Der hinausgezögerte Höhepunkt

Mystifizierung und Spiritualisierung des David Beckham: Die globale Ikone feiert ihren 30. Geburtstag

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Er ist der teuerste Fußballspieler der Welt, hat im Alter von 28 Jahren seine Autobiografie geschrieben und kann getrost als die größte globale Ikone des 21. Jahrhunderts bezeichnet werden. Nun feiert der 1975 Geborene seinen 30. Geburtstag und gibt der Öffentlichkeit ein Rätsel auf: Wer ist der wahre David Beckham? Die Antwort kann nur mit einer Gegenfrage beginnen: Welchen Sinn kann es haben, nach der Seele eines von den Medien erfundenen Phänomens zu suchen?

Es war zu erwarten, dass ihm die Boulevardpresse zum 30. Geburtstag Aufmerksamkeit schenkt. Sie hatte in ihm eine ressourcenreiche Projektionsfläche gefunden und ihn als Megastar hochgezüchtet, doch das Geschenk konnte nicht banaler ausfallen. Den Tenor des Medienrummels kondensiert "Gala" auf dem Titel seiner ersten Mai-Ausgabe: "Die zwei Gesichter" steht da in fetten Buchstaben und darunter etwas kleiner: "des David Beckham". Grundlage für diesen Titel bieten so triftige Faktoren wie die kriselnde Ehe und ein paar ketzerische Aussagen von ehemaligen Angestellten, die in letzter Zeit über Organe wie "The Sun" an die Öffentlichkeit gedrungen sind.

Dies sind Begleitumstände einer Starbiografie, die eigentlich kein Skandalpotenzial in sich bergen. Doch hier liegt der Fall etwas anders. "Die schöne Fassade bröckelt" heißt es in der "Gala", langsam beginne Beckham sein wahres Gesicht zu offenbaren. Ein Gesicht, das der Öffentlichkeit bislang verborgen geblieben sei. Doch worum geht es bei dieser Suche nach dem wahren Beckham tatsächlich?

Der Öffentlichkeit habe er sich, so die "Gala" anklägerisch, stets als fürsorglicher Familienvater präsentiert. Die Zeitschrift vergisst dabei zu erwähnen, dass Beckham immer auch noch ein halbes Dutzend anderer Masken in seinem Selbstinszenierungsrepertoire mitgeführt hat. Wie ein fashion-addict hat er in schöner Regelmäßigkeit seine Frisuren gewechselt und wie ein Modell hat er sie dann auf dem Spielfeld präsentiert. Während das Fußballfeld zum Catwalk wurde, verwandelten sich die Titelseiten internationaler Printmedien zu Schaukästen seines Selbstdarstellungsdrangs.

Mal als Punk, mal als Dandy - Beckham gelang es stets, seine Fans zu überraschen, und schaffte dabei den Sprung vom Fußball- zum Popstar. Er tauchte nicht mehr nur in der Sportartikelwerbung auf, die ihm ein Vermögen einbrachte und ihn zu einer globalen Ikone machte, sondern bald auch als schwitzender Apollo in Parfüm- und Kosmetik-Anzeigen und etablierte sich in Folge dessen als Sexsymbol, dessen Fans zwischen Tokio und Bern, Johannesburg und Quebec sitzen. Wer annimmt, dass Beckham sich ihnen in einem Gewand präsentiert hat, liegt falsch. Hätte Beckham nur ein Gesicht, hätte er niemals eine so breite Menschenmasse erreicht.

Vernetzung der Verwertungszusammenhänge

Beckham avancierte zunächst als Fußballspieler zu einem Star, dessen Popularität und Wiedererkennungswert derzeit mindestens genauso groß ist, wie der von Michael Jackson in den 1980er Jahren. Fußball und die aus dem Sport hervorgegangene Industrie hat es möglich gemacht.

Beckham ist ein gutes Beispiel dafür, dass das Verwertungssystem Fußball als Star- und Wunschmaschine eine Leitposition innehat. Ja, dass Fußball andere Bereiche der Unterhaltungsindustrie maßgeblich beeinflusst. Der Kölner Medienwissenschaftler Dietrich Leder geht sogar soweit zu sagen, dass sich die Berichterstattung des Krieges - wiederum Teil des Military-Entertainment Complex - an der medialen Auswertung des Sports ausrichtet. Während des Dritten Golfskriegs beobachtete er:

Spätestens in jenem Augenblick, als auf dem Fernsehschirm ein amerikanischer Journalist live einen Staff-Sergeant in einer Feuerpause interviewte, war es evident geworden. Die USA versuchen mit ihren medialen Bündnispartnern in den weltweit operierenden Fernsehstationen die Berichterstattung vom Krieg gegen den Irak so aufzuziehen, wie normalerweise große Sportereignisse im Fernsehen dargeboten werden. Denn das Gespräch mit dem Sergeant, der lässig sein Präzisionsgewehr in den Armen hielt, ähnelte den Interviews, wie sie die Reporter jeden Samstagnachmittag mit den Fußballern führen, die gerade ihr Spiel beendet haben, bis in die Floskeln der Einfühlung hinein.

Worin sich Beckham von anderen Sportikonen wie Ronaldo oder Zidane unterscheidet, ist nicht sein sportlicher Erfolg, denn in dieser Hinsicht kann er ihnen nicht wirklich das Wasser reichen. Sondern die Tatsache, dass er im Zuge seiner Selbstinszenierungen die Grenzen des Systems Fußball neu abgesteckt, dass er sie erweitert und neue Verbindungen hergestellt hat. Wenn seine Arbeitgeber von ihm schwärmen, dann nicht allein, weil er so gut Fußball spielen kann, sondern, weil er das Verwertungssystem Fußball mit anderen Branchen kompatibel gemacht hat.

Es ist dieser Crossmarketing-Aspekt, der das Phänomen "Beckham" in seiner ganzen Tragweite nachvollziehbar macht. Zum Paradoxon dieses Phänomens gehört es, dass er aus denselben Gründen seine Nachvollziehbarkeit einbüßt: Ein Mann mit so vielen Gesichtern hat es schwer, "verstanden" zu werden. Vielmehr konfrontiert seine mediale Performance die Massen mit diversen Fragen: Wie passt das Puzzle der Persönlichkeitsfacetten zusammen? Wie lassen sich die einzelnen Teile zu einem Ganzen zusammenfügen?

Der Glaube bleibt ungebrochen

Wie schwer es ist, diese Fragen zu beantworten, davon zeugt allein die Tatsache, dass Beckham mit dem Konzept der Metro-Sexualität ein geschlechtliches Identitätskonstrukt geprägt hat, das sich weder auf das Maskuline, noch auf das Feminine festlegen will. Ist der britischen Ikone damit nicht per se die Unbeantwortbarkeit der Charakterfrage eingeschrieben? Die Suche nach dem wahren Beckham, die trotz oder vielleicht gerade deshalb betrieben wird - eine Suche, die die "Gala" mit ihrem Geburtstaggeschenk aufs Neue motivierte -, dieser Suche liegt vor allem ein ganz bestimmter Glaube zu Grunde.

Der Glaube nämlich, dass die besagte mediale Erscheinung eine Essenz hat. Dass die zahlreichen, teils miteinander unvereinbaren Facetten von einer Instanz zusammengehalten werden. Eine Instanz, die die disparaten Inszenierungen steuert; in deren Mitte die Fäden zusammenlaufen: ein Hirn, eine Schaltzentrale, ein Zentrum. Was im jeweiligen Kontext ein Computer ist (Kubricks "2001") oder ein größenwahnsinniger Böser (die "Dr. Mabuse"-Filme), steht stellvertretend für Gott - und das ist auch in diesem Falle nicht anders.

Über die Jahre hat Beckhams Erscheinung etwas Religiöses angenommen. Er, der als "Flankengott" bezeichnet wird und seinen jüngsten Sohn "Jesus" nennen wollte, hat schon recht früh in seiner Karriere die Grundlage dafür geschaffen. Einen Anfang machte er, als er im Alter von 26 Jahren auf dem britischen Lifestyle-Magazin "The Face" posierte. Nur vordergründig erschien er dort als Punk mit Irokesenhaarschnitt, wer genauer schaute, erkannte hinter dieser ambivalenten Inszenierung die Jesus Christus-Pose. Mit Schweiß überströmt und blutverschmiert präsentierte sich Beckham als Märtyrer, als Leidender mit einem leblosen Blick.

Waren es die Leidensmale Jesu (Stigmata), die an seinem Leib hervorzutreten begannen? Nur eines scheint gewiss: Als Reinkarnation der zentralen Gestalt des Christentums war er bereit für die Massen ein Opfer zu bringen: im wirklichen Leben, etwa die Aufgabe des Privatlebens. Als er sich im Reich der Zeichen verabschiedete, um die Sünden seiner Fans auszumerzen, vergaß er nicht, auf dem "The Face"-Cover noch eine letzte Nachricht zu hinterlassen: "You're not gonna lose me forever".

Doch wann werden wir ihn (wieder)finden? Solange die Suche (nach dem wahren Beckham) andauert, hat der Star seinen Zenit nicht überschritten - solange die Suche andauert, bleibt der Glaube an ihn ungebrochen. Dies ist das Paradoxon, das der Funktionslogik der größten globalen Ikone des 21. Jahrhunderts zu Grunde liegt.