Ultraschnelle Analysemethode klärt Schmelzprozess

Molekülen bei der Reaktion zugeschaut

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Ein internationales Forscherteam hat mit Hilfe von Röntgenpulsen Halbleiterkristalle im Femtosekundenbereich bei sehr schnellen Phasenübergängen beobachtet. Dies könnte ein Meilenstein zum Verständnis der Prozesse bedeuten, die sich in Festkörpern in solch kurzen Zeiträumen abspielen.

Molekulare Vorgänge laufen in unvorstellbar schnellem Tempo ab und sind daher nur sehr schwer zu beobachten. Die Größenordnung, die hier maßgeblich ist, liegt im Bereich von Femtosekunden. Zum Vergleich: Eine Femtosekunde (1 fs) ist der Millionste Teil einer milliardstel Sekunde – somit 10-15 s. Wenn also das Sonnenlicht auf seiner Reise von der Erde zum Mond rund eine Sekunde braucht, schafft es in einer Femtosekunde nur einige hundert Nanometer (10-9 m).

Mit ultraschnellen Lasern lassen sich chemische Reaktionen „filmen“. Es werden zwei Laserpulse benutzt. (Bild: DESY Hamburg)

Um die ultraschnellen Bewegungen von Atomen in Halbleiterkristallen bei Phasenübergängen in Echtzeit beobachten zu können, benutzten die Experimentalphysiker um Klaus Sokolowski-Tinten von der Friedrich-Schiller-Universität Jena Analysemethoden, die im Bereich von Femtosekunden arbeiten können. Sie untersuchten das laserinduzierte Schmelzen eines Indium-Antimonid-Kristalls mit Hilfe der zeitaufgelösten Röntgenbeugung und verwendeten dazu die neuartige Röntgenquelle Sub-Picosecond Pulse Source (SPPS) am Linearbeschleuniger für Elektronen (SLAC) in Stanford, USA. Beschrieben wird dies in Science, Bd. 308, Seite 392 (Heft 5720, 2005).

Im Einzelnen: Um strukturelle Umwandlungen von Materie bei chemischen Prozessen zu untersuchen, sollte die Reaktion zu einem bestimmten Zeitpunkt gestartet werden. Daher beschossen die Jenaer Forscher als Auslöser des Schmelzprozesses die Probe mit einem optischen Laserpuls, der nur etwa 50 Femtosekunden währte. Durch diese Anregung werden die kovalenten Atombindungen – die Bindungen, die durch gemeinsame Elektronenpaare zwischen Atomen charakterisiert sind – im Kristall schlagartig aufgebrochen und das Material beginnt seinen Übergang vom festen in den flüssigen Zustand.

Röntgenbeugungsbild einer Laser-bestrahlten Indium-Antimonid-Oberfläche: Wo der Femtosekunden-Laserpuls (rotes Oval) das Material angeregt hat, verschwindet die Röntgenbeugung. Dies gilt als Nachweis für den Phasenübergang (Bild: Sokolowski-Tinten/Friedrich-Schiller-Universität (FSU) Jena/Fotozentrum)

Um nun den Prozess des Phasenübergangs direkt beobachten zu können, benutzten die Physiker ultraschnelle Röntgenpulse. Zunächst wurden im Linearbeschleuniger SLAC in Stanford ultrakurze Elektronenpakete erzeugt und auf eine hohe Geschwindigkeit gebracht. Anschließend durchläuft der hochenergetische Femtosekunden-Elektronenpuls einen so genannten Undulator, so dass harte Röntgenstrahlung mit Impulsdauer von unter 100 Femtosekunden entsteht. „Das ist mindestens dreimal kürzer als das, was bisher im Röntgenbereich möglich war“, betont Sokolowski-Tinten.

Dieser Röntgenimpuls trifft auf die Indium-Antimonid-Probe, an deren Atomen die Strahlen nach den üblichen Gesetzen der Röntgenstrukturanalyse gebeugt werden. Da die ungeordnete Schmelze die Röntgenstrahlung viel schwächer ablenkt als der geordnete feste Kristall, sind im Beugungsbild die durch den Laser aufgeschmolzenen Bereiche als Regionen mit drastisch reduzierter Streuintensität leicht erkennbar. Um nun den zeitlichen Ablauf des Phasenübergangs quasi stroboskop-artig verfolgen zu können, variierten die Forscher die Zeitdifferenz zwischen dem optischen Anregungsimpuls und dem als Blitzlicht verwendeten Röntgenpuls.

Kristall im Zwischenzustand

Das verblüffende Resultat ist, dass die von ihren Bindungen befreiten Atome, ihrer Trägheit folgend, anfangs einfach den Bewegungszustand vor der Anregung beibehalten. Sie schweben vollkommen ungeordnet durch den Kristall, wissen nichts voneinander. Charakterisiert ist diese Situation durch die statistische Natur der Temperaturbewegung der Atome. Das Material befindet sich unmittelbar nach der Anregung in einem merkwürdigen Zwischenzustand: Einerseits sind die Atome noch regelmäßig angeordnet wie in einem kristallinen Festkörper; andererseits verhalten sie sich schon wie die Atome in einer Flüssigkeit.

Professor Sokolowski-Tinten in einem Laserlabor am Institut für Optik und Quantenelektronik der Universität Jena (Bild: Scheere/FSU-Fotozentrum)

„Mit unseren Ergebnissen haben wir aber nicht nur etwas Neues über das schnelle Schmelzen gelernt, sondern auch gezeigt, dass man mit solchen Beschleuniger-Röntgenquellen wirklich im Ultrakurzbereich experimentieren kann“, erklärt Sokolowski-Tinten. Daher habe dies Experiment für die finanziell aufwändigen Röntgen-Freie-Elektronenlaser-Projekte Linear Coherent Light Source (LCLS) in Stanford und EURO-XFEL beim Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY) in Hamburg einen erheblichen Pilotcharakter.

So wollen Forscher in Zukunft mit diesen so genannten „Lichtquellen der vierten Generation“ chemische Reaktionen als Film sichtbar machen. Dies könnte in der Bio- und in der Nanotechnologie große Fortschritte bringen. Vor allem in der Halbleitertechnik würden Physiker elementare Prozesse im Schaltelement künftig besser verstehen.