Weitere Abu Ghraib-Bilder müssen nach Gerichtsurteil vom Pentagon freigegeben werden

Bislang konnte das Pentagon die Veröffentlichung weiterer, angeblich schrecklicher Bilder von Misshandlungen irakischer Gefangener verhindern, jetzt droht erneut Ungemach

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Für die Bush-Regierung war die Veröffentlichung der Folterbilder von Abu Ghraib wohl einer der folgenreichsten GAUs auf dem Schlachtfeld der Information. Die Fotografien hatten Soldaten im Gefängnis vermutlich zu ihrem Vergnügen und als Erinnerung an die aufregenden Zeiten gemacht, wie man ja heute alles mit den digitalen Kameras als Bild festhält. Sie ließen stolz die Bilder kursieren, irgendwie gelangten sie zur Redaktion von CBS News, nachdem das Pentagon schon Monate zuvor durch einen Soldaten auf die Misshandlungen und die Bilder aufmerksam gemacht wurde. Massiv wurde Druck auf den Sender ausgeübt, der die Sendung auch um fast einen Monat verschob, um die militärische Operation gegen Falludscha, die damals stattfand, nicht zu gefährden. Am 28. April schlug dann die Bombe ein.

Doch als die Bilder einmal da waren, gingen sie um die Welt, bestätigten schon lange kursierenden Gerüchte, Zeugenaussagen sowie Berichte und unterminierten die Selbstdarstellung der US-Regierung, die angeblich für Freiheit und Recht gegen das Böse kämpft (Sadistische KZ-Spiele). Der Widerstand im Irak loderte nun erst recht auf, die schon lange kritisierte Praxis von willkürlichen Festnahmen und Gefangenenlagern, in denen die aller Rechte beraubten Menschen verschwinden, wurde an den Pranger gestellt, dem Image der USA entstand schwerer Schaden. Und das, nachdem das Pentagon die strategische Kommunikation und die Medienberichterstattung im Afghanistan-Krieg fast lückenlos und während der Invasion ziemlich gut mit dem Konzept der eingebetteten Reporter kontrolliert hatten.

Der Skandal von Abu Ghraib machte wieder einmal deutlich, dass Bilder sehr viel mehr an Reaktionen auslösen als Worte Ohne die Bilder, die zu Ikonen der US-Kritik wurden, hätte es weltweit keine solche Woge der Entrüstung gegeben. Sie flaute, vor allem in den USA, erst ein wenig ab, als zwei Wochen darauf das Video der Köpfung von Nicholas Berg von den Entführern und Mördern ins Netz gestellt wurde und sich ebenfalls mit unglaublicher Geschwindigkeit verbreitet. Dann hatten zwar manche der Widerstandsgruppen gesehen, was sie an Bildern produzieren müssen, um Aufmerksamkeit zu finden, gleichzeitig aber haben sie den Schrecken von Abu Ghraib zumindest ikonographisch kompensiert (Das Zweiklassensystem des Pentagon).

Das Pentagon hatte versucht, den Vorfall der Misshandlungen und Folterungen in Abu Ghraib unter der Decke zu halten und zunächst nur interne Berichte einzufordern (Einseitig und antiamerikanisch). Der Taguba-Bericht lag bereits Ende Februar 2004 vor, aber es geschah nichts weiter. Danach hieß es nur, dass die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen gewesen seien. Nach Veröffentlichung der Bilder ging das nicht mehr. Unangenehme Details aus den Berichten kamen nach und nach ans Tageslicht, man rettete sich in das Konstrukt, dass die Vorfälle in Abu Ghraib einmalig und nur das Werk von schlechten Einzelnen gewesen seien. Die Führung habe damit nichts zu tun, auch wenn sich herausstellte, dass sie zwar bestimmte Misshandlungen und Folterungen nicht angeordnet, aber doch wohlwollend geduldet hatte – mit der Rückendeckung von rechtlichen Gutachten aus dem Justizministerium und aus dem Weißen Haus, u a. vom jetzigen Justizminister Gonzales, die eine Art Ausnahme- oder Notstandsrechtsrecht außerhalb des amerikanischen und internationalen Rechts schufen (Die intellektuellen Wegbereiter von Folter und Willkürjustiz). Inzwischen hat man aber etwas getan und einige Soldaten auf der untersten Ebene bestraft.

Vor allem aber versuchte das Pentagon sicherzustellen, dass nicht weitere Bilder an die Öffentlichkeit gelangen konnten. Denn es gab noch zahlreiche andere Fotografien und Videos (Schlimmeres kommt noch). Eine Auswahl musste das Pentagon Kongressmitgliedern zeigen, die sie aber nur unter dem Siegel der Vertraulichkeit sehen durften. Verteidigungsminister Rumsfeld machte am 7. Mai vor dem Senatsausschuss selbst deutlich, dass die bislang bekannten Fotos eher relativ Harmloses zeigten:

First, beyond abuse of prisoners, there are other photos that depict incidents of physical violence toward prisoners, acts that can only be described as blatantly sadistic, cruel and inhuman. Second, there are many more photographs, and indeed some videos. Congress and the American people and the rest of the world need to know this. In addition, the photos give these incidents a vividness, indeed a horror, in the eyes of the world. …. It’s going to get still more terrible, I’m afraid.

Donald Rumsfeld

Ein Senator, der die Bilder gesehen hatte, sagte, dass ihm schlecht wurde. Es hieß, die Bilder zeigten, wie Soldaten einen Gefangenen fast zu Tode schlugen, wie eine Gefangene vergewaltigt wurde, wie man mit einem Leichnam umging oder wie irakische Wachen Jungen vergewaltigten. Veröffentlicht wurden die Bilder nicht, es sagte auch niemand genau, was er gesehen hatte. Die Sperre des Pentagon funktionierte also. Gesuche nach den Informationsfreiheitsgesetz prallten ab. Das zeigt, dass Geheimnisse in Washington nicht unbedingt schließlich doch ans Tageslicht kommen müssen, wie manchmal behauptet wird. Es war die Zeit, als der Widerstand im Irak zunahm und alles nicht mehr so einfach aussah, während sich die Wahlen in den USA näherten.

Weitere und schrecklichere Bilder hätten nicht nur die Soldaten im Irak und anderswo noch stärker gefährdet, sondern die Weltöffentlichkeit noch mehr gegen die Besetzung des Irak und den Krieg gegen den Terror aufgebracht. Die Kongressmitglieder standen unter hohem Druck und schwiegen. Und sie waren der Meinung wie der republikanische Senator John Warner, dass sie auch nicht veröffentlicht werden sollten. Rumsfeld wiederum beklagte sich nicht nur, dass die Fotos gemacht, sondern auch, dass sie illegal weiter gegeben wurden. Der Skandal ist nicht die Misshandlung, sondern der vom Pentagon unkontrollierte Informationsfluss:

We're functioning in a -- with peacetime restraints, with legal requirements in a war-time situation, in the information age, where people are running around with digital cameras and taking these unbelievable photographs and then passing them off, against the law, to the media, to our surprise, when they had not even arrived in the Pentagon.

Die American Civil Liberties Union (ACLU) und andere Bürgerrechtsorganisationen gaben sich damit nicht zufrieden. Die ACLU hat über das Informationsfreiheitsgesetz – eine wichtige Waffe für Transparenz und Rechtsstaatlichkeit – bereits zahlreiche Dokumente im Kontext der Behandlung von Gefangenen in Abu Ghraib und anderswo erhalten. Und am ersten Juni hatte sie noch einmal Erfolg und vor einem Gericht erstritten, dass das Pentagon weitere Bilder nicht mehr geheim halten kann. Im Pentagon hatte man die Veröffentlichung der Bilder erstaunlicherweise mit der Begründung verweigert, dass dies gegen die Genfer Konventionen verstoße. Das zeigt nur einmal mehr, wie mit internationalen Abkommen umgegangen wird, die beachtet werden sollen, wenn es den eigenen Interessen (der Verschleierung) dient, ansonsten aber umgangen werden. Schon im Mai meinte Rumsfeld, er würde ja die Fotos der Öffentlichkeit zeigen, nur leider gebe es eben die Genfer Konventionen, die es verbieten, Bilder von Gefangenen zu veröffentlichen, die deren Würde verletzen. Das ist natürlich so, wenn sie gefoltert und misshandelt werden. Dass man die Gesichter einfach unkenntlich machen könnte, um nicht der Verletzung der Menschenwürde beschuldigt werden zu können, das fiel dem Verteidigungsminister natürlich nicht ein.

Die ACLU hatte diesen Vorschlag schon von Anfang an gemacht, der aber nicht aufgegriffen wurde, bis nun der Bundesrichter am Mittwoch sein Urteil verkündete, dass zumindest 144 weitere Fotos und Videos innerhalb eines Monats den Bürgerrechtsorganisationen zur Einsicht übergeben werden müssen, nachdem die misshandelten Iraker unkenntlich gemacht wurden. Die Regierung, vertreten durch den Anwalt Sean Lane, findet das weiterhin nicht in Ordnung, weil trotzdem die nun so wichtigen Konventionen verletzt würden, wenn über die Veröffentlichung der Bilder die Gefangenen einer zusätzlichen Demütigung ausgesetzt werden. Man ist also ganz auf der Seite der ehemaligen Gefangenen und Gefolterten.

Dieser Argumentation mochte sich jedenfalls der Richter nicht anschließen, der selbst weitere acht noch nicht veröffentlichte Fotografien anschauen konnte. Das Urteil ordnete an, dass bestimmte Fotografien nicht weiter bis zur Unkenntlichkeit des Gezeigten redigiert werden dürfen. Bilder seien, so der Richter, "der beste Beweis, den die Öffentlichkeit darüber erhalten kann, was wirklich geschehen ist". Das mag man zwar bestreiten, zumindest aber sind Bilder erklärungsbedürftig, man kann nicht einfach leugnen, dass da nichts war, ohne dies zu begründen. Und die ACLU sagt, dass diese Bilder veröffentlicht werden müssen, auch wenn sie "schrecklich und schockierend" sind: "Die amerikanische Öffentlichkeit muss wissen, was in ihrem Namen gemacht wird."