Die Sekte von Camp Aschraf...

...und die amerikanischen Vorbereitungen für einen Machtwechsel im Iran

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Frauen stellen eine großen Teil ihrer Soldaten, die Führerin wird "Sonne der Revolution" genannt und ist als iranische Präsidentin im Exil ausgerufen worden. Zu ihrem beeindruckenden Waffenarsenal gehörten auch Panzer; ihr ursprüngliches Programm vereinte den Islam mit dem Marxismus. Sie sind reich, geben glanzvolle Empfänge in Paris, haben Büros in Washington und Paris, treue Anhänger unter europäischen Parlamentariern und beste Verbindungen zu neokonservativen Schaltkreisen in den USA. Jahrelang kämpften sie auf der Seite Saddam Husseins gegen den Iran, aber auch gegen irakische Schiiten und Kurden. Sie waren an der Besetzung der US-Botschaft in Teheran 1979 beteiligt. Vor Ausbruch des Irak-Kriegs diente die Gruppe als Beweis für Verbindungen des Regimes unter Saddam Hussein zu Terroristen. Für das amerikanische Außenministerium sind die "Volksmudschahedin des Iran (Mujahedin-e Khalq)" eine terrororistische Vereinigung. Für das Pentagon eine wichtige Quelle für Informationen über das "nukleare Waffenprogramm" im Iran.

Doch damit nicht genug: Ein einflussreicher amerikanischer Think-Tank, das Iran Policy Committee (IPC), das sich den Regimewechsel im Iran zum Ziel gesetzt hat, sieht in der "Mudschahedin-e Khalq Organisation (MEK oder MKO)" (vgl. dazu Herzliche Beziehungen zu Terroristen) einen wichtigen Verbündeten in der Realisierung des Projekts zum Sturz des Mullah-Regimes, wie das im Februar veröffentlichte Grundsatzprogramm "US Policy Options in Iran" deutlich herausstellt.

Parallelen zu den Vorbereitungen des Irak-Krieges

Die Führung des IPC setzt sich aus ehemaligen ranghohen Militärs, Mitarbeitern früherer republikanischer Regierungen und des amerikanischen Fernsehsenders "Fox" zusammen. Hardlinern also, die mit der Unterstützung der neokonservativen Prominenz in den USA rechnen können: Douglas Feith, Frank Gaffney, Mike Leeden, der glühendste Verfechter des Regime-Change in Teheran, Richard Perle, Paul Wolfowitz und Donald Rumsfeld.

Eine oppositionelle Gruppe im Exil, die von amerikanischen Think-Tanks mit aggressiver Agenda und von neokonservativen Kreisen unterstützt als Verbündeter beim anvisierten Regime-Wechsel fungieren soll und darüber hinaus geheimdienstliche Informationen über das nukleare Programm des feindlichen Regimes beschafft: Parallelen zu den Vorbereitungen des Irak-Krieges - den Verbindungen zwischen Pentagon, den konservativen Think Tanks und der irakischen Exil-Oppositionsgruppe um Achmed Tschalabi - drängen sich hier auf. Es gibt aber einen großen Unterschied, und der hat pikanterweise mit der Definition von Terrorismus zu tun.

Folter und Haft von Abtrünnigen?

Denn die MEK (MKO aka NCR aka NCRI) wird auf offiziellen Listen als terroristische Organisation geführt. Seit einiger Zeit schon (vgl. dazu Wenn es den eigenen Interessen dient) versuchen ihre Unterstützer, in den USA wie in Europa, die Gruppe von diesem Label zu befreien. Ein Bericht der Human Rights Watch-Organisation fuhr diesen Bemühungen vor einer Woche eklatant in die Parade:

Der 28-seitige Bericht, "No Exit: Human Rights Abuses Inside the MKO Camps (Kein Ausweg: Menschenrechtsverletzungen in den MKO-Lagern), stellt ausführlich dar, wie abtrünnige Mitglieder der obskuren Mojahedin Khalq Organisation (MKO) in Militärlagern im Irak gefoltert wurden. Nachdem sie die Vorgehensweise und nicht-demokratischen Aktionen der Organisation kritisiert oder angedeutet hatten, dass sie beabsichtigten, die Organisation zu verlassen, wurden sie über Jahre in Einzelhaft gehalten und geschlagen. Der Bericht basiert auf den Aussagen von einem Dutzend ehemaliger Mako-Mitglieder, einschließlich fünf Mitglieder, die an die irakischen Streitmächten ausgeliefert und im Abu Ghraib Gefängnis unter Saddam Husseins Regierung gefangen gehalten wurden.

Der Konter blieb nicht lange aus, die "glaubwürdigen Aussagen" der Opfer seien "tatsächlich Aussagen von Agenten des iranischen Geheimdienstes" ließ Prof. Raymond Tanter vom Iran Policy Committee verlauten, die Nachricht verbreitete sich in der Presse. Auch Abgeordnete des europäischen Parlaments, ein Kreis namens "Friends of a Free Iran", zeigten sich von den Anschuldigungen schockiert:

Zu den Unterzeichern gehören einige der Star-Politiker des Europäischen Parlaments. Alejo Vidal-Quadras, der erste Vizepräsident des Parlaments von der Zentrum-Rechts Volkspartei in Spanien, der schottische Konservative Struan Stevenson, Vizepräsident der mächtigen Christian Democrat-Conservatives Group und Führer der Europäischen Demokraten im Parlament, der portugiesische Sozialist Paulo Casaca, der der europäischen Delegation für die NATO vorsitzt, befanden sich unter den europäischen Abgeordneten, die ihrer tiefen Bestürzung über den Bericht Ausdruck gaben.

Umstrittener und zentraler Punkt in der Anklage der Menschenrechtsorganisation sind die Aussagen von Mohammad Hussein Sobhani, der seinen Angaben zufolge über 8 Jahre lang von der MEK gefangen gehalten und gefoltert wurde. Die MEK behauptet nun, Sobhani sei ein Agent des Mullah-Regimes mit einer nachweislich gefälschten Biographie. Der Beweis für die Echtheit der Aussagen von Sobhani ist demgegenüber offensichtlich nicht ganz einfach zu führen. Das amerikanische Magazin "Newsweek" begnügte sich mit einer telephonischen Nachfrage, Sobhani blieb natürlich seinen Aussagen treu.

Geheimdienstaktionen und labyrinthische Geschichte

Der Bericht der Human Rights Watch-Organisation basiert ebenfalls vor allem auf Interviews. Die Wahrheit lässt sich schwer ermitteln, Geheimdiensten, auch dem iranischen, wird ja alles mögliche vom Pfusch bis zu unerhörten Aktionen zugetraut, reale Belege gibt es für beide Seiten des Spektrums. Auch die labyrinthische Geschichte der MEK-Organisation ist reich an schillernden Personen, geheimdienstlichen Interventionen, Spekulationen und komplizierten politischen Manövern.

Nach neueren Informationen und Presseberichten, die von den Betreibern der Webseite Iran-Interlink zusammengestellt werden, hat sich die Organisation, die sich in ihren Anfängen als islamisch-marxistische Widerstandsgruppe zum Schah-Regime verstanden hat, zu einer "secte militaro-politico-religieuse" gewandelt, die in der iranischen Bevölkerung sehr verhasst sein soll - kein Wunder, da sie ja auf Seiten Saddam Husseins gegen Iraner gekämpft hat.

Massud und Maryam Radjavi

"Die MKO (MEK) ist eine Gefahr für Frankreich und seine Bürger", sagte der Direktor der D.S.T. (der französischen Sicherheitskräfte der Gegenspionage), Pierre de Bousquet de Florian, vor zwei Jahren, als man eine Razzia gegen die französische Niederlassung der Gruppe durchgeführt hatte (vgl. Mullahs balancieren. Der Präsident schweigt). Die Zentrale funktioniere wie eine Sekte. Der fanatische Charakter der Mitglieder der MKO und der Kult um ihre Führerin Maryam Radjavi (die "Sonne der Revolution") sei lange bekannt, ebenso wie ein mystischer Hang der Mitglieder zum Selbstmord. Es seien der D.S.T. Befehle in dieser Hinsicht für den Fall von drohender Verhaftung bekannt. Mehrere Personen verbrannten sich damals aus Sympathie zur Organisation. Die selbsternannte "Exil-Präsidentin des Iran"; Maryam Radjavi, wurde wenige Wochen nach ihrer Verhaftung auf freien Fuß gesetzt.

Blühende Blumen, Oase des Friedens

Vor kurzem wurde in Paris ein großer Jubel-Empfang - "Opération séduction" - gegeben, der die Rehabilitation der Organisation in Frankreich feierte, illustre Gäste waren anwesend, u.a. die Witwe des ehemaligen französischen Staatspräsidenten Mitterand, Danielle, die zu den Unterstützern der Gruppe gehört. Das Ansehen der Organisation in Frankreich steht und fällt mit dem jeweiligen Verhältnis der französischen zur iranischen Regierung, die die MEK als Feinde der islamischen Republik unnachgiebig verfolgt, weswegen sie von verschiedenen französischen Regierungen immer wieder als Verhandlungsunterpfand eingesetzt wurde. So war die Aufenthaltserlaubnis der Organisation in Frankreich war immer davon abhängig, wieviel Gunstbeweise die französische Regierung in ihren Verhandlungen mit der iranischen liefern wollte.

Auch in den USA war das Verhältnis zur MEK, bzw. deren amerikanischen Ableger "National Council of Resistance of Iran (NCRI)", aka National Council of Resistance (NCR), über die Jahre sehr kontrovers. Schließlich hat man in den USA nicht vergessen, dass die MEK bei der Besetzung der amerikanischen Botschaft im Jahre 1979 beteiligt war, weswegen sie ja auch offiziell zu einer terroristischen Organisation erklärt wurde. In den letzten Jahren gab es einige Skandale um die Finanzierung der Gruppe, Mitglieder sollen unter dem betrügerischen Vorwand der Gemeinnützigkeit auf Flughäfen wie in Los Angeles sehr viel Geld gesammelt haben; namhafte Vertreter der US-Regierung wie John Ashcroft oder John Bolton wurden in dubiosen Zusammenhängen mit der Organisation in Presseberichten erwähnt (die übrigens oft von Michael Isikoff verfasst sind, der beim kürzlichen Newsweek-Skandal Das Guantanamo-Virus scharf von der US-Regierung attackiert wurde).

Deutlich wurde der Sonder-Status der MEK im Irak-Krieg. Zwar wurde das Lager der Gruppe, eingerichtet vom ehemaligen Verbündeten Saddam Hussein nördlich von Bagdad, von US-Truppen im April 2003 angegriffen, aber bei weitem nicht in der sonst angewandten Härte. Jetzt ist Camp Aschraf offiziell ein Gefangenenlager, allerdings eins, in dem sich durchaus gut leben lässt, wie Hannah Allem von den Knight Ridder Newspapers (bekannt für solide, unabhängige Berichterstattung aus dem Irak) am 18.März diesen Jahres etwas erstaunt berichtet:

Der Irak hat eine Oase, wo Brunnenwasser über Kiesel plätschert und Blumen in üppigen Gärten blühen. Das Krankenhaus ist sehr sauber und voll ausgestattet, Schulen bieten Violin-Kurse an und Fahrer gehorchen der Straßenverkehrsordnung. Die Elektrizität funktioniert die ganze Zeit, das Wasser ist immer sauber in dieser heiteren, selbstgenügsamen Anlage.
Das einzige, was fehlt, ist die Möglichkeit zum Ausgang.

"At once sympathetic and strange"

Zugleich sympathisch und fremd sind ihr die etwa 3500 iranischen Gefangenen in diesem "Never-never-Land" vorgekommen, eine Beobachtung, die der ehemalige Kommandeur des Lagers, Steve Novotny teilt. Während die Kommandeurin des berüchtigten Abu Ghraib-Gefängnisses, Janis Karpinski, seinerzeit im Untersuchungsbericht von General Taguba heftigste Kritik kassierte, wurde Novotny für seine Führung des Camp Ashraf ausdrücklich gelobt. Das Interessante daran ist, dass Novotny selbst gar nicht so sehr das Gefühl hatte, er führe das Lager:

Sie sorgten ziemlich gut für sich selbst. Ihre Haltung uns gegenüber war die, dass wir die Gäste in ihrer Basis sind. Sie erkannten niemals an, dass wir sie gefangen halten würden oder dass sie unsere Gefangenen wären.

Seit Juli letzten Jahres genießen die "Gefangenen" von Camp Ashraf den protected status nach der vierten Genfer Konvention. Eine bemerkenswerte Ausnahme im Irak. Die Berichte von Hannah Allem und Steve Novotny deuten in aller Zurückhaltung und in ihrer Widersprüchlichkeit ("Personen, die Sympathie erregen") an, was Kritiker der MEK schon länger wissen und öffentlich machen und der Human Rights Watch-Bericht untermauern sollte: Die Gruppe verhält sich wie eine Sekte, Mitglieder dürfen sie nicht verlassen (siehe Folterungen), Ehepaare werden getrennt, Sex ist nicht erlaubt, Kinder werden von ihren Eltern getrennt. Für den französischen Journalisten Jean-Pierre Perrin, der seit einigen Jahren für die Zeitung "Libération" über die MEK berichtet, sind deren Freunde und Unterstützer naiv. Es wäre nicht das erste Mal, dass amerikanische Pläne zum Umsturz eines Regimes im Nahen Osten auf naiven Annahmen beruhte.