege und Kampf um die Pariser Kommune. 5

Militärtechnologie und die Revolution der Bildtechnologie gehen Hand in Hand. Das Trommelmagazin früher Maschinen-Haubitzen und die Filmspule der ersten Kameras liegen nicht weit auseinander. 1894 kommt es zur ersten Leinwandprojektion laufender Bilder. Die Geburtsstunde des Kriegsfilms lässt nicht auf sich warten. 1898 zeigt der Propagandastreifen Tearing Down The Spanish Flag in 90 Sekunden, wie US-Soldaten in Havanna die spanische Flagge einholen, um die US-amerikanische zu hissen.

Einen fiktionalen und doch hochaktuellen Blick auf die Ursprünge von Militainment speziell im Kino wirft die HBO-Produktion Pancho Villa (2003). Erbracht wird diesem Film zufolge bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Beweis, "dass das Objektiv mächtiger als das Schwert ist". Der mexikanische Rebell Pancho Villa wundert sich, dass von den vielen Toten nur zwei kleine Filmrollen übrig bleiben. Die Zuschauer der frühen Live-Aufnahmen vom Krieg meinen allerdings, "die Menschen wären besser gestorben, wenn der große Griffith selbst Regie geführt hätte".

Durchbruch für das Kino im Zweiten Weltkrieg

In den Filmpalästen läuft die Propagandamaschine für militärischen Massenmord in zwei Weltkriegen zur Höchstform auf - vor allem auch durch deutsche "Pionierleistungen".6 Schon während des Ersten Weltkrieges werden entscheidende Weichen gestellt für das moderne Hollywood der industriellen Massenkultur, das für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts eine kommerzielle Kulturhegemonie der USA begründen wird.

Der eigentliche Durchbruch für die US-amerikanische Bilderfabrik fällt zusammen mit dem Eintritt der Vereinigten Staaten in den Zweiten Weltkrieg. Die bereits erprobte Kooperation von Staat, Militär und privater Kulturindustrie findet in der Kriegsfilmproduktion zu Strukturen, die ohne Verstaatlichung funktionieren und im Grunde bis heute ihre Effektivität nicht eingebüßt haben.

Auch nach Ende des Weltkrieges blieb eine enge Verbindung zwischen dem Department of Defense und dem international wichtigsten Bildproduzenten in Hollywood bestehen. Von den geschätzten 5000 Kriegsfilmen, die zwischen 1945 und 1965 entstanden, wurden um die 1200 mit Hilfe des Kriegsministeriums produziert.

Gerhard Paul: Krieg und Film im 20. Jahrhundert

Vietnam: Verstimmungen zwischen Pentagon und Hollywood

Der reaktionäre Vietnamkriegsfilm The Green Berets (1968) von und mit John Wayne fällt noch in diesen Traditionsstrang. US-Präsident Johnson ist über das Drehbuch bestens informiert. Das Militär steckt über Dienstleistungen hohe Summen aus Steuergeldern in das Projekt und bastelt mit an der Endfassung. Als der Kongressabgeordnete Benjamin S. Rosenthal Aufklärung verlangt, bestreitet das Pentagon seine inhaltliche Beteiligung.

Danach fördern die US-Streitkräfte - mit Ausnahme der Navy - zunächst keine Kriegsfilmproduktionen mehr. Hollywood selbst sieht zeitgleich zum zigtausendfachen Sterben junger US-Amerikaner auch keine entsprechende Publikumsnachfrage. 1977 erhalten Titel, die wie Heroes oder die Musical-Verfilmung Hair keine explizite Anklage erheben, wieder eingeschränkte oder volle Unterstützungsleistungen. Ende der 70er Jahre kommen jedoch auch einige "kritische" Vietnamkriegsfilme wie Coming Home (1978), The Deer Hunter (1978) oder Apokalypse Now (1979) ins Kino, die das Genre nachhaltig prägen werden.7 Das Militär sieht, dass ihm nicht genehme Drehbücher so oder so - auch ohne seine Kooperation - realisiert werden. Man diskutiert die strengen Richtlinien der Filmförderung: Ist es nicht besser, Einfluss auf ein unbequemes Drehbuch bzw. Militärimage auszuüben als sich durch eine pauschale Ablehnung jede Möglichkeit zu einer Intervention zu nehmen? Ein Aspekt, den man "Schadensbegrenzung" nennen könnte, kommt als Zielvorgabe stärker ins Spiel.

In der zweiten Hälfte der 80er Jahre werden sich Pentagon-geförderte Filme wie Hamburger Hill (1987) oder Coppolas peinlicher Pro-Militär-Streifen Gardens Of Stone (1987) unter eine zweite Welle eher kritischer Vietnamkriegstitel (z.B. Full Metal Jacket; Platoon) mischen, bei denen eine Militärassistenz verweigert oder nicht erbeten worden ist. Zu Hamburger Hill teilt Regisseur John Irvin8 arglos mit:

Das Militär hat uns sogar unterstützt. [...] Hätten wir diese Hilfe nicht gehabt, hätten wir mit dem geringen Budget von sechseinhalb Millionen Dollar den Film so gar nicht realisieren können.

Die unterstützten Titel betreiben Reklame für die Streitkräfte und spiegeln Kritik lediglich vor. Sie werden dennoch bis heute als "Antikriegsfilme" gehandelt. 1987 genießen auch The Hanoi Hilton über das Martyrium eines US-Soldaten im Gefängnis der vietnamesischen Feinde sowie der thematisch verwandte Titel Bat* 21 den Vorzug voller Kooperation: Die Supermacht zeigt sich als leidendes Opfer. Genehm ist auch der therapeutische Veteranenstreifen Jacknife (1988).

Top Gun: Die Rehabilitierung des Militärfilms

Anders als der Film An Officer And A Gentleman (1982), der ein neues Image des Militärs im Kino bereits angekündigt, erhält die Bruckheimer-Produktion Top Gun (1985) uneingeschränkte Militärunterstützung unter Nachweis im Filmnachspann und wird ein Riesenerfolg für die Rekrutierung. Top Gun ist Prototyp der neuen Kooperationsära von Hollywood und Pentagon, die mit einer Verherrlichung der US-Militärtechnologie beginnt. Captain Philip Strub, Chef der Pentagon-Unterhaltungsabteilung, bekennt9:

Top Gun war meiner Meinung nach ein Meilenstein der Kinogeschichte, weil der Film das Militär als akzeptables Thema in einem positiven Kontext rehabilitierte. Er bewies mir und vielen anderen Menschen, dass man mit einem positiven Bild des amerikanischen Militärs Geld verdienen kann, ohne in Hollywood zum Ausgestoßenen zu werden. Ich behaupte nicht, dass dies der erste Film dieser Art war, aber er war der wichtigste, denn er stand für einen Wandel der öffentlichen Meinung.

Dr. Lawrence Suid sieht10 in diesem Auftakt gar eine wesentliche Vorbereitung der US-amerikanischen Bevölkerung auf den Golfkrieg 1991:

'Top Gun' also in large measure, in my view, prepared the American people for the Gulf War. Before the completion of the rehabilitation, the American people had more or less decided the United States military couldn't do what it said it could do. 'Top Gun' showed that we could shoot down airplanes, that our aircraft carriers could go anyplace, and that our pilots were the best. And so, when the Gulf War comes along, there's no reason for any American civilian to believe that we can't beat Saddam Hussein.

Dass der "stählerne Adler" bald wieder fliegen wird, kündigen freilich weitere Titel an, so etwa Iron Eagle I und II (1985/1988). Noch vor dem Golfkrieg verklärt der mit Pentagon-Hilfe gedrehte Flight Of The Intruder (USA 1989) rückwirkend Nixons Massenbombardements über Südostasien, die einst zu einem Tiefstand für das Ansehen der USA in der Welt geführt hatten. Die These dieses Milius-Werkes: Den Luftkrieg muss man radikal - ohne diplomatische Skrupel - führen, dann werden die "Richtigen" getroffen und Unschuldige bleiben verschont.

Tabu Golfkrieg 1991

In der ersten Hälfte der 90er Jahre ist die Symbiose Hollywood-Pentagon weitgehend saniert. Das zeigen 1994 z.B. die Militärkomödien In The Army Now oder Renaissance Man. Im Gegensatz zur zwei Jahre später abgelehnten Militärklamotte Sergeant Bilko erhalten diese beiden Titel "full cooperation". Der Kalte Krieg ist bereits Historie (The Hunt For Red October 1990) oder wird als Sorge um den Handel mit alten Waffenbeständen der UdSSR erinnert (GoldenEye 1995, Tomorrow Never Dies 1997).

Sehr auffällig ist die Abstinenz der Pentagon-Filmförderung bezogen auf das Filmthema "Golfkrieg 1991", soweit es die Kinoleinwand betrifft. Der wirkliche Grund dafür liegt wohl kaum in der asymmetrischen Konstellation, die den Schauplatz für das Kriegsfilmgenre uninteressant macht. Die politische Konstruktion dieses Krieges durch die US-Administration11 und die Kriegsverbrechen der U.S. Army im Rahmen der Operation Desert Storm12 sind innerhalb der Vereinigten Staaten kaum bekannt. Die Propaganda konnte 1991 der Weltöffentlichkeit mit einigem Erfolg suggerieren, die vom Ersten Weltkrieg bis hin zu Vietnam potenzierten Zivilopferanteile gehörten jetzt endgültig der Vergangenheit an.

Die Reanimation des Kriegsschauplatzes Irak im Kino hätte bei zu kurzem Zeitabstand schlafende Hunde wecken und die gelungene Inszenierung eines High-Tech- & High-Ethics-War ohne Blut schrittweise entlarven können. Zu bedenken gilt es für die zweite Hälfte der 90er Jahre auch, ob bei der "unsichtbaren" Fortführung des Luftkrieges und bei Planungen für eine neuerliche Militäroperation im Umfeld des "Iraq Liberation Act 1998" eine massenmediale Darstellung des Vorläuferkrieges opportun gewesen wäre. Was US-Filme oder Games in diesem Zeitraum hingegen bieten, sind Hinweise auf die bleibende Gefahr, die von Saddam Hussein ausgeht. Der Diktator leistet für die Kriegspropaganda eines ganzen Jahrzehnts gute Dienste.

Kino-Lehrplan für eine "neue Weltordnung"?

Die Ergebnisse meiner Studie "Kino der Angst"13 legen nahe, im Zuge dieser Entwicklung von einem regelrechten Lehrplan im Pentagon-geförderten Kriegskino zu sprechen. Mitte der 90er Jahre finden Antiterror-Filme wie True Lies (1994), Executive Decision (1995) und Airforce One (1996) Wohlgefallen. Im Vorfeld des Jugoslawienkrieges ist der Zweite Weltkrieg auf der Leinwand bereits als "The best war ever" verankert (man mag darüber streiten, ob ein Schauplatz mit mehr als 60 Millionen Toten angemessen als "der beste aller Kriege" bezeichnet werden kann). Hernach jedoch verlässt Pearl Harbor (2001) das Befreiungspathos und propagiert ohne die geringsten Hemmungen Rache (gezeigt wird im Vergeltungsteil u.a. ein Selbstmord-Kommando der US-Luftwaffe über Tokio). Zugleich verschleiert dieses hochgerüstete Staatskunstwerk alle unbequemen Fragen zum behandelten Schauplatz, die das Kino mit Tora! Tora! Tora! 1969 eigentlich schon gestellt hatte.

Die Versuche des Pentagon, durch Kooperation bei Filmen die Geschichte des - auch kommerziell erfolgreichen - "kritischen" Vietnamkriegskinos umzuschreiben, haben mit We Were Soldiers (2001) vorerst einen Gipfelpunkt erreicht. Transportiert wird ein zeitloses Heldenideal. Der Film hat es schon nicht mehr nötig, beim Thema "Vietnam" irgendwelche Rechtfertigungen zu liefern. Die gesponserten Re-Inszenierungen von Militäroperationen der neunziger Jahre zeigen humanitäre Weltpolizeieinsätze: Hungerhilfe in Somalia (Black Hawk Down, 2001), "Nazijagd" in Bosnien (Behind Enemy Lines, 2001) oder - gänzlich fiktional - den Schutz schwarzafrikanischer Christen vor islamischen Rebellen (Tears Of The Sun, 2003).

Zwischen 1998 und 2003 bereiten staatlich begünstigte Katastrophenfilme wie Armageddon, Deep Impact oder The Core das Publikum auf eine neue Generation von Atomwaffen vor (und werben gleichzeitig für einen globalen Primat des US-Präsidenten). Oberflächlich befand die Kritik zunächst, solche Titel seien Platzhalter für die nicht mehr gegebenen Bedrohungsszenarien des Kalten Krieges. Die Botschaft lautet indessen: Tief eindringende nukleare Erdpenetratoren sind ungefährlich und unerlässlich zur Rettung der Erde (bevor ein Protest gegen neue Zukunftswaffen laut werden kann, hat das Kino sie schon längst in militärgeförderten James-Bond-Titeln etc. als Standard präsentiert).

Armageddon

Bezeichnend ist die Beteiligung der Streitkräfte bei Filmen, die unter dem Vorwand antirassistischer Inhalte Rekrutierungsbotschaften des Militärs an "ethnische" Minderheiten transportieren: The Tuskegee Airmen (1995), Men Of Honor (2000), Windtalkers (2002) und Antwone Fisher (2003). Solche Streifen antworten auch auf die Rassenunruhen der 90er Jahre. Sie versprechen vor allem Afro-Amerikanern materielle Sicherheit, Karriere und gesellschaftliche Anerkennung, wenn sie sich auf die tödlichen Schlachtfelder der US-Kriege begeben.

Selten bedacht wird, dass Filmproduktionen mit militärischen Kooperationspartnern Folter, Geiselerschießung oder Geheimdienstmorde ganz indifferent als Methoden vorstellen (z.B. GoldenEye, Tomorrow Never Dies, Patriot Games, Clear And Present Danger, Rules Of Engagement, The Sum Of All Fears). Rules Of Engagement (2000) gehört zu den Filmen, die mit Schützenhilfe des Pentagon Völkerrechtsnormen aushebeln und sich in großer Gleichgültigkeit gegenüber Ziviltoten eines anderen Kulturkreises üben. Dieses Militärgerichtsdrama zeigt wie das ebenfalls vor den Terroranschlägen des 11.9.2001 produzierte Somalia-Epos Black Hawk Down Menschen eines islamischen Landes vorzugsweise als feindselige Masse.

Gutes Timing im Kriegskino ab 2001?

Archaische oder futuristische Kriegsmythen und Kriegstheologien steuert die Unterhaltungsindustrie auch ohne Sponsering aus dem Pentagon bei. Besonders ins Auge fällt z.B. die Fortsetzung von The Matrix, den Peter Sloterdijk als den einzigen philosophisch relevanten Film des Jahrgangs 1999 bezeichnet hat.14 Der Auftakt zur Trilogie entwickelt eine Befreiungsbotschaft für das Individuum. Nach dem Vorbild der antiken Gnosis wird ein Schlupfloch aus der massenkulturellen Gleichschaltung und Entfremdung gesucht. Doch das subversive Untergrundnetz des Cyberspace verwandelt sich vier Jahre später unversehens in einen Militärapparat mit reanimierten Staatsorganen (Senat etc.). Teil II und III inszenieren 2003 nichts anderes als einen äußeren "Krieg zwischen Gut und Böse".

Politische Filmkritik sollte im Überblick besonders auch das Timing des Kriegskinos näher unter die Lupe nehmen. Beim Blick auf die Programmplanung kann man nur staunen, wie Kino- oder Fernsehproduktionen mit schmutzigen Bomben und patriotischen Epen dem Antiterror-Krieg vorauseilend zur Seite stehen.15 Passend zum Afghanistankrieg und im Vorfeld des Angriffs auf den Irak waren große Kriegsfilm- und Terrorproduktionen abrufbar: Pearl Harbor (2001), Band Of Brothers (2001), We Were Soldiers (2001), Behind Enemy Lines (2001), Collateral Damage (2001), Black Hawk Down (2001), Windtalkers (2001/2002) und schließlich The Sum Of All Fears (2002). Diese Filme sind - außer Collateral Damage - durchweg mit Militärunterstützung realisiert worden und liefen im US-Kino - mit Ausnahme von Pearl Harbor und der im September 2001 bereits angelaufenen TV-Serie Band Of Brothers - erst nach Beginn der Afghanistan-Bombardierungen.

Ab 2003 präsentierte der von der Pentagon-Unterhaltungsabteilung protegierte Film jedoch entweder eine überschaubare Operation von acht Elitekämpfern in Afrika (Tears Of The Sun), die Fernsehversion einer Heldeninszenierung für den Irakkrieg (Saving Jessica Lynch) oder in die Zukunft verlegte Katastrophenszenarien (The Core, The Day After Tomorrow).

Das übrige Kino lieferte dann zeitgleich zu absehbaren "Komplikationen" im Irak keine realistischen Kriegsbilder über das Sterben, sondern unverdächtige Historien- und Sagenstoffe (Master And Commander, The Last Samurai, King Arthur), eine Cowboy-Mission im Mittleren Osten des 19. Jahrhunderts (Hidalgo), antikes Imperial-Entertainment (Troy, Alexander), das reaktionäre "Marionettentheater" Team America: World Police, in dem alle Kriegsgegner aus Hollywood geköpft oder sonst wie eliminiert werden, und familientaugliche Sympathiewerbung für das angeschlagene Supermacht-Heldengeschäft (The Incredibles).

Militainment-Sortimente und globale Unterhaltungshegemonie

Gleich nach den Rüstungsgütern bestreiten die Produkte der Unterhaltungsindustrie den zweitwichtigsten Exportsektor der Vereinigten Staaten. Kinoleinwand, TV-Bildschirm, DVD-Kollektionen, Videospiel-Konsolen, Musik-CDs mit den neusten Heldensongs, Buchprodukte und andere vertikale Sortimentergänzungen transportieren auf dem ganzen Globus die Botschaft eines Blockbusters.

Der Chef der Pentagon-Unterhaltungsabteilung begrüßt ausdrücklich die Möglichkeit, sich über ein "so machtvolles Medium" an die Zuschauer wenden zu können. Kino und Fernsehfilme sind nach seiner Überzeugung vielleicht bedeutsamer für die "öffentliche Meinung" als die Nachrichtenmedien. TV-Produktionen von "eingebetteten" Filmteams unter Obhut der U.S. Army geben sich als objektive Dokumentationen von der Front.

Zu den eigenen Angeboten des Pentagon gehören inzwischen u.a. Kabelsenderprogramme, Kinotrailer und PC-Games. Im Bereich der Computersimulationen ist die Kooperation von Militär und privatwirtschaftlicher Kreativtechnologie längst institutionalisiert. Die Verwertungskreisläufe gehen in beide Richtungen. Spiele-Konsumenten auf dem ganzen Globus finanzieren - ob sie wollen oder nicht - Innovationen für den modernen Krieg.

Die Förderpraxis und die Argumente der Kritiker

In den letzten Jahren fällt immer mehr Licht hinter die Kulissen der Filmförderpraxis des Pentagon. Um an die begehrten Vergünstigungen zu gelangen, unterwirft sich die Filmindustrie einer regelrechten editorischen Kontrolle. Unbequeme Inhalte wie Kriegsverbrechen auf Seiten der USA, Kritik an den Atombombenabwürfen oder Missstände innerhalb der Armee werden abgelehnt oder zensiert. (vgl. "Militäroperation Hollywood").

Angeblich geht es um ein Höchstmaß an Authentizität. Nachweislich verhält es sich aber so: Jede Zeile eines Drehbuches passiert so lange die Filmbüros der Streitkräfte, bis das erwünschte Militärimage erzielt ist. Bei eingereichten Projekten hat die Selbstzensur zumeist das Grobe schon erledigt. Im Gegenzug erhalten die Filmemacher gegen geringe Nutzungsgebühren offene Kasernentore, Panzer, Flugzeuge, Ausrüstungsgegenstände und Militärpersonal. Die Kosten der Dreharbeiten auf einem Flugzeugträger wären selbst für Produktionen der Superlative unerschwinglich. Digitale Tricktechnik ist als Ersatz zur Stunde immer noch unattraktiv (aus antimilitaristischer Sicht ist deshalb jeder neue Technologieschub auf diesem Gebiet zu begrüßen!).

Gesetzlich ist die Filmförderpraxis des Pentagon nicht unbedenklich.

Der 'Smith-Mund-Act' von 1948 (ergänzt 1972 durch den >Foreign-Relations Act<) erlaubt zwar ausdrücklich außenpolitische Propaganda, verbietet aber genauso klar, diese auch in den USA zu verbreiten. Das 'Zorinsky Amendment' (1972) untersagt zudem die Nutzung staatlicher Budgets, um die öffentliche Meinung in den USA zu beeinflussen.

Elvira Claßen (2003): Kriegsmarketing

Solche Gesetze sind in Zeiten der globalen Kommunikation natürlich widersinnig. Der US-Bürger geht z.B. ins Netz und findet ein PR-Angebot, das die Regierung als Printmedium nur außerhalb der Landesgrenzen verbreitet.

Die Kritiker der Pentagon-Filmförderung machen geltend:

  1. Es handle sich in vielen Fällen de facto um staatliche Zensur, deren Leidtragende Filmemacher und Zuschauer sind.
  2. Die selektive Förderung künstlerischer Meinungsäußerungen durch die Regierung sei mit dem ersten Verfassungszusatz unvereinbar.
  3. Das fragliche Equipment gehöre nicht dem Militär, sondern sei öffentliches Eigentum. Es müsse - wenn schon - allen filmschaffenden Bürgern unabhängig vom inhaltlichen bzw. politischen Standort zu gleichen Konditionen zur Verfügung stehen.
  4. Die künstlerische Qualität der Produkte werde durch die Eingriffe aus den Filmbüros der Streitkräfte stark beeinträchtigt.
  5. Der entsprechende Filmkanon verfestige innerhalb der USA und weltweit ein unrealistisches Bild vom Krieg und sei deshalb für die Zivilisation gefährlich.

Seit vier Jahrzehnten gebietet ein internationales Vertragswerk, "Kriegspropaganda" zu unterbinden. Die Vereinigten Staaten haben dazu unter Berufung auf die von der Verfassung garantierte Meinungsfreiheit einen Vorbehalt ausgesprochen. Dieser vorgebliche Schutz bürgerlicher Freiheiten entpuppt sich spätestens dann als große Heuchelei, wenn der US-Staat selbst durch den Einsatz von öffentlichen Geldern und durch kostspielige Kooperationen einen Kulturbetrieb fördert, der mit seinen Botschaften dem Geist und dem Wortlaut der UN-Charta und des "Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte" (1966) widerspricht.

Vom Irrglauben der Gewaltzensoren

Populistische Zensoren blicken gerne auf drastische Gewaltdarstellungen und rotes Blut. Die Verfechter des "freien" Marktes halten hingegen die vermeintliche Schädlichkeit brutaler Medienbilder für einen Mythos. Differenzierte Forschungen zur Wirkung von Mediengewalt erteilen den Ideologen in beiden Lagern eine Absage. Indessen sorgt allein die Fixierung auf das besonders Grausame für große Blauäugigkeit. Zivilisationsfeindliche Inhalte können sich ganz "sauber" geben und sind vorzugsweise mit einem "moralischen Etikett" versehen. Dem virtuellen Krieg der Postmoderne arbeiten gerade jene Befunde zu, in denen durch sterile High-Tech-Szenarien, Melodramatik und scheinbar sachliche Polit-Informationen die Wirklichkeit der Schlachtfelder unsichtbar gemacht wird. Viele Filme und Games, die Reklame für Militär, neue "Völkerrechtsnormen" und den Einsatz geächteter Massenvernichtungswaffen betreiben, können auf das schmutzige Kriegsabenteuer gut verzichten.

Obwohl es sich in diesen Fällen oftmals um eine massenkulturelle "Belohnung und Billigung von Straftaten" handelt, erscheinen Produktverbote am allerwenigsten erfolgversprechend. Andererseits kommt der verengte Blick nur auf die Konsumenten den Medienproduzenten sehr gelegen. Eltern und Lehrer, so heißt es inflationär, sollen der jungen Generation kritische Medienkompetenzen vermitteln. Oftmals drängt sich in diesem Zusammenhang der Verdacht auf, dass eine fundierte Ideologiekritik der Inhalte durch allerlei nebensächliche Formalia überwuchert wird. Von Medienpädagogen wäre an erster Stelle auch zu erwarten, dass sie Bescheid darüber wissen, wer denn genau die fraglichen Angebote produziert, und entsprechend aufklären.

Demokratische Strategien wider das Kulturdiktat der Bellizisten: Transparenz und Verbraucherschutz

Wenn Kriegsministerien, Rüstungsproduzenten und andere Kriegsprofiteure ihre Programme ohne öffentliche Transparenz in der Massenkultur transportieren, entstehen ernsthafte Gesundheitsgefahren für die Weltgesellschaft. Die Beteiligung des Pentagon wird z.B. in Filmabspännen erst ganz am Schluss ausgewiesen. Die Schriftgröße ist auf die Leinwandprojektion abgestimmt und am Bildschirm Zuhause oft nicht mehr zu entziffern.

Die weltweit genutzte "Internet Movie Database" bietet auf ihren kostenfreien Seiten nur sehr fragmentarische Informationen zum Feld der Militärkooperationen an, was auch als gezielte Täuschung der Nutzergemeinde bewertet werden könnte.16 Filmlexika betreiben in der Regel so wenig Aufklärung wie das kommerziell ausgerichtete Informationsangebot. Selbst kritische Filmrezensenten lassen den systematischen Blick auf kriegsfreundliche Produktionsbedingungen oftmals vermissen.

Käufer bzw. Konsumenten haben jedoch ein Anrecht, ohne langwierige Recherchen zu erfahren, welche Interessen die Hersteller von Unterhaltungsprodukten hinsichtlich der thematisierten Inhalte verfolgen. Zum Schutz der Verbraucher sollten Videoprodukte etc., bei denen Ministerien, Militär, Rüstungsindustrie oder Kriegsbedarfszulieferer mitgewirkt haben, einen Aufdruck tragen, dessen Größe mindestens dem Aufklärungshinweis auf Tabakwaren in der EU entspricht. Zusätzlich könnten öffentliche und zivilgesellschaftliche Medieninstitute einen erheblichen Beitrag für mehr Transparenz leisten. Das wäre ohne nennenswerte Kosten schon im Rahmen bestehender Infrastrukturen möglich. Auch Investoren bzw. Fondanleger, die keine kriegsfördernden Filmproduktionen unterstützen wollen, benötigen Aufklärungsangebote.

Entscheidend ist schließlich, mit welchen positiven Beiträgen sich die Gesellschaft gegen das Bildermonopol der Bellizisten zur Wehr setzt. Für Kulturbeiträge, deren ästhetisches Konzept dem Programm "Krieg" nicht zuarbeitet, stehen nur selten Werbemillionen zur Verfügung. Kunst, die intelligente gewaltfreie Problemlösungsstrategien als attraktiv oder spannend vermittelt, findet im Kontext der großen Medienkonzerne bestenfalls einen Nischenplatz. Eine Kultur- und Medienpolitik, die sich nicht dem Diktat der monopolisierten Unterhaltungsindustrie unterwirft, tut also Not.

Peter Bürger (Düsseldorf) ist Theologe und freier Publizist. Nach seiner letzten Buchveröffentlichung über den kritischen Vietnamfilm hat er soeben eine umfangreiche Studie "Kino der Angst - Terror, Krieg und Staatskunst aus Hollywood" abgeschlossen. Ein Schwerpunkt dieser Arbeit liegt auf Filmproduktionen, die das Pentagon gefördert hat. Informationen über das Buchprojekt und die Möglichkeit zur Vorbestellung bietet die Webseite Kriegsfilme.