USA gegen UNO

Ein Ausschuss im US-Senat sieht Hauptschuld bei den USA im Skandal um das UNO-Programm "Öl für Lebensmittel"

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Seit Ende 2004 tobt die US-Presse: Unter UN-Generalsekretär Kofi Annan sollen Gelder im "oil-for-food program" an Firmen aus verschiedenen Ländern (wie Russland, Frankreich, und Deutschland) illegal geflossen sein. Kofi Annans Sohn soll eine Hauptrolle bei dem Schmuggel gespielt haben, und manche Gelder sollen natürlich auch zurück an den Diktator Saddam Hussein geflossen sein. Ein Skandal! Jedenfalls wollte die US-Presse es so sehen. Doch der wirkliche Skandal liegt wo anders: Wie konnte es passieren, dass ein Schmuggel, der seit Jahren bekannt ist, jetzt plötzlich in den USA Schlagzeilen macht?

In Europa ist der Presserummel um den Skandal relativ milde geblieben; das Thema wird fast als innenpolitische Angelegenheit in den USA behandelt. Schließlich berichtet die europäische Presse schon länger über den Schmuggel - so etwa in dem französischen Dokumentarfilm "Öl im Irak - Das Spiel mit dem Feuer" von 2003, der 2004 auch auf deutsch auf arte zu sehen war:

Das Programm "Öl gegen Nahrung" unter der Leitung der Vereinten Nationen reichte gerade aus, um das Überleben der Bewohner des Landes zu sichern. Nur das irakische Regime, dessen Nachbarstaaten und die Ölhändler bereicherten sich weiterhin mit dem schwarzen Gold - durch Ölschmuggel.

Der Film zeigt auf, dass die Amerikaner, die sowieso jede Bewegung im Irak überwachen, von dem ständigen Öl-transportierenden Laster-Konvoi aus dem Irak in US-freundliche Nachbarstaaten wie die Türkei und den Jordan wissen mussten.

Aber nicht erst seit 2003 berichtet die Presse in Europa darüber. Schon 1999 wusste die BBC, dass die Amerikaner und Engländer, die alles im Irak kontrollierten, einen Ölschmuggel zugelassen haben:

As many as 700 trucks come this way every day bound for Turkey, almost all of them are carrying fuel, most of it diesel. Under the terms of the UN's oil-for-food programme, this is sanctions-busting. It's hardly a secret. Some of the tankers carry several thousand litres of cheap fuel into Turkey at a time. It is obvious to anyone standing at the side of the road what is going on.... Smuggling between Iraq and Turkey is increasingly sophisticated. The Kurds act as the middlemen. No-one seems to mind.

Wer also die Hetzejagd auf die UNO in der US-Presse seit Dezember 2004 verfolgt hat, konnte sich nur wundern: Wieso regen die sich jetzt plötzlich auf? Und vor allem: Warum tun sie so, als wären nur andere daran beteiligt gewesen?

Nun ist ein Ausschuss im US-Senat der möglichen Mittäterschaft der USA im Skandal nachgegangen. Ergebnis: Die USA alleine sind selbst für rund 52% der illegalen Verkäufe verantwortlich. Laut einem Artikel im britischen Guardian kommt der US-Bericht zum Schluss, dass die USA nicht nur von solchen Geschäften wussten, sondern diese auch - wie übrigens der gesamte Sicherheitsrat der UNO - ausdrücklich gebilligt haben:

On occasion, the United States actually facilitated the illicit oil sales.

Aus dem Bericht des US-Senats

Unter anderem liegen Dokumente vor, die belegen, dass die Schiffstransportfirma Odin Marine Inc. (USA) mit Billigung der USA Erdöl aus dem Hafen in Khor al-Amaya transportiert hat, obwohl dieser Hafen überhaupt nicht im Programm freigegeben war. Die Unterlagen belegen, dass die Firma sich hat versichern lassen, dass das US-Militär nicht eingreifen würde, um den eigentlich verbotenen Transport zustoppen.

Der eigentliche Skandal

Schlimm genug, dass ein Organ wie die UNO so tief fallen kann. Anscheinend haben sich einige Funktionäre dort gesagt: "Die USA schmeißen einen Schmuggel, und alle gehen hin! Da will auch ich nicht fehlen..." Was hätte man aber anders von einem General-Sekretär erwarten sollen, der quasi von den USA ins Amt gehievt wurde, nachdem die USA unter Bill Clinton den Vorgänger Annans, Boutros Boutros-Ghali, aus dem Amt gejagt haben. Die USA haben die Wiederwahl des populären Ägypters, der des Französischen so mächtig war wie des Englischen, mit einem Veto gegen den Willen der Welt blockiert. Er wollte die humanitäre Hilfe ausweiten, er prangerte die westlichen Mächte an, weil sie in Ruanda so wenig getan hatten, als sich dort ein Völkermord anbahnte - kurz: Er war den USA ein Dorn im Auge.

Kofi Annan schien besser geeignet, ein Jasager für die USA zu sein. Doch auch er billigt nicht jede außenpolitische Entscheidung der USA; auch er kritisierte den präventiven Irak-Krieg. Die Quittung dafür hat er Ende 2004 bekommen.

Der ganze Skandal begann, als die neokonservative Tageszeitung New York Sun über Zahlungen im Wert von insgesamt $150.000 an Kofi Annans Sohn berichtete. Hinter der Sun steht unter anderem der einflussreiche neokonservative Denker Richard Perle, Geschäftspartner von Conrad Black, dem die Sun gehört.

Aber die plötzliche Brisanz in der US-Presse seit Ende 2004 ist mehr als beunruhigend, denn sie zeigt, dass die US-Presse weder in der Lage ist: 1) selbst zu forschen - stattdessen wartet sie darauf, dass ein Regierungssprecher den Skandal verkündet, über den berichtet werden muss; noch 2) Berichte aus dem Ausland zu beachten, denn sonst hätte man - sogar ohne Übersetzung - den Pfad aus der BBC weiterverfolgen können.

Aber es kommt noch schlimmer, denn die Bush-Regierung muss doch davon ausgegangen sein, dass die eigene Hauptverantwortung der USA im "Skandal" auffliegt. Anders gesagt, man hat bewusst die Amerikaner irregeführt, wohlwissend, dass die eigene Schuld bald rauskommen müsste.

Unbekümmertheit in flagranti

Ein weiteres Mal scheint es also die Bush-Regierung nicht zu stören, dass die eigene Heuchlerei bald enthüllt werden muss. Schon bei der Behauptung, der Irak besäße Massenvernichtungswaffen, muss die Bush-Regierung davon ausgegangen sein, dass die Wahrheit bald herauskommen musste. Aber man scheint sich auch sicher zu sein, dass es egal ist, wenn die eigene Glaubwürdigkeit in Frage kommt - was die Welt denkt, interessiert sowieso nicht, und eine Mehrheit der Amerikaner kriegt man ja offenbar zusammen, selbst wenn es klar ist, dass man sich "geirrt hat".

Diese erstaunliche Unbekümmertheit reicht bei Bush und Cheney weit zurück. Schon 2001 kam Cheney unter Beschuss, weil seine Firma Halliburton über in- und ausländische Tochterfirmen gute Geschäfte mit Saddam Hussein machte. Ein normaler Geschäftsmann hätte behauptet, er könne doch nicht jeden Geschäftvorfall jeder Tochter in einem so großen internationalen Konzern kennen. Das würde ihn zwar nicht entlasten, weil es gegen das Prinzip der "due diligence" verstieße, aber jeder hätte was damit anfangen können. Stattdessen bestritt Cheney 2000 im US-Fernsehen, dass es solche Transaktionen überhaupt gab, wie die Washington Post 2001 berichtete:

I had a firm policy that we wouldn't do anything in Iraq, even arrangements that were supposedly legal.... We've not done any business in Iraq since U.N. sanctions were imposed on Iraq in 1990, and I had a standing policy that I wouldn't do that.

Drei Wochen später musste er diese Aussage revidieren. Erst dann berief er sich auf das Argument, er habe davon nichts gewusst, fügte aber gleichzeitig hinzu, dass man sich von diesen Tochterfirmen deshalb bald getrennt habe - ein Widerspruch in sich: Niemand wusste was über die Transaktionen, aber man hatte die Firmen deshalb schnell verkauft...

Der Bericht aus dem Washington Post von 2001 beweist aber auch, dass die US-Presse durchaus seit Jahren über diesen Skandal berichtet, aber immer nur nebenbei:

U.S. and European officials acknowledged that the expanded production also increased Saddam Hussein's capacity to siphon off money for weapons, luxury goods and palaces. Security Council diplomats estimate that Iraq may be skimming off as much as 10 percent of the proceeds from the oil-for-food program.

Eine systematische Berichterstattung, die die Hauptverantwortung der USA am Skandal aufgedeckt hätte, blieb aber aus. So war es möglich, dass Kofi Annan, sein Sohn, und die gesamte UNO nun seit einem halben Jahr in der Kritik stehen - jedenfalls in den USA. In Europa wundert sich dagegen die Presse nicht nur über den Skandal, sondern auch über den Eklat in der offensichtlich unter-informierten US-Presse.

Die Folgen?

Noch ist unklar, ob dieser Bericht des US-Senats Kofi Annan "retten" wird. Seine Person ist aber nicht so wichtig wie die grundsätzliche Einstellung der USA zur UNO. Wird sich hier etwas verbessern?

Vielleicht, denn die US-Presse ist wach geworden. Die Houston Chronicle berichtete am Dienstag ausführlich über die Zusammenhänge zwischen dem Ölkonzern Bayoil (Houston), der illegal im Schmuggel der letzten Jahre mitmischte, und dem Irak-Regime - und zwar seit den 1980ern.

Der "Skandal" um "Öl für Lebensmittel" ist jedoch Teil einer viel größeren Kampagne, um die UNO komplett zu diskreditieren. US-Interessen sollen Vorrang haben. Selbst wenn man also jetzt richtig stellt, dass die USA bei dieser einen Affäre selbst Dreck am Stecken haben, bleibt sicherlich der Eindruck bei vielen Amerikanern, die UNO wäre korrupt.

Das wird manchen Neokonservativen auch passen, z.B. den Machern von Move America Forward, die stolz darauf sind, dass sie 100.000 Unterschriften gesammelt haben, um "die UNO aus den USA hinauszuwerfen". Auch die Nominierung von John Bolton als Botschafter für die UNO ist hier anzusiedeln, denn Bolton hat sich für diese Position besonders durch seine Forderungen qualifiziert, die UNO solle abgeschafft werden.

Die Aufklärung über die Mitschuld der USA im Skandal um das UN-Programm "Öl für Lebensmittel" ist also sicherlich ein Fortschritt, aber auch nur ein kleiner, denn es bleibt viel zu tun. Die prinzipiellen Gegner der UNO in den USA sind dadurch nicht schwächer, die Presse nicht investigativer geworden - im Gegenteil. Momentan spricht ganz England von einem Memo der Blair-Regierung vom Juli 2002 spricht, in dem über die Bush-Regierung notiert wurde: "Die Geheimdienstinfos und die Fakten wurden der Politik angepasst". Aber die US-Presse schweigt sich darüber aus, wie die Chicago Tribune am Dienstag zu berichten wusste.