Zwei zu Eins gegen die EU-Verfassung

Auch die Holländer lehnen die Verfassung im Protest gegen die etablierten Parteien ab, Europa wird zum Buhmann der wachsenden Unzufriedenheit

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Nach Frankreich am Sonntag haben nun auch die Holländer den europäischen Staatsvertrag abgelehnt. Das "Nein" fiel noch deutlicher aus als in Frankreich und auch die Wahlbeteiligung lag sehr hoch, so dass die Regierung nun keine Ausrede mehr hat, um das Votum der Volksbefragung anzunehmen. Nach dem schwachen "Ja" im spanischen Staat haben nun zwei Kernstaaten in Europa und zwei Gründungsmitglieder der EU "Nein" zu dem gesagt, was gerne als Verfassung verkauft wird. Erneut zeigt sich in ein tiefer Riss zwischen der politischen Klasse, die in Holland zu 85 Prozent dem Vertrag zustimmt, und der ablehnenden Bevölkerung.

Eigentlich waren die Würfel schon nach dem klaren "Nein" in Frankreich schon gefallen. In den Niederlanden haben 61,7% Prozent der Menschen sich für ein "Nein" entschieden. Nur 38,3% Prozent sagten "Ja" zu dem Staatsvertrag. Dass das "Nein" gewinnen würde, war nach den letzten Umfragen erwartet worden. Dass es so deutlich ausfiel, ist erstaunlich. Genauso bemerkenswert ist die hohe Beteiligung von fast 64 Prozent. Das sind etwa 25 Prozent mehr als bei den Wahlen zum Europaparlament vor einem Jahr. Damit haben etwa 12 Millionen Wahlberechtigten gezeigt, wie wichtig ihnen die Abstimmung war. Vielleicht hatten sie auch noch die Vorgänge bei der Staatsgründung 1815 vor Augen. Damals stimmten 796 der 1603 stimmberechtigten Notabeln gegen die Verfassung. So rechnete König Willem I. flugs die 280 Nichtwähler zu den 527 Befürwortern und die Verfassung war angenommen: "Wer schweigt, stimmt zu", hatte Willem I erklärt.

Es geht in Europa nicht gut für Politiker aus, wenn man die Betroffenen über das direkt entscheiden lässt, was in Hinterzimmern ausgekungelt wurde und ohnehin niemand so richtig versteht. Kaum jemand kennt oder versteht das 530 Seiten starke Vertragswerk. Aber die Bürger kennen ihre Politiker genau, welche für ein "Ja" geworben haben. Umso stärker die "Informationskampagne" der Regierung angeworfen wurde, um der sich abzeichnenden Ablehnung zu begegnen, umso mehr Skeptiker wurden mobilisiert. So hatten Umfragen auch nach einer Veranstaltung mit dem Bundesaußenminister Joschka Fischer gezeigt, dass die Wähler eher misstrauischer wurden. Ähnlich ging auch das Werben des gebeutelten Bundeskanzlers Gerhard Schröder in Frankreich nach hinten los.

In drei von elf Ländern, die sich bisher getraut haben, diese Verfassung der Bevölkerung vorzulegen, haben sich zwei mit großer Mehrheit gegen den Vertrag entschieden, obwohl die Abstimmung nur in Frankreich effektiv ein Referendum war (Das NON triumphiert). Da können Politiker der EU lange davon schwafeln, schon 49 Prozent der Bevölkerung in Europa hätte die Verfassung ratifiziert. Die Parlamente haben ratifiziert und die, so zeigen Frankreich und Holland, sind offenbar nicht Ausdruck des Willens der Bevölkerung.

Absage an die etablierte politische Klasse in Holland

In Spanien und in den Niederlanden waren es nur konsultative Befragungen. Das "Ja" in Spanien war ohnehin von der Rekordabstinenz und von vielen Verstößen der Regierung gegen die Wahlauflagen und einer Ungleichbehandlung der Nein-Sager belastet (Spanien ist eher gleichgültig). In Frankreich hat selbst die massive Benachteiligung der Gegner in den Medien nichts genutzt, um den Unmut zu besänftigen (Spanien ist eher gleichgültig).

In Holland versuchte man sich gestern seit 1951 erstmals wieder in direkter Demokratie und fiel auf die Nase. Bei der Ratifizierung des ersten Europäischen Vertrages, der Montanunion von 1951, gab es auch eine Abstimmung. Allerdings wurde die nur in zwei repräsentativen Städten durchgeführt. Das damalige Ergebnis hätte die Parlamentsmehrheit gerne wiederholt: über 96 Prozent Ja-Stimmen in Bolsward und gut 93 Prozent in Delft bei einer Beteiligung von mehr als 88 Prozent.

Da eine Zustimmung erwartet wurde, hatte man sich auf das Abenteuer Volksbefragung eingelassen. Noch im Dezember 2004 wollten laut einer Eurobarometer-Umfrage 73 Prozent der Holländer mit Ja stimmen. Weil die Regierungsparteien an eine sichere Annahme glaubten, ließen die beiden großen Regierungsparteien ihren Widerstand gegen jede die Volksbefragung fallen. Der Christlich Demokratische Apell (CDA) und die Partei für Freiheit und Demokratie (VVD) meinten zuvor, eine Abstimmung untergrabe die Unabhängigkeit des Parlaments.

Die deutliche Absage ist eine Absage an die etablierte politische Klasse in Holland. Ein Vorgang, wie er seit 2002 in dem Land zu beobachten ist. Im Mai 2002 gaben mehr als 1,5 Millionen - 17 Prozent der Wähler - ihre Stimme dem rechtspopulistischen Newcomer Pim Fortuyn. Der war wenige Tage vor der Parlamentswahl von einem militanten Tierschützer ermordet worden, doch seine Liste Pim Fortuyn (LPF) wurde in der Folge zweitgrößte Partei des Landes (Dschihad oder Selbstjustiz?).

Diese inzwischen wieder unbedeutend gewordene Partei gehörte zu dem Spektrum der Nein-Sager. Über die Webseite kann man sich ein Bild über die Gegner mache. Zu denen gehört auch der neue Populist Geert Wilders. Der Provokateur hat noch keine Partei, nachdem er im September vorigen Jahres die Rechtsliberalen, die VVD, verlassen hat. Er wirbt stark mit ähnlich fremdenfeindlichen Äußerungen wie zuvor die LPF. Im Wesentlichen setzte er an zwei Punkten an, die vielen Niederländern Sorge bereiten: die steigende Einwanderung und die Verteuerung durch den Euro. Über die Verfassung und über die EU-Erweiterungen, werde das Land mit einer weiteren Einwanderungswelle überrollt, meint er.

Besonders schürt Wilders offen antimuslimische Stimmungen gegen die Türkei. Sollte die Türkei aufgenommen werden, habe "ein islamisches Land mit Millionen Einwohnern einen enormen Einfluss auf den föderalen Superstaat". Sie hätte dann bald "mehr Einfluss auf die niederländische Gesetzgebung als das Land selbst". Aber auch den Euro möchte er am liebsten wieder abschaffen. Tatsächlich hat dessen Einführung das Leben verteuert. So musste auch der niederländische Zentralbankchef Wellink zugegeben, die Auswirkungen des Euro seien unterschätzt worden.

Daneben warb auch die fundamentalistische Christenunion für ein "Nein", welche die Souveränität Gottes über den Staat und das politische Handeln anerkennt". Was die Homoehe und die Abtreibung angeht, sind die Christen sehr konservativ, in Fragen Umwelt und sozialen Frage stehen sie oft auf der Seite der Linken. Gegenüber Telepolis teilten sie mit, man brauche eigentlich keine Verfassung für eine europäische Kooperation. "Wir glauben, unser Land würde stark an Einfluss in der EU verlieren und viel Macht an Brüssel abgeben." Die Niederlande würden ihr Vetorecht einbüßen und damit gewännen große Länder mehr Einfluss.

So sieht das auch die linksradikale Sozialistische Partei, die sich bei den Nein-Sagern hervorgetan hat. Sie konnte erfolgreich an die verschiedenen Bewegungen im Land andocken. Denn auch in Holland läuft die Konjunktur nicht auf Hochtouren und die Kritik an der kalten Marktwirtschaft hat zugenommen. Für viele Menschen hat sie einen Namen: Europa. Da sind die Einschnitte der konservativen Regierung bei der Frührente, Arbeitslosengeld und Gesundheitsversicherung, die im letzten Jahr erstmals seit 20 Jahren wieder Hunderttausende auf die Straße brachten. Das hat sogar die aufrufenden Gewerkschaften verblüfft.

Auch aus diesem Zorn, der Unsicherheit und Angst vor weiteren schmerzhaften Veränderungen speist sich das "Nein" zur Verfassung. Denn die schreibe den Weg in diese Richtung fest, erklärte der Pressevertreter der Sozialisten Rob Janssen gegenüber Telepolis. "In dieser Verfassung wird eine einzige wirtschaftliche Variante, und zwar die freie Marktwirtschaft, allen EU-Mitgliedstaaten aufgezwungen." Auch öffentliche Dienste wie z.B. Bildung und Gesundheit würden zunehmend dem Markt unterworfen.

Die Menschen lehnen Beeinflussung durch die Regierung ab

So ist auch in Holland der Ausgang des Referendums ein klarer Denkzettel an die Regierung. Deren Vorgehen in der Ja-Kampagne dürften ohnehin viele als Beleidigung an die eigene Intelligenz gewertet haben und die Bereitschaft zum "Nein" verstärkt haben. Solange das "Ja" vorne lag, gab man sich liberal und behandelte Gegner und Befürworter gleicht. Aus dem Gesamtbudget von einer Million Euro wurden von einer unabhängigen Kommission 400.000 Euro für Organisationen der Nein-Kampagne und die gleiche Summe für die Ja-Kampagne zur Verfügung gestellt. 200.000 Euro wurden für neutrale Aufklärung ausgeschüttet.

Das Blatt wendete sich schnell, als das "Nein" bei den Umfragen nach vorne kam. Zuerst wurden aus der Kriegskasse der Regierung 1,5 Millionen Euro für Werbung ausgegeben und danach weitere 3,5 Millionen Euro. Mit den Werbespots lag man aber zum Teil wieder völlig daneben. Während über die Segnungen der europäischen Einigung und mehr Sicherheit vor Terror und Kriminalität beschworen wurde, zeigte man Fotos von KZ-Insassen und von Gräbern im bosnischen Srebrenica. Darunter stand der Text: "Nie wieder". So kann in Holland kaum für eine Verfassung geworben werden, wo viele gegen den Kriegseinsatz im Irak sind und einige sich noch an den vorigen Einsatz in Bosnien erinnern. Denn dafür musste die Regierung unter dem Sozialdemokraten Wim Kok 2002 zurücktreten. Unter den Augen niederländerischer Blauhelmsoldaten waren 1995 in Srebrenica mehrere Tausende Moslems abgeschlachtet worden, ohne dass diese eingegriffen hatten. Die Regierung Kok übernahm einen Teil der Verantwortung für das Massaker.

Doch die politische Klasse verhöhnte das Wahlvolk eher, als es mit Argumenten zu überzeugen. Der Höhepunkt, dass eigene Volk nicht für ernst zu nehmen, war die Diskussion der Regierung, bei einem "Nein" in Frankreich die Volksbefragung abzusagen. Das haben sich die großen Parteien aber letztlich nicht getraut. Trotzdem begannen sie Hintertüren zu öffnen. Von der einstigen Anerkennung des Votums war plötzlich keine Rede mehr. Eine 30prozentige Beteiligung wurde gefordert, wobei 60 Prozent mit Nein stimmen müssten. Blamiert hat sich auch die kleine Partei Demokraten66 (D66). Die dritte Partei in der Regierungskoalition tritt nämlich offiziell für mehr direkte Demokratie ein. Es scheint allerdings nur, wenn die Bevölkerung die Beschlüsse der Regierung abzusegnen gedenkt. Als sich das "Nein" in den Umfragen verfestigte, erklärte die stellvertretende Vorsitzende Lousewies van der Laan: "Niemand nimmt Notiz, niemand weiß, worum es in der Verfassung geht und niemand fühlt sich für das Ergebnis verantwortlich." Jedenfalls haben die Wähler in den Niederlanden alle Hürden genommen und nach Frankreich auch Holland in eine politische Krise gestürzt.